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Kultur: Seien wir geduldig!

Ein Holocaust-Mahnmal kann man nicht einfach "bestellen"VON HEINZ BERGGRUENAls Deutscher, als Berliner jüdischer Herkunft, verfolge ich seit Monaten mit Skepsis aber auch mit einem gewissen Unbehagen die Diskussion um das große Mahnmal, das man in meiner Heimatstadt zu errichten beabsichtigt.Stimmen pro und contra werden fast täglich in der Presse verlautbart.

Ein Holocaust-Mahnmal kann man nicht einfach "bestellen"VON HEINZ BERGGRUENAls Deutscher, als Berliner jüdischer Herkunft, verfolge ich seit Monaten mit Skepsis aber auch mit einem gewissen Unbehagen die Diskussion um das große Mahnmal, das man in meiner Heimatstadt zu errichten beabsichtigt.Stimmen pro und contra werden fast täglich in der Presse verlautbart.Das Projekt wird im eigentlichen Sinne "zerredet".Es ist meine entschiedene Meinung, daß mehr als genügend gestritten worden ist, und daß man das Projekt in seiner gegenwärtigen Form aufgeben sollte.Wie der Regierende Bürgermeister kürzlich im "Tagesspiegel" schrieb: "Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas wird kommen, wenn das überzeugende Gestaltungskonzept gefunden ist." Ein solches Konzept kann nicht, wie es bisher geschehen ist, durch eine "Ausschreibung" geschaffen werden.Man kann es nicht "bestellen".Es geht nicht um die Planung einer Fabrikanlage, einer Großgarage oder eines Kulturforums.Es geht um etwas, das in seiner symbolischen Bedeutung ein ungeheures, einzigartiges, extrem grauenhaftes Geschehen darstellt: die planmäßig sinnlose Vernichtung von sechs Millionen jüdischer Menschen.Wie kann man das durch ein Mahnmal begreiflich machen? Durch ein Mahnmal der Zerstörung, ein Mahnmal der Ermordung? Als 1937 Picasso von der republikanischen Regierung Spaniens eingeladen wurde, für den Pavillon seines Heimatlandes auf der Weltausstellung in Paris einen Beitrag zu leisten, ohne Anweisung allerdings, was er darstellen sollte, schuf er spontan das Großgemälde "Guernica" und damit eines der bedeutendsten, symbolträchtigsten Kunstwerke unseres Jahrhunderts.Über sechzig Jahre sind vergangen, seit Picasso dieses einzigartige Werk geschaffen hat.Es drückt die Tragik aus, die durch die namenlose Brutalität deutscher Kampfflieger über einen friedlichen Ort im Baskenland hereinbrach, um ihn in Schutt und Asche zu verwandeln.Über sechzig Jahre sind vergangen, seit Picasso "Guernica" malte, es ist so "aktuell" wie am ersten Tag. Ein Mahnmal soll nicht forciert werden.Es soll sich in organischer Entwicklung ergeben.Vielleicht kommt ein Picasso im neuen Jahrhundert, vielleicht schon früher.Vielleicht wird es ein Künstler sein, dem es gelingt, eine Gedenkstätte zu schaffen, die in ihrer Intensität und Ausstrahlung der unsagbaren Tragödie gerecht wird, die einen so tiefen Schatten über unsere Epoche geworfen hat. Süffisanz und satte Selbstzufriedenzeit müssen vermieden werden.Auch soll nicht versucht werden, aus drängenden und drückenden Schuldgefühlen eine schnelle "Lösung" zu finden.Nichts wäre bedauerlicher, als in Hast etwas entstehen zu lassen, das in seiner Mittelmäßigkeit der großen Aufgabe, die sich stellt, nicht gerecht wird und deren Realisierung bei späteren Generationen keine Beachtung findet oder, schlimmer noch, totales Unverständnis erweckt.Es geht um grenzenloses Unheil, an das erinnert werden soll.Seien wir geduldig, warten wir ab.Plötzlich möge ein Mahnmonument wie "Guernica" vor uns stehen. Der Autor war in Paris einer der wichtigsten Kunsthändler Picassos.Vor anderthalb Jahren kehrte mit seiner Sammlung klassischer Moderne in seine Heimatstadt Berlin zurück.

HEINZ BERGGRUEN

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