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Kultur: Sexy Hitler

Ist die Geschichtswissenschaft in der Krise, während historische Sachbücher boomen? Eine Tagung in Trier

Die Universität Trier hat, gemeinsam mit dem Deutschen Historischen Institut London, zur Analyse der Krisenspirale geladen. Die Geschichtswissenschaft soll sich in einer solchen Spirale befinden und auch der Verlagsbuchhandel. Für die Autoren historischer Bücher also ganz besonders düstere Aussichten. Es begann denn auch melancholisch. Hans Altenhein, früher LuchterhandVerleger und nun in der Historischen Kommission des Börsenvereins des deutschen Buchhandels engagiert, berichtete, dass die 1876 gegründete Kommission eigentlich nur noch virtuell existiert. Denn der von Geldnot geschüttelte Börsenverein hat Archiv, Bibliothek und Veröffentlichungsreihe im vergangenen Jahr aufgegeben.

Auch die wissenschaftlichen Verlage haben es nicht leicht. Die Märkte schrumpfen, die Käufer üben Zurückhaltung und die Bibliotheksetats sind oftmals geradezu marginalisiert. Konnte ein wissenschaftlicher Verlag vor 30 Jahren noch von einer Auflage von 1000 Exemplaren und einem garantierten Erstverkauf von etwa 500 Exemplaren ausgehen, so sind es heute oftmals kaum mehr als 100 Exemplare, die im Jahr des Erscheinens abgesetzt werden. Auf der anderen Seite gibt es gewaltige Bestsellerauflagen bei Autoren wie Daniel Goldhagen oder Guido Knopp. Christopher Cornelißen berichtet, dass der Historiker Gerhard Ritter (1888–1967) in seinem ganzen Leben von all seinen Werken insgesamt 200000 Exemplare abgesetzt hat, was damals als sehr beachtlich galt. Jörg Friedrich hat allein mit seinem Buch „Der Brand“ diese Zahl in nur einem Jahr übertroffen.

So ist es nicht verwunderlich, dass auch die Historiker heutzutage von Literaturagenten umworben werden. Bekannt ist der Fall des Briten Richard Evans, bei dem der Agentenwechsel zu einem Verlagswechsel geführt hat. Der neue Agent Andrew Wiley, bei Verlegern für seine rüden Methoden berüchtigt, hat das schöne Bonmot „History is the next sex“ geprägt. Und besonders sexy, also verkaufsträchtig, ist nun einmal die Nazizeit. Und so verwandelte sich unter Wileys Händen Evans’ neues Buchprojekt: Aus der geplanten Karl-Marx-Biografie wurde eine Geschichte des Nationalsozialismus. Allein für die deutschen Rechte erhielt der Autor nach eigenem Bekunden eine Vorauszahlung von 750000 Euro. Solche Summen wecken Begehrlichkeiten, und so gibt es in Großbritannien inzwischen die ersten Universitäten, die von ihren Geisteswissenschaftlern einen Teil der Honorare einfordern wollen.

Die Bestsellerautoren Goldhagen, Knopp und Friedrich haben eines gemeinsam. Sie sind keine Universitätshistoriker. Der eine ist Politologe, der andere Fernsehmann und der dritte Autodidakt. Ist es heute so, dass nur noch schlechte Bücher erfolgreich sind, wie ein Referent vermutet? Dass man simplifizieren muss, um die Öffentlichkeit zu erreichen? Droht ein Niveauverlust bei den zunehmend nach dem Markt schielenden Wissenschaftlern? Fragen, die nicht von der Hand zu weisen sind. Detlev Felken, Verlagsleiter des gerade bei Historikern hoch angesehenen C.H. Beck Verlags, plädiert denn auch eindringlich für das „mittlere Buch“, das auf dem Buchmarkt immer mehr unter Druck gerate, das aber unverzichtbar sei, will das kulturelle Gedächtnis der Gesellschaft nicht seinen Gegenstand verlieren. Felken ruft unter dem Beifall der Anwesenden auf zu einer „Allianz der Eliten“ in den Verlagen, Universitäten und Feuilletons.

Diethart Sawicki, Lektor bei Schöningh, bekennt, dass die Autoren der von ihm betreuten Handbücher nur bescheidene Honorare erwarten dürften, was vor allem an den begrenzten Auflagen liege. Trotzdem erhält der Verlag immer wieder ausgezeichnete Manuskripte, gerade auch von Angehörigen des akademischen Mittelbaus, der nun freilich durch die Bulmahn’sche Hochschulreform in seiner Existenz bedroht ist.

Der geschäftstüchtige Professor

Eine weitere Gefahr droht den Wissenschaftsverlagen durch die „gezielte Aufweichung des Urheberrechts" (Wulf D. von Lucius). Unter dem Losungswort „open access“ gibt es immer wieder neue Angriffe auf den urheberrechtlichen Schutz wissenschaftlicher Erkenntnisse. So legitim das Interesse der Öffentlichkeit an der Zugänglichkeit neuer Forschungsergebnisse ist, so berechtigt ist doch andererseits auch die Erwartung von Wissenschaftsautoren, dass der urheberrechtliche Schutz ihrer Werke nicht schlechter ist als der ihrer literarischen Kollegen.

Von Krise ist also viel die Rede, solange es um das Buchgeschäft geht. Aber das kennen wir ja inzwischen, wobei immer noch nicht ganz klar ist, ob es sich um das übliche Jammern auf hohem Niveau handelt oder ob diese Krise wirklich gravierender ist als all die anderen in früheren Zeiten.

Falls die Geschichtswissenschaft kriseln sollte, ist das auf der Trierer Tagung jedenfalls nicht deutlich geworden. Auch die bisherigen Forschungsergebnisse bieten keinen Anlass für Weltuntergangsstimmung. Der Anteil der Historie an der Buchproduktion liegt heute genau wie in den Zwanzigerjahren und auch schon vor dem Ersten Weltkrieg zwischen 4,5 und 5 Prozent. Und das bei einer rasant gestiegenen Gesamtzahl von Neuerscheinungen. Einen Einbruch gab es in den geschichtsfeindlichen Achtundsechziger-Jahren, als manche die Geschichte ganz abschaffen wollten und Psychologie und Soziologie ihre Hochblüte erlebten. Doch seit Mitte der Achtziger nimmt die historische Buchproduktion wieder zu. Und wenn auch Geschichtsprofessoren heute mehr als früher beim Bücherschreiben ans Geldverdienen denken, wer wollte ihnen das verdenken?

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