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Kultur: Sehnsucht und Widerstand

Margarethe von Trotta verfilmt die Geschichte der Frauen aus der „Rosenstraße“. Ein Besuch bei den Dreharbeiten

Ich will meinen Mann wieder haben. Lauter bitte. Ich will meinen Mann wieder haben. Jutta Wachowiak ruft es. Eine andere Frau. Noch eine. Und jetzt Katja Riemann. Alle schauen sie nach oben, suchen die Fenster der Jüdischen Sozialverwaltung in der Rosenstraße ab, die die Gestapo zum Sammellager umfunktioniert hat. Vergeblich: Niemand und nichts ist mehr zu sehen. Irgendwann wird aus dem Ich ein Wir. Wir wollen unsere Männer wieder haben. Ein Stimmengewirr, das allmählich abebbt, bis zuletzt ein kleines Mädchen ruft. Ruth ist ihr Name; die hat ja noch gar keinen Mann.

Eigentlich stehen wir in der Sonnenallee. Die Filmstraße am Rande des Babelsberger Studiogeländes wurde berühmt als Kulisse für Leander Haußmanns „Sonnenallee“. Da drüben, ist das nicht der Balkon, von dem aus Micha und Mario auf die Mauer pinkelten? Aber das hier ist kein Spaß. Denn die DDR-Straße der achtziger Jahre – vorne Fassade, hinten Sperrholz – ist jetzt eine Gasse im Berlin der Nazi-Zeit: die Rosenstraße zwischen Alex und Hackeschem Markt. Mit Kopfsteinpflaster und Wasserpumpe, Schultheiss- und Juno-Reklame sowie einer quietschenden Straßenbahn, die ein paar Männer durch den Bildhintergrund schieben.

An die hundert verfrorene Menschen tummeln sich hier an diesem Novembermorgen und ärgern sich, wenn die Sonne aus den Wolken bricht. Denkt daran, wie kalt es ist, ruft Peter, der Regie-Assistent, den Komparsinnen zu. Ende Februar 1943 war es sehr kalt in Berlin. Also darf die Sonne nicht scheinen. Ein paar Polizisten mit Tschakos säumen die Bordsteinkante, 60 Frauen in abgewetzten Mänteln und Kapotthüten trippeln sich die Füße warm, andere Menschen in wattierten Jacken wuseln um sie herum und koordinieren die Ruferei, damit die Szene für die auf Schienen herumschwenkende Kamera möglichst unkoordiniert aussieht. Als die Regisseurin eine Mittagspause zum Aufwärmen vorschlägt, halten die Komparsinnen in bewährter Protestmanier dagegen. Wir wollen weitermachen, skandieren sie – als stehe auch das im Drehbuch. Die Lage ist ernst, aber jetzt lachen alle erst mal. Auch Margarethe von Trotta.

Die Anspannung, von der sie nach Drehschluss erzählt, ist ihr nicht anzumerken. Margarethe von Trotta ist eine freundliche Filmemacherin. Sie verteilt Teebeutel-ähnliche Wärmepäckchen, die man sich in die Schuhe oder die Manteltasche stecken kann. Sie plaudert mit Svea, der Darstellerin der Ruth. Sie bittet die Frauen, sich zu zerstreuen: Dies ist keine konzertierte Aktion, sondern spontane Empörung. Sie spielt vor, wie sie rufen sollen. Aus der Enttäuschung heraus kommt die Wut, sagt sie. Und dann die Verzweiflung. Trotta erklärt die Gefühle, nicht die Choreografie. Die ergibt sich aus den Gefühlen. Und am Ende sagt sie nicht „Cut“ sondern schlicht „Danke“.

