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Serie zur Frauenquote: „In Christus ist nicht Mann noch Frau“

Es geht nicht um eine Zeitströmung, sondern um das Evangelium: Wie die evangelische Kirche ohne Quote Gleichberechtigung schafft

Man reibt sich die Augen: Während in Politik, Wissenschaft und Gesellschaft über eine Frauenquote diskutiert wird, findet in der evangelischen Kirche eine Debatte mit umgekehrtem Vorzeichen statt. So äußerte der Münchner Theologieprofessor Friedrich Wilhelm Graf die Befürchtung, es könne in der evangelischen Kirche künftig zu viele Frauen in Leitungspositionen geben. Er sieht in der Theologenausbildung derzeit zu viele „Mutti-Typen“ mit einem „Kuschel-Gott“-Verständnis, die er sich nicht als intellektuelle Repräsentantinnen einer gesellschaftlich relevanten Theologie vorstellen mag. Andere reden von „Sopranisierung“. Die evangelische Kirche sei wie ein Chor, der dringend Männerstimmen brauche. In den Aufnahmegesprächen zum Pfarramt habe ich ein anderes Bild gewonnen. Dort erlebe ich engagierte junge Frauen, die Lust auf die Leitungsposition im Pfarramt haben.

Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) fasste schon 1989 folgenden Beschluss: „Es ist anzustreben, dass in die Leitungs- und Beratungsgremien der evangelischen Kirche Frauen und Männer in gleicher Zahl gewählt oder berufen werden.“ 40 Prozent Frauen wurde als Zielmarke – nicht als Quote – für die Synode selbst festgelegt. In der Folgezeit wurden begleitende Maßnahmen etabliert. Ein Frauenstudien-Zentrum, Frauenreferate, Beratungsprogramme für Frauen, die Berufseinsteigerinnen mit leitungserfahrenen Frauen zusammenbringen, Förderung theologischer Forschung aus der Perspektive der Frauen, Richtlinien für Ausschreibungen und Bewerbungsgespräche, Personalentwicklungsmaßnahmen und Fortbildungsprogramme, Möglichkeiten für Teilzeitarbeit ohne Verlust der Aufstiegschancen.

Die EKD-Synode zählt heute 46 Prozent Frauen. In Gemeindeleitungen engagieren sich bundesweit 67 198 Männer und 68 120 Frauen. Es gibt 32 Prozent Frauen im Pfarramt (während die Teilzeitpfarrstellen zu 60 Prozent von Frauen besetzt sind). Wenn Pfarrkonvente singen, ist also der Bass noch stark. Mittelfristig werden die Frauen aber die 50-Prozent-Marke überschreiten. In der Leitung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz diskutieren neun Frauen und zehn Männer. Das Verwaltungsamt wird von einem Präsidenten und einer Pröpstin sowie drei Frauen und vier Männern geleitet. Zwei Frauen und zwei Männer bilden mit Pröpstin und Bischof den geistlichen Leitungskonvent. Bei den Bischöfen schwächelte die Frauenquote in letzter Zeit. Erfreulicherweise gab es jüngst zwei Wahlen mit je zwei weiblichen Kandidatinnen in der nordelbischen und der westfälischen Kirche.

Die evangelische Kirche steht also nicht schlecht da, dennoch ist der ursprüngliche Elan verflogen. Offenbar verschieben sich Fragestellungen. Da gibt es einerseits den Vorwurf, zu viele Frauen im Pfarrberuf würden die Qualität mindern. Andererseits existiert die Auffassung junger Frauen, dass der Kampf vorbei sei. Cornelia Füllkrug-Weitzel, Chefin von „Brot für die Welt“, hat festgestellt, dass Mitarbeitende ohne Familienpflichten es als belastend empfinden, wenn durch familienbedingte Auszeiten Personalstellen mit Mehrfachvertretungen blockiert werden. Singles fühlen sich ausgenutzt, weil sie keinen allgemein akzeptierten Grund dafür nennen können, Zusatzbelastungen abzulehnen. Teams wünschen sich „endlich wieder einen Mann“. Auch das Ziel, Männer für soziale und pädagogische Arbeiten zu gewinnen, ist nicht erreicht.

Warum Frauen in Spitzenämtern immer noch unterrepräsentiert sind, beschreibt Füllkrug-Weitzel aus eigener Erfahrung. Einen Anspruch auf langfristige Zeitplanung, geregelte Arbeitszeit und ständige Rücksichtnahme wegen familiärer Beanspruchung gibt es nicht. Chefs und Chefinnen müssen präsent sein, wenn es im Unternehmen brennt. Wer an der Spitze steht, muss also auch in der Familie verhandeln, um partnerschaftliche Rollenbilder kämpfen und das Privatleben stringent organisieren.

Kirchenintern muss der theologische Sinn des Kampfes für Gleichberechtigung wieder stärker betont werden. Es geht nicht um eine Zeitströmung, sondern um das Evangelium Jesu Christi. „In Christus ist nicht Mann noch Frau“, schreibt der Apostel Paulus. Nur wenn Männer und Frauen gemeinsam in geistlichen Leitungsämtern Verantwortung tragen, ist das christliche Zeugnis vollständig.

Wenn Frauen ermutigt werden sollen, Verantwortung zu übernehmen, dann kann dies nicht nur Sache des Arbeitgebers sein. Fehlende Kindertagesstätten und ein Partner, der nicht mitzieht, verderben die Lust auf Leitung. Und wenn Belastungen aufgebürdet werden, ohne dass eine entsprechende Infrastruktur existiert, könnten bald auch die Männer das Interesse an Leitungspositionen verlieren.

Eine Frauenquote mag für die Chefetagen Dax-notierter Unternehmen nötig sein. Die Erfahrungen in der evangelischen Kirche zeigen allerdings, dass Geschlechtergerechtigkeit nur durch einen umfassenden Mentalitätswandel erreicht werden kann. Lust auf Leitung kann nur geweckt werden, wenn ein tragendes Umfeld existiert, am Arbeitsplatz, im Privatleben und im öffentlichen Bewusstsein.

Der Autor ist Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Bisher sind in unserer Serie erschienen: Antje Sirleschtov über die Notwendigkeit einer Quote (7.3.), Caroline Fetscher über Kinder und Geschlechterrollen (9.3.), Meike Fessmann über die Zumutungen des Neoliberalismus (11.3.), Anja Kühne über Widerstand gegen die Frauenbewegung (13.3.), Bundesfamilienministerin Kristina Schröder über ihre Ablehnung der Quote (16.3.) und Armin Lehmann über Quoten für Männer (18.3.).

Bischof Markus Dröge

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