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SEHEN: Mach doch einfach!

Neuigkeiten von der Kritikerfront: Die wohlige Theaterferien-Erschlaffung ist langsam ausgereizt. Zaghaft tritt tatsächlich so etwas wie Saison-Vorfreude zutage.

Neuigkeiten von der Kritikerfront: Die wohlige Theaterferien-Erschlaffung ist langsam ausgereizt. Zaghaft tritt tatsächlich so etwas wie Saison-Vorfreude zutage. Einer der besten Gründe dafür, und zwar seit 48 Jahren, ist die Schauspielerin Margit Bendokat. Seit 1965 ununterbrochen am Deutschen Theater engagiert, hat es kaum eine Künstlerin geschafft, sich derart wach für Neues zu halten und dabei so völlig organisch bei sich selbst zu bleiben.

Gerade ist die gebürtige Templinerin – herzlichen Gückwunsch! – 70 Jahre alt geworden. Und wird besetzt (und gebraucht) wie nie zuvor! Dass sich Margit Bendokat plumpen Einordnungsversuchen widersetzt, dürfte spätestens seit Nicolas Stemanns Jelinek-Inszenierung „Über Tiere“ 2007 auch dem Letzten klar geworden sein. Am DT spielte sie, die immer am liebsten mit markanten Regisseuren wie Adolf Dresen, Einar Schleef, Frank Castorf, Heiner Müller oder Dimiter Gotscheff gearbeitet hat, an die 100 Rollen. In der neuen Saison, die am 25. August beginnt, ist sie in sechsen zu sehen.

Jelineks Text verschränkte das Begehren einer Frau, begehrt zu werden, mit den Fantasien männlicher Escortservice-Kunden. Die mehrheitlich jungen Schauspielerinnen taten damit, was man halt mit einem Jelinek-Text so treibt: Sie parodierten und zerlegten ihn, ironisierten die eigene Ironisierung.

Nach einer Stunde: Auftritt Bendokat. In einem geblümten Kleid stand sie an der Rampe, schleuderte mit ihrer kolossalen Stimme, die einen noch im zweiten Rang vom Sitz haut, den Satz „Lieben ist eine bestimmte Art von Angewiesensein, mein sonderbarer Herr“ aus sich heraus – und hebelte mal eben sämtliche Kategorien aus. Bei ihr war das Begehren weder männlich noch weiblich, weder gebrochen noch naturalistisch, sondern es war einfach. Punkt. Wo, mit Verlaub, findet man das sonst noch?

Kein Wunder, dass Dimiter Gotscheff la Bendokat schon zu Füßen liegt, seit er sie vor 30 Jahren in Benno Bessons „Tartuffe“-Inszenierung Kirschkerne spucken sah. Fragt man Gotscheff, wie er eigentlich vor sieben Jahren darauf kam, den Chor der „Perser“-Tragödie allein mit ihr zu besetzen, schaut er irritiert: „Was soll ich zehn, zwölf andere besetzen, wenn ich einen Reichtum wie Margit habe?“ Gotscheff sagt auch: „Schauspieler sind ja oft klüger als Regisseure, aber bei Margit ist es noch mehr als Klugheit: Sie macht die Dinge einfach.“ Und weil das Einfache in der Regel das Schwierigste ist, verneigen wir uns tief – mit Vorfreude!

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