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Serie: Anfang oder Ende

In der letzten Folge der Tagesspiegel-Sommerserie "Der feine Unterschied" blickt Christiane Peitz zurück nach vorn.

Einatmen. Ausatmen. Und nochmal: Ein, aus, rein, raus, plus, minus, ja, nein, Vorhang hoch, Vorhang zu, Ouvertüre, Finale, Alpha und Omega, A und O, Kuss und Schluss: Dazwischen liegt das Alphabet, der Lauf des Lebens, das ganze große Welttheater. Eins oder Null: Das digitale Zeitalter kennt keine andere Option. Jeder Einatmer eine Neugeburt, jeder Ausatmer ein kleiner Tod – und doch machen wir weiter. Alles auf Anfang, ein Ende ist nicht abzusehen, und die Ersten werden die Letzten sein. So hätten wir’s jedenfalls gerne: Anfang und Ende innig ineinander verschlungen zur liegenden, unendlichen Acht. Das Leben, ein Loop.

Alpha oder Omega? Umgekehrt wird ein Clou draus. Die Jakobspilger gruppierten die griechischen Buchstaben gern in falscher Reihenfolge um das Christogramm herum. F. Scott Fitzgeralds Short Story „The Curious Case of Benjamin Button“ macht daraus eine herzlich normale Geschichte: 50-Jähriger verliebt sich in 30-Jährige und wird täglich jünger. Zurück in die Zukunft: Martin Amis’ Roman „Der Pfeil der Zeit“ beginnt im Sterbebett und endet im Mutterleib, auch Andrew Sean Greers „Erstaunliche Geschichte des Max Tivoli“ verfolgt ein rückwärts gelebtes Leben. Im Kino lernten die Bilder bei Christopher Nolans „Memento“ rückwärts laufen, und François Ozons PaarMelodram „Fünf mal Zwei“ stellt das Glück auf den Kopf: eröffnet mit der Scheidung und schließt mit der ersten Begegnung – ähnlich wie Harold Pinters Dreierbeziehungskiste „Betrayal“. Der erste Augenblick, die leere Leinwand, das weiße Blatt zuallerletzt? Ach nein, das Ende vor dem Anfang ist auch keine Lösung.

Der liebe Gott braucht sich nicht zu entscheiden. Offenbarung des Johannes, Kapitel 22, Vers 13: „Ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende.“ Wir Irdischen müssen leider die Reihenfolge einhalten. Ein Trost: Auch jedem Ende wohnt ein Zauber inne, und es ist nicht unbedingt immer ein böser. Jetzt mach’ mal einen Punkt: Nur Alpha-Tiere mit Omega-Uhren wollen immer höher, schneller, weiter.

Hiermit endet unsere Sommerserie „Der feine Unterschied“. Erschienen sind: Ernie oder Bert (15. 7.), Kastrat oder Counter (17.7.), Beuys oder Boyce (19.7.), Sein oder Nichtsein (22.7.), Gibson oder Fender (25.7.), Episch oder lakonisch (27. 7.), Baum oder Borke (29.7.), Platte oder Player (2.8.), Jules oder Jim (9.8.), Zu mir oder zu dir (12.8.), Bordeaux oder Burgunder (17. 8.), Rechts oder links (19. 8.)

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