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Kultur: Seit 25 Jahren ist Max Hetzler Galerist, zuerst in Stuttgart, dann in Köln und nun in der Hauptstadt - ein Gespräch über die Kunst, die Baustellen und den Mythos Berlin

Welche Frage können Sie nicht mehr hören?Warum ich 1994 nach Berlin gekommen bin.

Welche Frage können Sie nicht mehr hören?

Warum ich 1994 nach Berlin gekommen bin. Ich habe 1974 in Stuttgart meine Galerie eröffnet und bin 1983 nach Köln umgezogen. Jetzt lebe ich hier, zeige europäische und amerikanische Kunst der Gegenwart und stelle neue Projekte von Architekten vor. Wer seine Rolle als Händler im internationalen Kontext und Diskurs ansiedelt und sich überlegt, wohin er gehen sollte, um mit seiner Galerie im Zentrum der Veränderungen zu arbeiten, hat keine Alternative zu Berlin. Hier bündeln sich inhaltliche Interessen, und alles strukturiert sich neu. Hier gibt es eine virulente Szene, die ansprechbar ist und als Partner für andere Städte in Frage kommt. Berlin ist die einzige Stadt in Deutschland, die im zeitgenössischen Bereich mehr als nur eine Handvoll relevanter jüngerer Künstler versammeln kann. Weshalb ich hier bin, beantwortet sich deshalb von selbst.

Bislang sieht es aber so aus, als ob die Stadt noch immer stärker ist als die Leute, die hier arbeiten. Ist Berlin eine Chimäre?

Natürlich sind die Erwartungen und der "Mythos Berlin" viel größer als das, was hier tatsächlich geschieht. Die Fähigkeit, das kreative künstlerische Potential in der Stadt selbst zu verarbeiten, hat sich noch nicht genügend ausgebildet. Aber die Erwartungen und der Mythos bringen Standortvorteile. Galeristen haben deshalb Zugang zu Künstlern, die sie in anderen Städten Deutschlands nicht hätten, ganz einfach weil die Künstler hier ausstellen wollen. Die Stadt zieht sie an.

Berlin ist nicht nur ein Standort.

Natürlich nicht. Der Traditionsbruch seit 1933 war - mit kurzer Unterbrechung in der Nachkriegszeit - bis zum Mauerfall durchgreifend. Nach dem Krieg war die Stadt ein dauerhaftes Provisorium. Niemand wusste, wie es enden würde. Und irgendwann hat niemand mehr darüber nachgedacht. Die Stadt lebte aus Situationen heraus. Nach dem Fall der Mauer berief man sich wieder auf den "Mythos Berlin". Aus eigener Kraft hatte die Stadt nach dem Krieg in der Kunst nichts Entscheidendes dargestellt. Das Kapital verdankte sie der politischen Situation, nicht der eigenen Kreativität. Deshalb gab es auch nichts, woran man nach dem Mauerfall ohne weiteres anknüpfen konnte. Doch Berlin ist jung. Die Stadt existiert - so wie wir sie kennen - kaum mehr als hundert Jahre. Deshalb sind die zehner und zwanziger Jahre, die den Mythos der Stadt begründet haben, eine relativ lange Zeit.

Glauben Sie, der Mythos ist aktiver Teil der Stadt?

Wenn sich jetzt zum Beispiel Peter Gay und Michael Blumenthal mit Berlin auseinandersetzen, dann ist das höchst bedeutungsvoll. Jetzt beginnen diejenigen zu sprechen, die die Stadt notgedrungen verlassen mussten, um der Deportation zu entgehen. Sie reflektieren Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend. Nach der Vereinigung beschäftigt man sich anders mit Berlin. Auch dass Heinz Berggruen seine Sammlung als Dauerleihgabe hier zeigt, ist bedeutungsvoll. Eigentlich gibt es dafür keine rationale Erklärung. Oder Helmut Newton. Weshalb will er sein Archiv und seine Sammlung hier haben? Irgendetwas ist in dieser Stadt wirksam, das wir, die wir hier sitzen, und es uns erklären wollen, noch gar nicht erklären können. Hat es etwas mit Nostalgie oder den Golden Twenties zu tun? Das bezweifle ich. Vielleicht ist es die Geschichte oder der Genius Loci, der diese alten Männer in die neue Stadt ruft. Es ist hier weder schön noch konfortabel. Wir sitzen mitten in einer Baustelle. Draußen drehen sich die Kräne. Es ist laut. Aber wir wollen hier sitzen. Und offenbar fasziniert das auch Künstler.

Fühlen Sie sich in der Stadt verstanden und Ihre Arbeit angemessen gewürdigt?

Die meisten Journalisten und Kritiker kennen das Werk der Künstler, die ich hier zeige, nicht. Die Kenntnislosigkeit ist erschreckend. Aber auch die jungen Künstler und Galeristen brauchen Zeit, um ihre Logistik aufzubauen. Sie müssen wissen, mit wem sie zusammenarbeiten und auf wen sie sich verlassen können. Viele Künstler, die ein Stipendium vom Künstlerhaus Bethanien, vom DAAD oder von der American Academy bekommen, bleiben nach dem Stipendium, weil die Stadt sie hält. Insofern funktioniert Berlin. Man reagiert auf diese Stadt. Ich auch. Als ich nach Berlin kam, gehörten junge Künstler wie Sarah Morris, Ellen Gallagher und Darren Almond noch nicht zu meinem Programm.

Sehen Sie aus dieser Generation bereits Stars am Horizont?

Nach Thomas Struth, Albert Oehlen, Katharina Fritsch hat man sich auf neue Namen aus der jüngeren Generation noch nicht geeinigt. Es gibt sie. Aber die Zeitspanne ist zu kurz, um es zu beurteilen. Bei Struth und Fritsch sprechen wir über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren, die an Werken überprüfbar sind. Bei den jungen Künstlern reden wir von fünf Jahren. Es gibt erstaunliche Karrieren. Franz Ackermann, Michel Majerus, Manfred Pernice haben vor wenigen Jahren angefangen und stellen nun überall aus. Hinzu kommen Leute, die wie Thomas Demand oder Hinrich Weidemann jetzt hier leben, aber bereits anderswo eine Geschichte haben. In den achtziger Jahren sind in Köln die Karrieren von Jeff Koons und Martin Kippenberger parallel entstanden. Ähnliches passiert jetzt hier. Sharon Lockhart und Jorge Pardo stellen in derselben Galerie aus wie Michel Majerus und Franz Ackermann. Das schafft ein Klima, das keine andere Stadt bietet. Es gibt starke Künstler, aber nicht die Karrieren der achtziger Jahre. Wenn die öffentlichen Institutionen beweglicher wären, würden sich auch die Karrieren beschleunigen. Doch nicht immer ist das auch gut für die Produktion der Künstler.

Die ökonomische Situation der Kunstszene ist miserabel und steht in keinem vernünftigen Verhältnis zum Ruf der Kunst in der Stadt. Gibt es Zeichen der Veränderung?

Wir befinden uns heute da, wo wir uns vor fünf Jahren hinbewegen wollten. Wir leben in einer Stadt, in der Kunst gedacht und produziert wird, die auch anderswo relevant ist. Das ist eine Voraussetzung für alles andere. In fünf Jahren wissen wir, welche Werke zählen. "Wahrheit ist Arbeit" hatten Oehlen, Büttner und Kippenberger einmal für ihren Katalog als Motto gewählt. Dem schließe ich mich an.

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