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Kultur: Sergio Ramirez im Interview: Die verlorene Liebe

Sergio Ramirez (58) ist einer der wichtigsten Schriftsteller Lateinamerikas. Als Gegner des Somoza-Regimes emigrierte er Anfang der 70er Jahre, zwei Jahre war er DAAD-Stipendiat in Berlin.

Sergio Ramirez (58) ist einer der wichtigsten Schriftsteller Lateinamerikas. Als Gegner des Somoza-Regimes emigrierte er Anfang der 70er Jahre, zwei Jahre war er DAAD-Stipendiat in Berlin. Nach seiner Rückkehr gründete er "Los Doce", eine Vereinigung von Intellektuellen, die den Kampf der Sandinisten unterstützten. Nach dem Sturz Somozas war er von 1984 - 1990 Nicaraguas Vizepräsident. Ramirez hat in diesem Semester die Samuel-Fischer-Gastprofessur für Literatur an der FU-Berlin inne, die vom Fischer-Verlag, dem DAAD und dem Veranstaltungsforum der Holtzbrinck-Gruppe eingerichtet wurde.

Señor Ramirez, Ihr neues Buch über die sandinistische Revolution vor 20 Jahren heißt "Adios Muchachos". Das klingt nach einem schmerzlichem Abschied.

Diee Revolution ist für mich wie eine verlorene Liebe. Sie ist ein Teil meines Lebens. Ich bin wiederum ein Teil einer Generation, die die Welt ändern wollte. In Nicaragua haben wir das versucht. Es sind sentimentale Erinnerungen an einen Traum, der nicht zu Ende geträumt wurde.

Was war das für ein Traum?

Es war die Utopie des Sozialismus. Diese Idee erlitt 1990 bei den Wahlen in Nicaragua eine Niederlage. Die sandinistische Revolution war die letzte des vergangenen Jahrhunderts. Und auf Cuba ist Fidel Castros Revolution eine, die im Museum gelandet ist.

Spricht eigentlich in Nicaragua überhaupt noch jemand von der Revolution, die 1979 den Diktator Somoza aus dem Amt fegte?

Nein. Die Sandinisten sind jetzt eine ganz gewöhnliche Partei wie jede andere. Keiner will mehr das System verändern. Mich schmerzt vor allem, dass die alten Werte von damals verloren gegangen sind, vor allem die Solidarität, zum Beispiel mit den Armen. Das Materielle steht in Nicaragua jetzt wie überall, im Vordergrund. Jeder will nur noch reich werden, auf Kosten der anderen und in möglichst kurzer Zeit.

Gibt es in Zeiten der Globalisierung keinen Platz mehr für Revolutionen?

Wenn es heute noch Revolutionen geben würde, dann hätten sie eine andere Bedeutung: Es ginge um Ehrlichkeit. Es wäre ein Kampf gegen Korruption und Bestechlichkeit, gegen die, die den Staat bestehlen.

Dann müssten Sie die halbe Welt ins Gefängnis stecken!

Ja, die Moral ist verloren gegangen. Die Idee des Kollektivs gibt es seit dem Ende der 80er Jahre nicht mehr. Früher ging es darum: Wie machen wir alle Menschen gleich reich. Heute geht es darum: Wie mache ich mich möglichst schnell reich.

Der Kapitalimus hat gesiegt?

Es sieht derzeit danach aus, dass nach dem Triumph des Marktes die Erste Welt, also die Industrienationen, allein überleben wird. Die Dritte Welt, gewissermaßen die letzte Welt, wird es nicht schaffen. Ein Fehler des Sozialismus war es auf jeden Fall, dass alles Wirtschaftliche nicht beachtet wurde. Daran ist vieles gescheitert.

Wie stand denn seinerzeit die deutsche Linke der Freiheitsbewegung gegenüber?

Politische und moralische Unterstützung kam vor allem von Willy Brandt. Und unzählige Solidaritätsgruppen sind damals entstanden,allein in Deutschland mehr als 300. Da fanden grüne Linke, Linksradikale, gemäßigte Linke und Sozialdemokraten zusammen, was ja sonst nicht der Fall war.

Haben sich diese "Feierabendrevolutionäre" aus der Ferne ein richtiges Bild gemacht oder alles verklärt?

Ein bisschen war das sandinistische Nicaragua für die jungen Leute in Deutschland wie das republikanische Spanien Anfang der 30er Jahre und dessen Kampf gegen den Diktator Franco. Die Leute haben bei der Alphabetisierung geholfen, Schulen gestrichen, Krankenhäuser aufgebaut und den Bauern unter die Arme gegriffen. Die haben zum Teil auch mitgelitten; manche sind bei Angriffen der Contras gestorben.

Einige deutsche Politiker hatten kürzlich erhebliche Probleme mit ihrer 68er-Vergangenheit. Sie mussten sich rechtfertigen oder gar entschuldigen. Wie wirkt das auf Sie?

Als Außenminister Joschka Fischer auf Polizisten losging, war er ein junger Mann. Und die Welt war eine völlig andere. Wenn Sie mich jetzt fragten: Würden Sie das, was Sie vor zwanzig Jahren getan haben, heute wieder tun, wäre meine Antwort Ja - vorausgesetzt ich wäre noch ein relativ junger Mensch. Aber als inzwischen fast 60-Jähriger würde meine Antwort Nein lauten.

Für eine Idee, die man früher einmal realisieren wollte, braucht man sich nicht zu entschuldigen?

Auf keinen Fall. Man müsste ja um Verzeihung für seine eigene Jugend bitten. Und wer, wenn nicht die Jungen, können versuchen, Neues zu schaffen.

Señor Ramirez[Ihr neues Buch über die]

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