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Kultur: Serge, toujours

Gainsbourg-Chansons in japanischer Verpackung: Jane Birkin singt im Berliner Kammermusiksaal

Kaum steht Jane Birkin auf der Bühne des Kammermusiksaals, demonstriert ihre japanische Begleitband den Willen zum Schrägen, indem sie den Rumpelbeat von Serge Gainsbourgs „Requiem pour un con“ noch eine Spur verwegener spielt. Eine raffinierte Wahl, denn der neuralgische Punkt eines jeden Birkin-Konzerts ist der erste Song, sind die ersten Schrecksekunden, in denen sich das Publikum auf das latent Unvirtuose, das charmant Karaokehafte ihrer Stimme einstellen muss. Besser nicht zu langsam, zu wacklig in den Abend starten. Und dann dieser Text. „Hör mal, die Orgel. Sie spielt nur für dich. Es ist das ‚Requiem für einen Arsch’.“ Eine Strophe genügt, und man ist mittendrin im Kosmos des begnadeten Provokateurs mit der – doch, doch! – sensiblen Seele. Zugleich ist der Song eine Art Vermächtnis: Ein Remix des Sixties-Titels erschien unmittelbar nach Gainsbourgs Tod vor 20 Jahren. Der perfekte Abgang, und ein glorioses Entree für seine inoffizielle Witwe.

Einst hatte sie geklagt „Was kann ich nach Serge denn noch singen?“ – und dann eine wunderbare Karriere mit neuen, bisweilen geisterhaft durchscheinenden und zuletzt auch selbst getexteten Chansons hingelegt. Zwischendurch aber immer wieder: Serge, Serge, Serge. Ihre „Versions Jane“ von 1996 waren angespitzt wie neue Bleistifte, sechs Jahre später hüllte sie seine Songs auf dem Livealbum „Arabesque“ in orientalische Gewänder. Nun also eine Annäherung „via Japan“, wie die kleine Welttournee von Heidelberg bis Brisbane betitelt ist. Über die Genese des Programms, nachzulesen auf Birkins Homepage, verliert die Sängerin auf der Bühne kein Wort. Nach dem Erdbeben, dem Tsunami und der Reaktorkatastrophe im März hatte sie sich zu einem Solidaritätskonzert in Tokio entschlossen. Vorbereitungszeit für die einheimischen Musiker: vier Tage. Das Experiment gelang, nun geht es in die Verlängerung.

Wie also klingt die japanische Sicht auf den großen Franzosen? Auch hier stellt der Eröffnungssong die Weichen. Immer wenn das Ensemble aus Klavier, Geige, Trompete und Schlagzeug zu eigensinnigen Tönen findet, beginnen die längst kanonisierten Chansons aufs Neue zu funkeln. Vor allem bei den ätherischen Songs von „Amours des feintes“, Gainsbourgs todessehnsüchtigem, letztem Album für Birkin, beschränken sich die Arrangements des Pianisten Nobuyuki Nakajima zuweilen auf brave Untermalung. Oder „Classée X“ aus den Siebzigern: Der Song über eine Schauspielerin, die sich in der Pornoschublade wiederfindet, sollte lakonisch und nicht, wie hier, nostalgisch klingen.

Dann wieder nimmt sich das Quartett alle Freiheiten und verschneidet Gainsbourg mit Strawinsky und Satie. In diesen grandiosen Miniaturen entstehen Wirbel aus Jazz, Nonsense und Zirkusmusik, als stünde man auf einer Verkehrsinsel mitten in Paris, umtost von Oldtimern. Am Ende von „Ces petits riens“ gibt es dafür sogar Applaus von der Interpretin. An Dynamik übertroffen werden diese Eskapaden noch durch die Neuinterpretation des Klassikers „Comic Strip“. Die Comic-Geräusche, im Original von Brigitte Bardot, stimmt nun die sonst so diszipliniert aufspielende Geigerin an. Sie meistert den skurrilen Part mit amüsierter Todesverachtung und überraschend kräftigem Katzenorgan: „Shebam! Pow! Blopp! Whiiiizzz!“ Gainsbourg als Nippon-Pop, dann doch große Klasse.

Jane Birkin kann übrigens immer noch die schönsten Danksagungen und Komplimente machen. Den Drummer, einen stets konzentriert und verschmitzt dreinschauenden Brillenträger mit kunstvollem japanischen Herren-Dutt, stellt sie so vor: „Am Morgen neben diesem Gesicht aufzuwachen muss eine solche Freude sein.“ Dear Jane! Reinhard Krause

Reinhard Krause

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