Das Ideal der Treue

Zwischendurch erläutert sie der Besucherin die Szene. „Ich will meinen Mann wieder haben“ ist der entscheidende Satz für die Frauen von der „Rosenstraße“, Trottas erstem Kinofilm seit über acht Jahren. Ein wahrer Satz, eine wahre Geschichte. Am 27. Februar 1943 wurden in der „Fabrikaktion“, einer landesweiten Razzia, die letzten noch nicht deportierten Berliner Juden festgenommen. In der Rosenstraße inhaftierte die Gestapo die so genannten „arisch Versippten“: die jüdischen Männer nichtjüdischer Frauen. Die Ehefrauen versammelten sich vor dem Gebäude, täglich wurden es mehr, eine stumme Demo zunächst, bis die Frauen lautstark zu protestieren begannen. Die Männer kamen frei. Seit 1995 erinnert ein Denkmal in der Rosenstraße, Ecke Heidereutergasse zwischen Plattenbauten und schicken Hotels an die mutige Tat. Es gibt Bücher darüber und Dokumentarfilme; den Spielfilm zur Historie dreht nun Margarathe von Trotta.

Mutig? Dies ist keine Geschichte vom politischen Widerstand. Es war bloß Zivilcourage – und ein bisschen Liebe dazu, sagt Trotta. Treue, erklärt sie später im Café, ,,war ein nationalsozialistisches Ideal. „Die Frauen sehnen sich nach ihren Männern; sie haben nur dem Ideal entsprochen!“ Warum sie damit Erfolg hatten? Margarethe von Trotta ist keine Romantikerin. Sie will nicht an einem Heldinnen-Mythos stricken. 1943 fielen die ersten Bomben auf Berlin, nach Stalingrad war die Stimmung nicht mehr die beste. Straßenunruhen wollten die Nazis da kaum riskieren. Und ob die Ehemänner überhaupt deportiert werden sollten, darüber streiten die Historiker bis heute. Trotz aller Rätsel bleibt es eine irrwitzige Geschichte: Juden, die nicht ins KZ, sondern nach Hause geschickt werden.

Mutig? Jetzt erst erzählt Trotta von ihrer Angst, die Szene zu vermasseln. Den Augenblick, in dem die private Sehnsucht in öffentliche Empörung umschlägt. Wenn die nicht funktioniert, funktioniert der ganze Film nicht, sagt sie. Wegen der Verantwortung. Nicht den Misserfolg beim Publikum fürchtet sie, sondern dass sie jenen historischen Frauen nicht gerecht wird, die sie bei den Recherchen noch kennengelernt hat. Ihnen gegenüber fühlt sie sich verpflichtet. „Das klingt schrecklich moralisch,“ fügt sie hinzu. Und dass sie dieses Verantwortungsgefühl schon gegenüber Rosa Luxemburg empfand.

Roman Polanskis „Pianist“, der unter anderem auch in der Pappmaché-Rosenstraße entstand, kostete 36 Millionen Euro. Trotta hat sechs Millionen. Noch eine Angst: Dass alles verkleidet aussieht, nach frisch gebügelter Uniform aus der Requisite. Deshalb sei es umso wichtiger, dass die Gefühle authentisch sind, sozusagen zeitgenössisch: „Stehst du zu den Menschen, die du liebst? Bist du bereit, für sie zu leiden? Ich habe mich immer für Menschen interessiert, die in eine Zeit geschleudert werden, die sie sich niemals ausgesucht hätten.“

Ich mache kein Botschaftskino

Die 60-jährige Filmemacherin, deren adlige, allein stehende Mutter aus dem Baltikum stammte, lebt in Paris. Aber in ihren bekanntesten Filmen ist sie in Deutschland zu Hause, in „Rosa L.“ ebenso wie in der „Bleiernen Zeit“ des RAF-Terrorismus. In „Das Versprechen“ rekapitulierte sie die deutsche Teilung und den Fall der Mauer; zuletzt ließ sie für die Fernsehadaption von Uwe Johnsons „Jahrestage“ eine Mutter ein halbes Jahrhundert von dieser Geschichte erzählen, der Tochter zuliebe. Trotta ist Expertin für deutsche Geschichte – und für die Frauen darin. Dabei interessiert sie nicht das Politische, auch nicht das Feministische, sondern das, was diese Frauen zu unseren Komplizinnen macht. Oder uns zu ihren. „Ich mache kein Botschaftskino“, sagt sie. Und dass man für jede Geschichte den Zeitpunkt finden muss, zu dem die Menschen sie hören wollen.

