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Alte Helden. Straßenszene in Pjöngjang, unter Aufsicht der Ex-Präsidenten Kim Il-sung und Kim Jong-il.

© picture alliance / Wong Maye-E/A

Sensationsautor Bandi aus Nordkorea: Die Saat des roten Pilzes

Bandi aus Nordkorea wird als literarische Sensation gefeiert. Dabei ist fraglich, ob der Autor überhaupt existiert - und was an seinen sieben Erzählungen sensationell sein soll.

Fast jedes Land hinter dem Eisernen Vorhang hat in den langen Jahren des real existierenden Sozialismus und seiner literarischen Doktrin des Sozialistischen Realismus auch einmal ein bedeutendes, bahn- und doktrinbrechendes dichterisches Werk hervorgebracht. Die Sowjetunion Pasternaks „Doktor Schiwago“ oder Solschenizyns „Archipel Gulag“, Polen Marek Hlaskos „Achten Tag der Woche“, Rumänien Paul Gomas „Ostinato“, und selbst Albanien die schillernden Romane Ismael Kadarés. Einige dieser Bücher konnten nur konspirativ in den Westen gebracht werden und gelangten auf Umwegen ans Licht der literarischen Öffentlichkeit. Nur ein Land, das fernste und isolierteste des nur noch surreal existierenden Sozialismus, blieb bisher stumm: Nordkorea.

Nun versprechen uns Verlage in siebzehn Ländern eine „internationale literarische Sensation“ aus Nordkorea, wie der britische „Guardian“ jubiliert: Sieben Erzählungen von einem Verfasser mit dem Pseudonym Bandi. Präsentiert wird es von seinem „Entdecker“, dem Vorsitzenden einer Hilfsorganisation für nordkoreanische Flüchtlinge in Südkorea und einer von ihm beauftragten internationalen Literaturagentin. Beide kennen den Autor des angeblich von Verwandten über China nach Südkorea geschmuggelten Manuskripts nicht persönlich, obwohl sie einige Angaben über seinen Lebensweg kolportieren: Er sei 1950 geboren und in den siebziger Jahren in einigen Zeitschriften gedruckt worden, bevor er „in der Fabrik Schwerstarbeit leisten“ musste und sein „Traum, Autor zu werden, in weite Ferne rückte“.

Heute sei er „Mitglied des Zentralkomitees der Schriftstellervereinigung von Chonsun“, viele seiner Artikel würden in deren Zeitschrift gedruckt“. Merkwürdige Mitteilung, die den angeblich an Leib und Leben gefährdeten Autor eigentlich identifizierbar machen würde – wenn sie zuträfe. Thomas Reichart, Leiter des ZDF-Studios Ostasien in Peking, kommentiert im Vorwort der deutschen Ausgabe, Autor und Text seien nach seinen Recherchen „letztlich“ nicht verifizierbar. „Vieles ist vorstellbar, sogar dass Bandi ein Konstrukt ist.“ Auch eine Internetrecherche hilft nicht weiter; der Pariser „L’Express“ hingegen denkt bei Bandis Szenen aus Nordkorea sogar „an Orwell und Kafka, nur existiert dieses Land wirklich.“ Ob auch der Autor, kann „L’Express“ aber genauso wenig beantworten.

Von Orwell und Kafka ist, zumindest in der deutschen Übersetzung von Ki-Hyang Lee, wenig zu spüren. Was man allerdings dem Autor Bandi nicht anrechnen mag, dem ihre Werke so wenig zugänglich sein dürften wie uns die Literatur Nordkoreas. Ob er sich überhaupt selbst in den wenig kafkaesken Dialogen seiner deutschen Übersetzung mit Redewendungen wie „Scheiße! Du raubst mir noch den letzten Nerv“ und „Tomaten auf den Augen“ wiederfinden würde? Flotte Sprüche wie diese sind Fremdkörper in Bandis hölzerner, wenig individueller Sprache und Erzählweise, die sich selbst dort nicht von den Mustern des Sozialistischen Realismus lösen kann, wo sie Phrasen und Schönfärberei der verordneten Ideologie und ihrer Funktionäre anprangert. Spuren davon zeigt jede einzelne Erzählung. (Dazu passt die Legende, dass der Autor Bandi sein Manuskript unter einem Stapel seiner parteifrommen Schriften versteckt habe.)

Schon in der ersten Erzählung denunziert ein Blockwart Hausbewohner, die ihre Fenstervorhänge schließen, weil sich ihr kleines Kind vor den überdimensionalen Schaubildern von Marx und Kim Il-sung gruselt, die es für böse Gespenster hält. In der zweiten fällt ein alter Pferdekutscher aus Enttäuschung über Polizeiwillkür einen Baum, den er zur Erinnerung an seinen Parteibeitritt vor seinem Haus gepflanzt hat. In der fünften Erzählung tritt der Große Vorsitzende persönlich auf, um eine Frau für seine Propaganda zu instrumentalisieren, während ihr Mann und Kind seinetwegen bei einer Verkehrssperrung für seine Wagenkolonne zu Schaden kommen. Eine weitere Erzählung schildert den Lernprozess eines allzu gefügigen Journalisten, der mit ansehen muss, wie ein parteitreuer Fabrikleiter in einem Schauprozess „alles verloren, weil er alles gegeben hat.“

Der Reigen der sieben Erzählungen schließt mit einer Anklage gegen Karl Marx, das „Gespenst“ als Kinderschreck der ersten: „Was hat dieses Gespenst aus Europa bloß für einen Samen gesät? Was der Mann mit dem Löwenkopf ohne Unterlass gepriesen hat, das war die Saat des roten Pilzes, die Quelle all dieses Unglücks und Leids ... Diesen giftigen Pilz, reißt ihn aus der Erde, auf dem ganzen Planeten, rottet ihn aus für immer!“ Und wenn alles mit einem Atompilz endet?

Bandi: Denunziation, Erzählungen aus Nordkorea. Aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee. Piper Verlag, München 2017. 224 Seiten, 20 €.

Hannes Schwenger

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