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Kultur: Serbiens falsches Signal

In Belgrad wird heute der neue Präsident vereidigt – ausgerechnet am Jahrestag des Massakers von Srebrenica

Von Caroline Fetscher

Als „Willy Brandt von Serbien“ haben die Medien in seinem Land den neuen Präsidenten Boris Tadic schon gefeiert. Vielleicht sollten sie etwas weniger vollmundig klingen. Etwas leiser. Denn der erklärte Demokrat und gelernte Psychologe Tadic hat sich ein denkbar ungeeignetes Datum für die Zeremonie ausgesucht, an der er seinen Amtseid ablegt. Auf ein schweres Datum fällt der Tag, ein Datum ohne Vergleich in den Zerfallskriegen auf dem Balkan. Denn am 11. Juli 1995 begann an dem Ort Srebrenica in Ostbosnien – unter den Augen von Blauhelmsoldaten der Uno – das größte Massaker in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.

Achttausend muslimische Jungen und Männer wurden hier von serbischen Soldaten und Milizen erschossen. Krude durchgeplant, mit perfider Logistik und kaltem Auge, dauerte das Morden nur einige Tage. Das Leiden abertausender Angehöriger aber hält seitdem an. Über sechzig Massengräber haben Ermittler inzwischen sichergestellt. Und Jahr für Jahr ist der 11. Juli in Bosnien ein Tag der Trauer. Anfang Juni hat sogar der Präsident der bosnischen Serben, Dragan Cavic, öffentlich und im Fernsehen erklärt, Srebrenica sei „eine schwarze Seite in der Geschichte der Serben“.

In Belgrad scheint man auch unter Tadic so weit noch nicht zu sein. Das Entsetzen über die Wahl dieses Tages zum Amtsantritt eines neuen serbischen Präsidenten hält bosnische Spitzenpolitiker davon ab, an der Zeremonie teilzunehmen. In Sarajevo schrieb die Zeitung „Oslobodjenje“ am 7. Juli auf der Titelseite: „An diesem Tag, und das weiß man in Tadics Umfeld in Belgrad ebenso genau wie in der serbisch-montenegrinischen Botschaft in Sarajevo, jähren sich die schrecklichen Gräueltaten in Srebrenica. An diesem Tag – auch das wissen sie sehr wohl – werden wieder Ermordete aus Srebrenica beerdigt. Europa wird an diesem Tag einmal mehr vor Scham erröten.“

In Serbien, dem Land der meisten Täter und Anstifter der Kriege in den Neunzigerjahren, gibt es Sekt und Händeschütteln, Applaus und Musik, während Boris Tadic auf die Ehre seines Amtes, die Treue und Hingabe an sein Land schwört und dann anstoßen darf. In einem kleinen Vorort Srebrenicas, Potocari – benannt nach den Brückenmühlen der ländlichen Gegend –, sind 20000 Trauernde am Mahnmal für Srebrenica zu einer Beerdigung versammelt. Nicht ein einzelner Sarg, sondern 338 Särge werden dort heute in die Erde gesenkt. Darin liegen die sterblichen Überreste von Toten, die einen Namen erhalten haben, wie der Vater von Fadila Omerovic, die noch ein kleines Mädchen war, als ihr die Täter ihn genommen haben. Allein anhand genetischer Tests erhalten die Ermordeten ihre Identität zurück. 989 von ihnen wurden bisher identifiziert, 5000 Exhumierte liegen in den Hallen der Ermittlungsbehörden, viele weitere noch unentdeckt in den Gräbern.

Nein, sagen sie in der serbisch-montenegrinischen Botschaft in Sarajevo, das Datum sei reiner Zufall, verfassungsgemäße Verfahren hätten es diktiert, es habe „keinen politischen Hintergrund“. Vielleicht, sagt der ehemalige bosnische Botschafter für Serbien-Montenegro, Zeljko Komsic, „aber das Zusammentreffen der beiden Daten weist darauf hin, dass hier etwas nicht stimmt“. So kommt es zu diplomatischen Verwerfungen – und zu traumatischen Schreckmomenten bei Bosniaken.

Sulejman Tihic jedenfalls, Mitglied der bosnisch-herzegowinischen Präsidentschaft, wird in Potocari sein. Wie sein kroatischer Kollege hat er die Einladung nach Belgrad ausgeschlagen. Dragan Cavic, Präsident der „Republika Srpska“, konnte nach Österreich ausweichen – auf die Trauerfeier für den Bundespräsidenten Thomas Klestil. Welche „Westler“ aber, fragt man sich angesichts der diplomatischen Fehlleistung des Boris Tadic, beraten eigentlich die serbische Elite? Oder erwies sich die als resistent gegenüber klugem Rat?

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