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SEHEN: Publikum auf die Bühne!

Die Zeiten, in denen das Publikum sich bequem in seine Sessel lümmeln und die Hamlets oder Emilia Galottis aus sicherer Distanz betrachten konnte, sind längst vorbei. „Interaktivität“ zählt auch im Theater, zumindest in der freien Szene: Eigeninitiativ streift das Publikum durch fiktive Arbeitsämter, bastelt Pappkrönchen oder bildet – angenehmstes Genre-Angebot – eine Partygesellschaft bei Freigetränkausschank.

Die Zeiten, in denen das Publikum sich bequem in seine Sessel lümmeln und die Hamlets oder Emilia Galottis aus sicherer Distanz betrachten konnte, sind längst vorbei. „Interaktivität“ zählt auch im Theater, zumindest in der freien Szene: Eigeninitiativ streift das Publikum durch fiktive Arbeitsämter, bastelt Pappkrönchen oder bildet – angenehmstes Genre-Angebot – eine Partygesellschaft bei Freigetränkausschank.

Im Idealfall erlauben derartige Projekte, gesellschaftspolitisch Relevantes einmal auf andere Weise wahrzunehmen. Genau dies peilen dieser Tage gleich zwei Berliner Theater-Experimente an. Katharina Merschel und Christian Weiß wollen in „Janeinvielleicht“ (7./8.11., 20 Uhr) im Ballhaus Ost die „Abgründe alltäglicher Machtstrukturen verdeutlichen“, wobei das Publikum einen Menschen via Video-Liveschaltung auf einer Berliner Straße nicht nur verfolgen, sondern auch leiten und so über seinen Weg mitbestimmen kann. Und bereits am kommenden Wochenende beschäftigt sich Regisseur Julian Klein in den Sophiensaelen mit einem für die Gesellschaft höchst komplizierten und in der Dramatik besonders stark vertretenen Typus: dem Schwerverbrecher. Vom antiken Muttertöter Orest bis zum Feldherrn Macbeth, der sich den Weg zum Königsthron frei mordet, wimmelt es auf der Bühne nur so von Killern.

Unter dem Motto „Infame Perspektiven“ mögen die Zuschauer hierbei nun via Perspektivübernahme selbst erkunden, inwieweit derlei gesellschaftspolitisch fruchtbar zu machen wäre – etwa bei der Verbrechensprävention. Zu diesem Zweck bittet Klein jeweils zwei Menschen zum Verhör in eine „White Box“ (24.10., ab 19 Uhr, 25.–27.10., 10 bis 20 Uhr, Anmeldung unter anmeldung@artistic-research.de). Dort sollen sie Texte nachsprechen, die ein Elternpaar beim Prozess äußerte, das 1999 in einem Hotelzimmer im belgischen Aalst seine beiden Kinder getötet hatte: Das zugrunde liegende Theaterstück von Pol Heyvaert und Dimitri Verhulst basiert auf einem realen Fall.

Wer diesen 70-minütigen „Selbstversuch“ denn doch scheut, darf stattdessen vom sicheren Parkettplatz aus eine öffentliche Vorführung des „Experiments“ mit zwei Freiwilligen verfolgen (24.–26.10., 20.30 Uhr). Nach allen Regeln von Kunst und Wissenschaft werden die Einfühlungsleistungen dann auf einem prominent besetzten Symposium (25.–27. 10., Programm unter www.sophiensaele.com) reflektiert. Mit dabei: Dokumentarfilmer Andres Veiel, die Schauspieler Bibiana Beglau und Thomas Thieme, „Spiegel“-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen sowie Polizisten und operative Fallanalytiker.

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