zum Hauptinhalt
Zu Zoran Djindjics Trauermarsch in Belgrad kamen Hundertausende.

© dpa

Serbien: Chronik eines angekündigten Todes

Es war der Schuss in Serbiens Herz: Vor zehn Jahren wurde der erste demokratisch gewählte Premier Zoran Djindjić ermordet. Was wurde aus seinen Reformideen?

Belgrad im Herbst 2000. Mehr als ein Jahr liegen die Bombardierung durch die Nato und die militärische Räumung des Kosovo zurück. Slobodan Milošević will durch Neuwahlen seine Herrschaft erneut legitimieren. Er leidet bereits an Realitätsverlust, die Serben wollen ihm nicht mehr folgen. Einige wenden sich von ihm ab, weil er Kriege geführt hat. Viele tun es, weil er diese Kriege verloren hat.

Es schlägt die Stunde der Opposition. Ihre Zersplitterung ist für ihren Hauptstrategen Zoran Djindjić eine genauso große Herausforderung wie die Aggressivität von Miloševićs Regime im Rückzugsgefecht. Djindjić, promovierter Philosoph aus der Habermas-Schule, der als Student im Frankfurter Karl-Marx-Buchladen gelegentlich Bücher von einem Verkäufer namens Joschka Fischer erwarb, ist intelligent und pragmatisch. Ihm gelingt es, vor der Präsidentschaftswahl im September 2000 sehr unterschiedliche Gruppierungen und Parteien im Wahlbündnis DOS (Demokratische Opposition Serbiens) auf ein Ziel einzuschwören: Milošević muss weg! Auch die Studenten unterstützen ihn.

Auch Djindjićs nächster Schritt, einen für alle wählbaren Kandidaten unter den 18 Parteien im DOS zu finden, ist erfolgreich: Er verhilft dem bis dahin unauffälligen erzkonservativen Nationalisten Vojislav Koštunica zur Spitzenkandidatur. Wohl wissend, dass er selbst keine Chance hätte – zu reformfreundlich, zu weltoffen, zu westlich.

Die Opposition gewinnt die Wahl. Milošević reklamiert dennoch den Sieg für sich. Die Folgen: ein landesweiter Generalstreik, große Demonstrationen – und der Generalstabschef weigert sich, auf die Massen schießen zu lassen. Doch wie wird die Spezialeinheit der Roten Barette reagieren? Deren Mitglieder haben in Bosnien, Kroatien und im Kosovo gekämpft und stehen zu ihrem Kommandanten, dem Ex-Fremdenlegionär Milorad Ulemek, genannt Legija. Djindjić holt ihn ins Boot. Was er nicht weiß: Er sieht seinem künftigen Mörder in die Augen. Zunächst kann er den wegen seiner Verbindungen zur organisierten Kriminalität berüchtigten Offizier von der Sache der Opposition überzeugen. Endlich akzeptiert Milošević die Wahlniederlage.

Vor dem Attentat dominierte eine Hasshetze die nationalistischen Medien

Zoran Djindijć (1952-2002), erster demorkatisch gewählter Premier Serbiens.
Zoran Djindijć (1952-2002), erster demorkatisch gewählter Premier Serbiens.

© dpa

Bei den Parlamentswahlen siegt die Opposition, Djindjić wird Ministerpräsident. Eine seiner ersten Amtshandlungen ist die Verhaftung Miloševićs und dessen Auslieferung nach Den Haag 2001. Der neue serbische Staatspräsident Vojislav Koštunica spricht sich offen dagegen aus. Um ihn scharen sich die Reste des alten Regimes und diejenigen, die zumindest Miloševićs nationalistische Ziele weiter für richtig halten. In seiner kurzen Amtszeit ringt Djindjić mühsam um Demokratisierung und Modernisierung. Er will Serbien schnell und radikal umgestalten. Doch er ist politisch einsam, seiner Zeit zu weit voraus.

Der derzeitige Präsident, Tomislav Nikolić, damals Nummer zwei der extrem nationalistischen Radikalen Partei, unkt im Februar 2003 bei einer Kundgebung in Belgrad: Zoran Djindjić müsse aufpassen, denn vor seinem Tod hätte auch Tito Probleme mit seinem Fuß gehabt. Djindjić erholt sich gerade von einer Beinoperation, das Bild des Ministerpräsidenten mit Krücken ist allgegenwärtig. Jeder weiß: Tito wurde unmittelbar vor seinem Tod 1980 ein Bein amputiert.

Nur ein Wort in den Hasstiraden des Hardliners Nikolić? Oder wusste er schon, dass Djindjić ein paar Wochen später sterben wird? Natürlich verneint Nikolić dies. Doch der bittere Nachgeschmack bleibt. 2008 gründet er eine für serbische Verhältnisse gemäßigt nationalistische Partei, die ihm 2012 den Präsidentenposten bescherte. Nun gibt er sich als Europäer und Bekämpfer der Korruption.