Womit wir bei der Entstehungsgeschichte der „Rosenstraße“ wären. Amerikanische Historiker kommen darin vor, Trottas Ex-Mann Volker Schlöndorff, der als Babelsberg-Chef Mitte der 90er Jahre vergeblich Geld aufzutreiben versuchte, außerdem ein unermüdlicher Ex-WDR-Redakteur, Fernsehfilme zum Überwintern nach dem gefloppten „Versprechen“, schließlich Studio Hamburg als Produzent. Und der „Schindlers Liste“-Effekt. Der besteht darin, dass die Filmförderer vor Spielbergs Film abwinkten: NS-Stoffe hätte im Kino keine Chance. Nach Spielbergs Film hieß es dann, es gebe ja schon „Schindlers Liste“.

Margarethe von Trotta ist nicht unglücklich darüber, dass es so lange gedauert hat. Zum einen wegen des Zeitpunkts. Die dritte Generation ist unbefangener. Den Enkeln erzählen die Großeltern bereitwilliger von damals als den Kindern. Zumal Geschichten wie diese, die „lange nicht gewusst werden wollten“, sagt Trotta. Denn sie beschämen jene, die sagen, man habe gegen die Nazis nichts tun können. Zweitens hat Trotta das Drehbuch umgeschrieben. Jetzt spielt die Story damals und heute, in Berlin und New York; die Zeitsprünge und Ortswechsel gefielen ihr schon in „Jahrestage“. Und nicht nur Katja Riemann ist dabei, als junge Frau von 1943 (und Jürgen Vogel als deren Bruder), sondern auch Maria Schrader, die 2002 nach Deutschland reist, auf den Spuren der Vergangenheit ihrer Mutter. Diese Mutter heißt: Ruth – das Mädchen auf der Straße.

Und während sich Margarethe von Trotta in der Babelsberger Rosenstraße mit Katja Riemann über das richtige Timing für den Übergang von der Enttäuschung zur Wut verständigt, ahnt die Besucherin, warum mal jemand gesagt hat, all ihre Filme seien Gefängnisfilme. Filme über Mauern, die auch die Regisseurin abzutragen versucht. Die Mauer zwischen Orten und Zeiten, zwischen Fakt und Fiktion, zwischen den Genres, zwischen einer wie ihr und Katja Riemann. Die Autorenfilmerin und der BeziehungskomödienStar? Sie ist eine großartige Schauspielerin, sagt Margarethe von Trotta und schließt eine Tirade über die Gründlichkeit an, mit der hier zu Lande Brüche vollzogen werden. Stunde Null. Mauerbau. Mauerfall. Papas Kino. Oberhausener Manifest. Komödienboom. Immer unerbittlich: messerscharf abgeschnitten, aus und vorbei.

Vielleicht ist Margarethe von Trotta deshalb eine so freundliche, ja versöhnliche Filmemacherin. Wegen der Verbindlichkeit, die eine gute Erzählerin auszeichnet. Und der Kontinuität, die über die Zeitläufte hinwegretten kann, was nicht auf den Müll der Geschichte gehört. Zum Beispiel so eine Episode vom Normalbleiben in schrecklichen Zeiten, vom Nicht-Einverstandensein und der Skepsis gegenüber dem Common Sense.

Damals und heute: Nach den Dreharbeiten in New York, Berlin und Babelsberg geht es im Dezember nach München, unter anderem in die Villa der Familie Mann. Dort begegnet Katja Riemann Martin Wuttke alias Goebbels. Aber jetzt steht sie erst mal in der Rosenstraße, mit Häkelschal und Blümchen-Kopftuch, entdeckt im Fenster des Sammellagers ihren Mann, flüstert und schreit mit den anderen. Hans! Ernst! David! Fabian! Leander! Eine Polyphonie aus Namen und Leidenschaft. Toll, sagt Margarethe von Trotta und klatscht in die Hände. Bei tragischen Szenen, das kennt sie, geht es auf dem Set oft ziemlich lustig zu. Katja Riemann bittet die Gestapo-Komparsen noch, die Männer nicht zu schnell zusammenzuschlagen. Wegen der Distanz zwischen dem Namenschor und dem Schlüsselsatz. Zu viele Gefühle, zu schnell hintereinander, sind nicht gut für eine wahre Geschichte.

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