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Kultur: „Sehnsucht ist lang, Herr Minister“

Kulturstaatsminister Neumann und Berlinale-Chef Kosslick über den Festivalzirkus, politisches Kino – und deutsche Filme

Herr Kulturstaatsminister, welche Filme gucken Sie auf der Berlinale?

BERND NEUMANN: Sicher ist schon einmal der Eröffnungsfilm „La Vie en Rose“. Mich interessieren die beiden deutschen Wettbewerbsfilme, „Yella“ und „Die Fälscher“, außerdem die Wiederaufführung von Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“. Herr Kosslick will mir heute noch zwei zusätzliche Termine empfehlen.

Herr Kosslick, welche denn?

DIETER KOSSLICK: „The Good German“ mit George Clooney als US-Journalist nach Kriegsende in Berlin! Und der von Javier Bardem produzierte politische Episodenfilm „Invisibles“ über Menschen in Afrika und Asien. Die letzte Episode hat Wim Wenders gedreht. Auch die Matinee im Kino International empfehle ich: Dort zeigen wir den Dokumentarfilm über das Leben von Simon Wiesenthal.

NEUMANN: Am Sonntag um 11.30 Uhr!

KOSSLICK: Eigentlich laufen ja drei deutsche Wettbewerbsfilme, denn die amerikanisch-kanadische Produktion mit Sharon Stone und dem schönen deutschen Titel „When a Man Falls in the Forest“ hat eine Münchner Firma zu 100 Prozent aus deutschem Privatkapital finanziert.

Trotzdem sind mit Christian Petzold und Stefan Ruzowitzky nur zwei Deutsche im Wettbewerb, aber vier Franzosen. Ist das normal?

KOSSLICK: Bei Filmfestivals ist grundsätzlich nichts normal. François Ozons französischer Film „Angel“ ist auf Englisch in England mit englischen Schauspielern gedreht. Wir hatten zunächst zwei französische Wettbewerbsfilme: Rivette und Téchiné. Und dann fand ich es schöner, unser europäisches Festival mit Edith Piaf zu eröffnen statt mit anderen großartigen Dreamgirls.

NEUMANN: Es wäre sicherlich verfehlt, wenn wir keinen deutschen Film im Wettbewerb hätten. Aber man muss nicht jedes Mal vier oder fünf zeigen. Es ist ein internationales Festival und nicht der Deutsche Filmpreis. Protektion können wir bei der Berlinale nicht gebrauchen.

KOSSLICK: Zum diesjährigen 60. Geburtstag von Cannes sollten wir den Kollegen an der Côte d’Azur ruhig ein paar deutsche Filme überlassen. Wer weiß, vielleicht gehen ja Fatih Akin und Hans Weingartner dort die Treppe hoch. Das war mein heimliches Ziel: Cannes schnappt der Berlinale alle deutschen Filme weg. Dann hätten wir gesiegt – und Cannes erobert. Aber im Ernst: Auf der Berlinale gibt es insgesamt 60 deutsche Filme und zehn deutsche Schauspieler in internationalen Produktionen. Julia Jentsch spielt unter Regie von Jiri Menzel, Martina Gedeck in „The Good Shepherd“ – und Moritz Bleibtreu sogar in zwei Filmen.

Was ist überhaupt ein deutscher Film? Laut Richtlinien für den mit jährlich 60 Millionen Euro aufgelegten Filmförderfonds gibt es Pluspunkte für deutsche Motive wie eine „Schwarzwaldhütte“.

NEUMANN: In dem Punktekatalog geht es um die Erfüllung kultureller Kriterien. Das war eine berechtigte Vorgabe der EU: Reine Wirtschaftsförderung wäre wettbewerbsverzerrend. Mir geht es um die Förderung von Produktionen in Deutschland mit Themen, die hier relevant sind.

Was sind deutsche Themen? „Die Fälscher“ erzählt von Juden im KZ Sachsenhausen, ein Schauplatz, der für das Kino lange tabu war. Ist es für Sie ein Problem, dass sich ein deutscher Film auf so prominenter Bühne über das Tabu hinwegsetzt?

NEUMANN: Ich kenne den Film noch nicht, aber wir Deutschen haben hier eine besondere Verantwortung. Ich würde mich immer gegen Verharmlosungen einsetzen. Über Dani Levys „Mein Führer“ wurde deshalb ja auch heftig diskutiert.

KOSSLICK: Es ist eine wichtige Funktion des Festivals, auch mal Tabus zu brechen und Bilder zu zeigen, die nicht jedem passen. Für mich ist „Die Fälscher“ ein kerzengerader Film. Da geht es um zwei Haltungen: Der Fälscher will überleben, der jugendliche Kommunist sagt, lieber sterbe ich aufrecht auf diesem Hof, als dass ich diese Sauerei noch einen Tag weitermache. Bei diesem dramatischen Konflikt ist der Schwache in seinem Überlebenswillen plötzlich stark.

Wie politisch soll Kino denn sein?

