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Kultur: Seltsamer Mann

Über den verblassenden Mythos des Herbert von KarajanVON MANUEL BRUGHerbert von Karajan.Kein Dirigent vor ihm hat soviel Macht besessen; erarbeitet, erzwungen, angehäuft im brennenden Ehrgeiz, nicht nur der Beste, sondern auch der Mächtigste der Musikwelt zu sein.

Über den verblassenden Mythos des Herbert von KarajanVON MANUEL BRUGHerbert von Karajan.Kein Dirigent vor ihm hat soviel Macht besessen; erarbeitet, erzwungen, angehäuft im brennenden Ehrgeiz, nicht nur der Beste, sondern auch der Mächtigste der Musikwelt zu sein.Herbert von Karajan - "ein seltsamer Mann...", so hat einer sein Buch über ihn benannt, der es eigentlich wissen muß: Wolf Stresemann, der langjährige Intendanten-Grandseigneur des Berliner Philharmonischen Orchesters.Auch er wurde aus seinem unzugänglichen Chef nicht schlau.Herbert von Karajan stand mehr als dreißig Jahre lang diesem Klangkörper vor, von 1954 bis zum schmählichen Ende dieser einstigen Liebesheirat auf Lebzeiten, 1989, drei Monate vor seinem Tod im Juli.Heute wäre er 90 Jahre alt geworden. So lange wie es dauerte, das Imperium Karajani aufzubauen, so schnell ist es wieder zerstoben - nicht seine pekuniäre Hinterlassenschaft, die mehrt sich stetig -, aber seine Nachwirkung.Wie Grüße aus der Gruft muten die Nachgeborenen jene mit Leidenschaft betriebene Video- und Bildplatten-Hinterlassenschaften der letzten Jahre an: konserviertes Erbe, mumifizierte Töne, zu Lebzeiten schon für einen Nachruhm berechnet -, der heute kaum mehr vorstellbar scheint, soviel ist seither geschehen. Sein Salzburger Festspiel-Reich hat eine radikale Wende vollzogen.Das Berliner Philharmonische Orchester ist nicht länger die Primadonna auf der Berliner Kulturbühne.Die Hochkultur muß sich beständig ihr Kosten-Nutzen-Verhältnis vorrechnen lassen.Die autoritäre Gewalt eines Einzelnen vor seiner Orchesterhundertschaft ist gebrochen.Die Sinfonieorchester, bürgerliches Relikt des ausgehenden 19.Jahrhunderts, werden an der Schwelle zum 21.Jahrhundert nach ihrem Selbstverständnis und ihrer sich wandelnden Rolle in der Gesellschaft stärker hinterfragt. Wer weiß, wie lange eine mehr und mehr von der Popkultur und deren Markt geprägte Generation mit der musikalischen Hinterlassenschaft ihrer Erzeuger umzugehen bereit ist.Werden wir in 50 Jahren noch eine so breite Landschaft von Sinfonieorchestern haben, die vorwiegend ein "Erbe pflegt"? Oder werden nur die Besten als gehätschelte Stars überleben, neben wendigen, experimentellen Formationen, die sich ad hoc zusammenfinden, um gemeinsam an einem Stück Musik zu arbeiten? Die Neugründung des Ensemble Modern Sinfonieorchesters, das sich im November auch in Berlin vorstellen wird, könnte da einen Weg weisen. Herbert von Karajan: In Berlin ist es weder das Wunder, als das uns seine Plattenfirma digital recycelte CD-Hinterlassenschaft des Maestro nahebringen will, noch die Wunde, die womöglich bei manchem Philharmoniker nach dem unschönen Ende der Orchesterehe1988/89 blieb.Von den damaligen Musikern sind allenfalls ein Drittel noch vorhanden.In den zurückliegenden Jahren der inzwischen auch mit einem Endtermin versehenen Ära Claudio Abbado hat sich das Orchester radikal verjüngt und erneuert.So gibt es heute auch nur noch einige Karajaniken, die dem unnahbaren Göttervater von einst hinterhertrauern, obwohl nicht wenige zunächst Schwierigkeiten damit hatten, daß der neue Maestro ihnen als Erstes das "Claudio" anbot.Normaler Umgang unter Kollegen, selbst wenn einer Primus inter pares sein muß, war in der Berliner Orchesterrepublik für viele zunächst Neuland. Doch sie haben gelernt, daß in den Konzerten nicht mehr der süffige Karajan-Edelsound von ehedem gefragt ist, sondern jeder der vielen an dieses Pult tretenden Dirigenten, die längst nicht mehr Halbgötter im Frack sind, seine eigene Klangvorstellung mitbringt.Die ist umso radikaler, je weniger die Maestri den herkömmlichen Vorstellungen entsprechen.Daß die Musiker dieses jedoch zulassen, ja inzwischen sich oft von Dirigenten aus dem Bereich der Alten Musik wie Nikolaus Harnoncourt, John Eliot Gardiner oder Philippe Herreweghe stärker inspirieren lassen als von reisenden Routiniers, das ehrt sie.In dieser Hinsicht ist das am 20.April stattfindende Debüt von Roger Norrington sicherlich bedeutsamer als Karajans 90.Geburtstag. Heute wird gleichwohl endlich die verdiente Straße vor der Philharmonie nach ihm benannt.Das ist auch gut so.Genauso wie die Tafel, die der Verein Aktives Museum zwei Stunden später neben dem Schild anbringen wird, und die an die - hinlänglich bekannte - Nazi-Vergangenheit des Dirigenten erinnern soll.Wo Licht ist, ist auch Schatten: nichts Neues.Berechtig scheint freilich die Frage, wo denn die Straßen sind, die man in Berlin nach Bruno Walter, Erich Kleiber, Fritz Busch oder Leo Blech benannt hat, alles nicht nur für das Musikleben dieser Stadt bedeutsame Dirigenten.Dann schließlich die Erkenntnis, daß doch etwas geblieben ist von Karajan, etwas was ihm sicherlich nie das Wichtigste war: die 1970 gegründete, inzwischen vielfach nachgeahmte Orchesterakademie.Hier können sich angehende Musiker die so bedeutsame praktische Erfahrung im professionellen Orchesterspiel holen.Und das wiegt schwerer und sinnvoller als noch soviele neuaufgelegte CD-Editionen.

MANUEL BRUG

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