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Die Tipis vor dem E-Werk, dem alternativen Kulturort in Weimar, waren das Zentrum des Kultursymposiums.

© Goethe-Institut/Jörg Gläscher

Shared Economy: Die Hälfte der Welt

Gefühle, Geschichte, Gewinn – was lässt sich nicht alles teilen. Ein Kultursymposium in Weimar erkundet die Paradoxien der Shared Economy und der Wir-Gesellschaft.

Teilen ist das neue Haben, möchte man meinen. Tauschbörsen, Carsharing, Couchsurfing, millionenfach geteilte Facebook-Einträge, die Wirtschaft stellt sich längst darauf ein. Teile deine Habe und alles ist gut? Der Schweizer Performer Martin Schick macht sich einen Spaß daraus, teilt Bühne und Gage mit dem Publikum und nennt es Halfbreadtechnique, frei nach St. Martin, der zwar nicht sein Brot, aber seinen halben Mantel verschenkte und heiliggesprochen wurde. Bill Gates spendete die Hälfte seines Vermögens und wurde noch reicher. Womit die moralische Gleichung „Teilen ist gut, Behalten ist besser, aber böse“ sich schon mal erledigt hätte.

Dass es nicht so einfach ist mit dem Teilen, stellte sich nun in Weimar heraus. Dort lud das Goethe-Institut zum dreitägigen Kultursymposium, um in 70 Veranstaltungen an 14 Spielstätten, mit Wissenschaftlern, Ökonomen, Künstlern und Netz-Aktivisten das Wesen des Teilens und Tauschens zu erkunden. Sind wir in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung, der Finanz-, Griechenland- und Flüchtlingskrise auf dem Weg in eine neue Wir-Gesellschaft, in der Partizipation den Kapitalismus überwindet?

Laut Jeremy Rifkin ist es die einzige Chance der Menschheit. Der amerikanische Soziologe tritt als Superstar im Audimax der Bauhaus-Universität auf, prangert die Arm-Reich-Schere an (die 80 reichsten Milliardäre besitzen so viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung) und verrät, wie die Klimakatastrophe zu stoppen sei: Energie, Kommunikation und Transport müssen nur schleunigst den Gesetzen des Profits entzogen, und Gemeingut werden. Sonnen- und Windenergie kosten nichts, das Internet so gut wie nichts, dazu smarte Autos, smarte Citys, und der ganze Planet wird zur Non-Profit-Kooperative.

Rifkin erntete in Weimar viel Applaus und noch mehr Kopfschütteln. Sein Weltenrettungsszenario unterschlägt, wie kostspielig die Verteilung der erneuerbaren Energien ist. Auch schert es ihn nicht, dass endgültig Schluss mit Datenschutz und Bürgerrechten sein dürfte, wenn außer den Smartphones auch Kühlschränke, Häuser, Straßen und Verkehrsmittel individuelle Daten erfassen. Eine globale Vernetzung, mit der sich Riesengeschäfte machen lassen: der ganze Planet ein Konsumtempel.

Das Internet ist vor allem ein kommerzieller Raum

Wer auf Facebook, der größten Community der Menschheitsgeschichte (Rifkin), Infos, Gefühle und Bilder teilt, tut dies eben nicht in aller Öffentlichkeit. Der Philosoph Florian Rötzer und Markus Beckedahl von netzpolitik.org machen darauf aufmerksam, dass das Internet kein öffentlicher Raum ist, sondern ein kommerzieller. Die Domains gehören Konzernen, hier gelten keine demokratischen Gesetze, sondern die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, deren Wortlaut kein Mensch versteht. Stimmt schon, ohne soziale Netzwerke hätte es keinen Arabischen Frühling gegeben, keine Grüne Revolution im Iran. Aber die Geheimdienste hatten es dank Twitter und Facebook ebenso leicht, die Wortführer der Rebellion dingfest zu machen.

Da hilft nur ein Gang zum Platz der Demokratie in der Altstadt. Hier erteilen die Cityguides der Initiative „Raumstation“ Anschauungsunterricht in Sachen öffentlicher Raum. Weimars Plätze eignen sich bestens dafür. Denn neben dem repräsentativen Barockplatz, der Verkehrsinsel, dem Aufmarschfeld der Nazis am Gauforum (das heute eine Mall beherbergt) und der klassischen Agora mit Rathaus und Markt finden sich hier gleich zwei Plätze, bei denen die Weimarer Bürger aushandelten, wie man sie sich am besten teilt.

Der Wielandplatz unweit der Uni war nach der Sanierung 2014 zur Party-Location für laue Sommerabende geworden; die Anwohner sahen sich in ihrer Nachtruhe gestört. Wie bei der Berliner Admiralsbrücke half ein runder Tisch, um den Streit mit den Studenten zu schlichten. Ähnlich konnten beim Theaterplatz die Wünsche der Nutzer in Einklang gebracht werden: die der Touristen nach unbehelligtem Zugang zum Goethe-Schiller-Denkmal für das obligatorische Weimar-Selfie, der Café-Gäste, der Skater (hier gibt’s ausnahmsweise Bodenplatten statt Kopfsteinpflaster) und der Trinker, die sich im Getränkeshop hinter dem Theater versorgen. Das Internet kennt keine runden Tische, dort lässt sich nichts aushandeln.