NEUMANN: Der Film ist das Medium, das Probleme der Gesellschaft für das große Publikum am eindringlichsten und überzeugendsten aufgreift. „Das Leben der Anderen“ hat die Stasi-Machenschaften eindrucksvoll verdeutlicht. „Requiem“ zeigte mit dem Konflikt zwischen Kirche und Individuum eine gesellschaftliche Atmosphäre. Keine andere Kunst tut dies so kommunikativ wie der Film. Wer ein Buch liest, ist mit sich allein. Auch Valeska Grisebachs „Sehnsucht“ war ein gesellschaftspolitischer Film, wenn auch vielleicht ein wenig langatmig …

KOSSLICK: … Sehnsucht geht nicht kurz, Herr Minister. Sehnsucht ist lang…

NEUMANN: … und die Kunst ist frei. Beim Thema Holocaust gibt es allerdings eine besondere Verantwortung, eine Grenze. Dieser Abgrund unserer Geschichte hat große, bleibende Bedeutung für viele Bereiche. Auch beim aktuellen Thema Restitution: Manche in dieser Hinsicht unsensiblen Äußerungen teile ich in keiner Weise, zumal häufig Deutschland als Ganzes verantwortlich gemacht wird.

Und wie steht es um das politische Profil der Berlinale selber?

KOSSLICK: Die Berlinale wurde von den Amerikanern aus politischen Motiven gegründet. Sie war eine kulturelle Drehscheibe in der Ost-West-Auseinandersetzung und setzte sich immer für verbotene Filme ein. Was ist heute eigentlich nicht politisch? Wenn Robert Redford für sein Sundance-Festival plötzlich mit der Widerspiegelungtheorie wirbt, dann denke ich: Hey, das mit der Realität auf der Leinwand war doch eigentlich unser Ding. Die Stars und die Hollywood-Studios freuen sich übrigens, wenn unser Festival neben all dem schönen Eskapismus auch die Sehnsucht nach der Wirklichkeit befriedigt. Es geht nicht um vordergründige Botschaften, nach dem Motto: Ich bin gegen den Irak-Krieg.

NEUMANN: So eine Haltung allein macht ja noch keinen politischen Film!

KOSSLICK: Das meine ich auch. Nehmen Sie Clint Eastwood, der eine Schlacht des Zweiten Weltkriegs aus amerikanischer und aus japanischer Sicht zeigt, wir zeigen den zweiten dieser Filme. Da geht es um „Towards tolerance“ und „Accept diversity“, unsere früheren Berlinale-Mottos. Oder nehmen Sie „Bordertown“ mit Jennifer Lopez und Antonio Banderas: An der Grenze zwischen den USA und Mexiko wurden über 500 junge Mädchen vergewaltigt und ermordet. Das wurde bis heute nicht aufgeklärt, weil alle wissen, wer in diesem Komplott drinhängt. Wir wollen das Thema öffentlich machen.

Andere Festivals rüsten finanziell kräftig auf. Braucht die Berlinale mehr Geld?

NEUMANN: Es hat mir sehr gefallen, wie Dieter Kosslick sich distanziert hat von Festivals wie dem in Rom, wo irrsinnig viel Geld ausgegeben wird, um Stars anzulocken. Es ist ihm gelungen, mit der Hilfe von Sponsoren und unserem 7-Millionen-Euro-Zuschuss ein ausgezeichnetes Festival zu veranstalten. Damit können wir sicher beide zufrieden sein. Über Geld kann man immer reden: Aber die Größenordnung dieser ganz anders ausgestatteten Festivals kann kein Maßstab sein, das wäre illusorisch.

KOSSLICK: Es ist tatsächlich verblüffend, was um uns herum passiert – wie viele Millionen im koreanischen Pusan oder in Dubai investiert werden. Dubai or not Dubai, das hat ja fast Shakespeare’sche Dimension. Wir kommen mit dem Etat zurecht, können die Sponsorenverträge aber nicht weiter ausbauen. In drei Jahren, zum 60. Geburtstag der Berlinale, werde ich die Politik zu überzeugen versuchen, in die Berlinale zu investieren. Ein Geburtstag ist doch ein schöner Anlass für ein Geschenk.

NEUMANN: (lacht) Der Staatsminister ist bereit, das Grußwort zu sprechen.

Filmfreaks privat gefragt: Haben Sie Ihr Wohnzimmer zum Heimkino umgebaut?

NEUMANN: DVD hab ich, Flachbildschirm hab ich auch. Aber echte Kinofilme kann man nur im Kino erleben.

KOSSLICK: Mein Fernseher ist noch aus der Zeit, als ich im ZDF-Fernsehrat war. Ich habe ja im Berlinale-Büro den Luxus eines Sichtungsraums. Aber mein Nachbar hat einen Beamer, und der wirft manchmal von seinem Balkon auf meine Hauswand Filme. Ich gebe zu, dass ich in einer lauen Sommernacht von seinem Balkon aus „Casablanca“ geguckt habe. Wenn ich nicht schon so alt wäre, würde ich sagen: Das war echt cool.

– Das Gespräch führten Christiane Peitz und Jan Schulz-Ojala.

BERND NEUMANN,

geb. 1942, ist seit

November 2005 Kulturstaatsminister mit

erklärter besonderer Liebe zum Film . So hat er einen Förderfonds für deutsche Produktionen aufgelegt, mit 180 Mio. Euro für drei Jahre. Er ist seit 1962 CDU-Mitglied, seit 1987 im Bundestag. Bis 2005 saß er im Kulturausschuss des Bundestags und in

etlichen Fördergremien.

DIETER KOSSLICK ,

geb. 1948, ist seit Mai 2001 Berlinale-Chef mit erklärter besonderer Liebe zum K ulinarischen , nicht nur im Kino. In den Achtzigern war er u.a. beim Hamburger Filmbüro, beim dortigen Low Budget Filmfest und beim Filmfonds tätig. 1992 wurde er Chef der NRW-Filmstiftung. Die Berlinale beginnt am 8. Februar mit dem Wettbewerbsfilm „La Vie en Rose“.

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