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Joaquin Phoenix und Philip Seymour Hoffman beim Filmfestival in Venedig

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Sektenfilm "The Master": Von Bestien und anderen Borderlinern

Joaquin Phoenix und Philip Seymour Hoffman stellen auf dem Filmfest Venedig Paul Thomas Andersons Sektendrama „The Master“ vor. Parallelen zu Scientology sind in aller Munde.

Joaquin Phoenix sitzt auf dem Podium im großen Saal des Casinò und schweigt. Kaut Kaugummi, lehnt sich weit nach hinten, schaut konsterniert oder wahlweise nach oben an die vergoldete, mit Spielkartenmotiven verzierte Decke des großen Spielsaals, schaltet das Mikro nicht an und setzt auch die Kopfhörer für die Übersetzung nicht auf. Einmal sagt er doch was, aber es ist nur ein kurzes „weiß ich nicht, danke für die Frage“. Dann raucht er eine Zigarette, verstohlen, unter dem Tisch. Der Exzentriker, von dem man zum ersten Mal hörte, als sein Bruder River Phoenix 1993 starb, der seitdem Erfolge mit dem Johnny-Cash-Biopic „Walk the Line“ und mit seiner Rolle als Kaiser Commodus in „The Gladiator“ feierte, um die Öffentlichkeit regelmäßig mit Skandalmeldungen und Rückzugs-Ankündigungen zu verwirren, macht seinem Ruf alle Ehre. Vor der Pressemeute in Venedig spielt der 37-Jährige den Unberechenbaren, den Rätselhaften, den Verweigerer im dunklen Hemd mit Krawatte.

In Paul Thomas Andersons Sektendrama „The Master“, der am Samstag bei den 69. Filmfestspielen uraufgeführt wurde, ist er Freddy Quell, ein traumatisierter, trunksüchtiger (auch Phoenix hatte mal Alkoholprobleme), mitunter gewalttätiger Weltkriegs-Veteran, ein Borderliner, der Anfang der 50er Jahre nicht in die amerikanische Gesellschaft zurückfindet, sich der Normalität verweigert und an eine Sekte gerät, sie heißt „The Cause“. Egal wie sehr der Regisseur und die Produzenten Parallelen von „The Cause“ zu Scientology seit Beginn der Dreharbeiten auch dementierten, sie sind in aller Munde, auch auf dem Filmfest am Lido. Schon weil der Boss von „The Cause“, Philip Seymour Hoffman, dem Scientology-Gründer L. Ron Hubbard ähnlich sieht. Die Frühzeit von Scientology, ja, damit hat es zu tun, konzediert der Regisseur nun in Venedig.

Hoffman also, der bullige, dämonisch-charismatische Hoffman als Religionsgründer, Psychoterrorist, Scharlatan. Phoenix ist sein Zögling, Jünger und Versuchskaninchen, vor allem sein Bruder im Geiste. Die Geschichte einer Zähmung? Ein Film über Spiritualität und Glaubenskrisen? Noch eine Vater-Sohn-Story? Nichts da, wehrt Paul Thomas Anderson all das ab, es ist ein Film über zwei Männer, ihre Freundschaft, ihre platonische Liebe, basta.

Die Pressekonferenz gerät zum aggressiven Squash-Spiel

Auch die anderen Fragen werden abgeschmettert, die Pressekonferenz gerät zum aggressiven Squash-Spiel, zur neuerlichen Manifestation der Verweigerung. Hoffman, der Guru, und Phoenix, der Wilde? Sie sind beide wild, erwidert Anderson und fasst sich an den Kopf. Marine-Soldat Freddy, ein fliegender Holländer? Der Regisseur weiß nicht, wovon die Rede ist. Andersons Freundschaft zum Scientology-Mitglied Tom Cruise? „Ich habe ihm den Film gezeigt, wir sind immer noch Freunde, der Rest bleibt unter uns.“ Was der Film über Amerika erzählt? „Oh fuck, God.“

Joaquin Phoenix ist zwischenzeitlich verschwunden, kehrt aber wieder zurück, das ist seine Spezialität. Als es darum geht, ob Anderson ein eher nervöser, am Set anstrengender Regisseur sei, raucht River Phoenix die zweite Zigarette und pustet den Qualm Richtung Decke. Philip Seymour Hoffmann versucht derweil, die Sache von der ironischen Seite zu nehmen. Trägt Basecap und braunes Polo-Shirt, fixiert die Journalisten mit kleinen, hellwach-verschmitzten Augen, reagiert auf die Bemerkung „Sie sehen erschöpft aus, Mr. Hoffman“ mit gespielter Empörung. „Ich bitte Sie, ich habe eben ein Nickerchen gemacht!“ Die Bestie in uns, das Widerspenstige, das sich nicht zähmen lässt, nicht nur nach Weltkriegen, auch darum geht es in „The Master“. „Ist es nicht das, was uns jeden Morgen beim Aufwachen als erstes durch den Kopf geht?“, fragt Hoffman. „Wie kann ich nackt durch die Straßen von Venedig laufen, ohne bestraft zu werden? Wie kann ich Sex mit jeder Frau haben, die ich begehre?“ Weil wir wissen, das geht nicht, suchen wir alle nach Gurus und Göttern, die uns lehren, uns zu beherrschen, fügt Hofmann hinzu.

Filmfestivals werden gern als internationale Kontaktbörsen gepriesen, als Feier der globalen Verständigung. Vielleicht sind sie deshalb so anfällig für Kommunikationsstörungen und Missverständnisse. Unmittelbar vor den Stars von „The Master“ sitzt der ägyptische Regisseur Ibrahim El Batout auf dem Podium. Er hat einen Film über die Revolution auf dem Tahrir-Platz nach Venedig mitgebracht. Er spricht über die Courage der Frauen in seinem Land, über Folter, Zukunftsängste und die Hoffnung, dass die Revolution für die 40 Millionen Ägypter, die immer noch unter der Armutsgrenze leben, nicht vergeblich war. Er freut sich über das Rieseninteresse an seinem Film und seinem Land, er steht auf und verbeugt sich mit gefalteten Hände vor der Presse. Noch ein Missverständnis. Hier drängeln sich alle nur, weil sie auf Joaquin Phoenix warten.

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