Doch vor der Ermordung Zoran Djindjićs dominierte eine Hasshetze der nationalistischen Medien die Stimmung im Land. Am 12. März 2003 tötet der Scharfschütze Zvezdan Jovanović den 50-jährigen Djindjik mit einer Kugel ins Herz, als dieser gerade das Belgrader Regierungsgebäude betreten wollte. Legija soll den Befehl gegeben haben.

Bei der Beerdigung des Ministerpräsidenten erscheinen Hunderttausende. Als toter Märtyrer findet Djindjić den Weg zurück in die Herzen. Auf der Beerdigung spiegelt sich auch die damalige Hierarchie in der Demokratischen Partei. Die Parteifreunde, die Djindjić zu Grabe tragen, werden als Nachfolger gehandelt, vor allem Vize-Parteichef Zoran Živković. Er übernimmt die Regierungsgeschäfte und leitet die Polizeiaktion, in der die Mörder des „Kennedys vom Balkan“, gefasst werden. Sie sitzen heute hinter Gittern, ihre Auftraggeber blieben unbekannt.

Auch Čedomir Jovanović gehörte zu Djindjićs Sargträgern. Der politische Ziehsohn Djindjićs wird unter Živković Vize-Regierungschef. Doch einer aus der zweiten Reihe, der dem Premier ferner gestanden hatte, setzte sich in der Demokratischen Partei durch: Boris Tadić. Auch er trug den Sarg mit.

Der aktuelle Präsident Tomislav Nikolić gibt sich EU-nah

Zoran Djindijć (1952-2002), erster demorkatisch gewählter Premier Serbiens.
Zoran Djindijć (1952-2002), erster demorkatisch gewählter Premier Serbiens.

© dpa

Boris Tadić siegt 2004 bei den serbischen Präsidentschaftswahlen. Aber führte er auch die Politik Djindjićs fort? Jein. Er liefert die mutmaßlichen Kriegsverbrecher Radovan Karadžić und Ratko Mladić nach Den Haag aus, besucht Srebrenica und die 1991 zerstörte kroatische Stadt Vukovar. Doch die Reformideen Djindjićs nimmt er nicht auf und hat keine Antwort auf die Finanzkrise, unter der Serbien bis heute leidet. Die Hauptfiguren der durch Kriege, Privatisierungen und krumme Geschäfte märchenhaft reich gewordenen Wirtschaftselite bleiben unter ihm juristisch unantastbar.

Auch die von Tadić betriebene „Nationale Versöhnung“ ist umstritten. Er benutzt die Sozialistische Partei des 2006 in Den Haag verstorbenen Milošević als Mehrheitsbeschaffer für die Regierungsbildung 2008. Für diese Partei wirkt das wie ein Persilschein.

Unter Tadić bekommt die Demokratische Partei nie ein sozialdemokratisches Profil, obwohl Djindjić dafür gesorgt hat, dass die Demokraten in die europäische sozialdemokratische Familie aufgenommen wurden. Die Parteielite, größtenteils neoliberal, ist kaum sensibilisiert für die Nöte der Bürger. Tadić verabschiedet 2008 im Konsens mit den Nationalisten die neue Verfassung Serbiens, in der Kosovo als Teil Serbiens festgeschrieben wird. Das Profil der Partei geht verloren.

Tomislav Nikolićs Fortschrittspartei setzt im Wahlkampf 2012 auf Populismus und Korruptionsbekämpfung und siegt sowohl bei den Präsidentschafts- als auch den Parlamentswahlen. Tadić blieb nur Ehrenvorsitzender der Demokratischen Partei. „Ein großartiger Sieg einer Idee“, nennt er den EU-freundlichen Kurs der einstigen Gefolgsleute Miloševićs, die das Land heute regieren. Die Politiker, die er nach dem Tod Djindjićs marginalisierte und aus der Partei herausekelte, sehen das kritischer. Nichts habe sich in Serbien zum Besseren verändert, im Gegenteil. „Das Land plagen zusätzliche Probleme, die in den letzten sieben oder acht Jahren entstanden sind“, sagt Zoran Živković. „Da ist vor allem die Korruption von biblischem Ausmaß.“ Auch Čedomir Jovanović stellte kürzlich fest, dass all die Veränderungen in Serbien unter Tadić nicht im Sinne von Djindjić geschehen seien. In Serbien sei nach wie vor jeder unglücklich, die Nationalisten, die Europäer, du und ich.

Dennoch hat sich eine relativ stabile Mehrheit von EU-Befürwortern herausgebildet. Präsident Nikolić tut im Großen und Ganzen das, was die EU von ihm erwartet, und erntet dafür Lob aus Brüssel. Es sieht so aus, als würden die einstigen Milošević-Anhänger Djindjićs Vision nun langsam umsetzen.

Der Autor ist Schriftsteller und leitet die serbische Redaktion der Deutschen Welle in Bonn.

Dragoslav Dedović

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false