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Kultur: Sehnsucht nach Planwirtschaft Mehr Politik: die 3. lange Berliner Tanznacht

Das war ja wie bei den MTV-Awards: Constanza Macras und Martin Nachbar, die gerade auf Tournee sind, schickten Grußbotschaften per Video. Es hätte eine tolle Party werden können.

Von Sandra Luzina

Das war ja wie bei den MTV-Awards: Constanza Macras und Martin Nachbar, die gerade auf Tournee sind, schickten Grußbotschaften per Video. Es hätte eine tolle Party werden können. Alle, aber auch wirklich alle waren auf den Beinen, am Sonnabend bei der 3. Tanznacht Berlin in der Akademie der Künste. Hundert Tänzer auf der Bühne, im Publikum Sasha Waltz und Meg Stuart und viele internationale Veranstalter.

Tanz made in Berlin ist ein gefragter Exportartikel. Junge Tänzer aus dem Ausland zieht es magnetisch in die deutsche Hauptstadt. Das ganze Tanzvolk auf einem Haufen – eine hinreißende Vorstellung! Ansteigende Fieberkurven, Energieschübe, heftige Umarmungen, Luftsprünge sind das Mindeste, was man erwarten konnte. Stattdessen bekam man eingeschlafene Füße. Ein halbes Dutzend Ansprachen! Das machte deutlich, dass der freie Tanz immer noch Objekt einer besonderen kulturpolitischen Anstrengung ist. Kultursenator Thomas Flierl stellte einen „abgestimmten Aktionsplan für die Förderung des zeitgenössischen Tanzes“ in Aussicht. Nele Hertling trat in ihrer ewigen Paraderolle als Mahnerin auf und erinnerte an die Versäumnisse der letzten vier Jahrzehnte (da waren die meisten Tänzer und Choreografen des Abends noch gar nicht geboren!). Adrienne Goehler vom Hauptstadt-Kulturfonds, die einen Tanzschwerpunkt durchgesetzt hat, forderte, dass Berlin auch beim fünfjährigen Tanzplan, den die Bundeskulturstiftung jüngst beschlossen hat, partizipieren müsse.

Von wegen Wildwuchs der Kräfte. In der freien Tanzszene wird also gerade die Planwirtschaft eingeführt. Die Aktivisten, die so lange nach der Aufmerksamkeit der Kulturpolitik schrien, finden sich nun in enger Umklammerung wieder. Das alte Lied: Der freie Tanz fühlt sich immer noch und immer wieder unverstanden. Dabei ist die Berliner Szene bestens vernetzt. Hier gibt es das noch: freien Austausch und freie Liebe. Die Choreografen teilen sich die frei zirkulierenden Tänzer. Oder umgekehrt: Tänzer-Autoren finden sich zusammen und gönnen sich einen Choreografen. Berlins Tanzszene ist flexibler, gewitzter, anarchistischer, als es der Sieben-Stunden-Marathon auf der Akademie-Bühne ahnen ließ. Zu vorgerückter Stunde kam man sich doch noch sehr nahe. In „Nachttanz“ von Eszter Salamon turnen 17 Tänzer konzentriert durch sämtliche Beischlaf-Stellungen. Verkleidet sind sie als Männer- und Frauendarsteller, so dass man einer Orgie in Transen-Garderobe beizuwohnen glaubt. Aber der Szene ist es ernst. Sie arbeitet daran, sich weiter zu vereinen.

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