Apropos Dichterfürsten: Kann man Geschichte teilen? Goethe tat bekanntlich das Gegenteil, er hortete in seinem Wohnhaus am Frauenplan Natur- und Kulturgüter, sie inspirierten ihn. Der Geheimrat sammelte Gipsabgüsse, Majolika, Quarze, Vogelskelette; sogar ein Setzkasten voller Schafwollproben war in seinem Besitz.

Was bedeutet Shared Heritage für das Humboldt-Forum?

Die Tipis vor dem E-Werk, dem alternativen Kulturort in Weimar, waren das Zentrum des Kultursymposiums.
Die Tipis vor dem E-Werk, dem alternativen Kulturort in Weimar, waren das Zentrum des Kultursymposiums.

© Goethe-Institut/Jörg Gläscher

Die heutigen Museumsleute scheuen das Eigentumsdenken. Sie sprechen lieber von Shared Heritage. Das klingt gut, birgt aber Gefahren. Im Oberlichtsaal des Van-de-Velde-Baus der Universität – unweit von Gropius’ Büro und den Atelierräumen, in denen Klee, Kandinsky und Schlemmer arbeiteten, bevor die Avantgarde von den Nazis vertrieben wurde – sitzt Neil MacGregor neben Hermann Parzinger und erklärt, dass die großen Universalmuseen Leihbibliotheken seien. Ihre Schätze gehören weder dem jeweiligen Museum noch dem Ursprungsland, sondern der ganzen Menschheit.

Für die Gründungsintendanten des Berliner Humboldt-Forums versteht sich die Mitteilung der oft kolonialen Herkunftsgeschichte von selbst, auch die Einbindung von indigenen Experten. Was das konkret für die Inszenierung afrikanischer oder mexikanischer Exponate bedeutet, verraten sie auch in Weimar nicht. Die Literaturwissenschaftlerin Sigrid Weigel meldet derweil Zweifel an der harmonistischen „Welterbe“-Vorstellung an und warnt vor der alten Gleichsetzung von Kultur und Identität, wie sie sich im Unesco-Begriff Patrimonium findet. Shared heritage bedeutet vielmehr Konfliktforschung. Es ist wie mit dem öffentlichen Raum: Ohne Zwist ist auch das Kulturerbe nicht denkbar.

Überhaupt sind es die Frauen, die den Utopien von persönlicher wie gesellschaftlicher Teilhabe in Weimar mit Skepsis begegnen. Spätestens wenn es ums vermeintlich Private geht, werden die Männer ja gerne romantisch. So weist die israelische Soziologin Eva Illouz den tschechischen Ökonomen Tomáš Sedlácek in seine Schranken, als er Familien und Freundeskreise als dem Mehrwertdenken entzogene Inseln der Selbstlosen charakterisiert. Hier leisten Eltern freiwillig den jahrelangen, unbezahlten 24/7- Job des Kinder-Großziehens und nennen es Glück. Dort gilt die Regel: Freunde sind Leute, die vergessen, wie viel sie einander schulden.

Sedlácek hat die Lacher auf seiner Seite. Illouz verweist dagegen auf die Ökonomisierung der Gefühle gerade in der Konsumgesellschaft. Emotionen und Geld sind kaum voneinander zu trennen. Man denke nur an die gestiegenen Scheidungsraten, seit Frauen selber verdienen, statt sich Haushaltsgeld zuteilen zu lassen. Oder an die Tyrannei einer Intimität, die vom Partner verlangt, noch sein Innerstes mitzuteilen.

Liebe ja, aber bitte nur auf Gegenseitigkeit

Die fröhliche ungarische Philosophin Agnes Heller, die mit ihren 87 Jahren, ihrer einnehmenden Gestik und den hellwachen, vor Neugier blitzenden Augen das Teilhabe-Prinzip geradezu verkörpert, hat sich ihr Leben lang mit der Theorie der Bedürfnisse beschäftigt. Nichts Schlimmeres heutzutage, als wenn Gefühle nicht reziprok sind. In der Vormoderne hieß es: eine Kuh für eine Braut – ein Tauschgeschäft, bei dem Emotionen keine Rolle spielten. Heute heißt es: Liebe – und wehe, der andere erwidert den Liebesschwur nicht. Oder auch nur den Gruß auf der Straße. Oder die Mail. Wird Gleiches nicht mit Gleichem vergolten, ist die Gefühlswelt aus den Fugen. Hellers angenehm wertfreie Diagnose stimmt nachdenklich, auch angesichts all der Empathie für die Flüchtlinge, gerade in Europas Kulturszene.

Die Gabe um ihrer selbst willen, gibt es sie nirgends? Im Gartenhaus im Weimarhallenpark versammelt eine kleine Ausstellung zeitgenössische Kunst rund um den Kula-Ring (Galerie Eigenheim, bis 10.7.). Es handelt sich um eins der weltweit ungewöhnlichsten Gabentauschrituale, eine Tradition der Trobriand-Inselbewohner in Papua-Neuguinea. Dort werden Muschelhalsketten mit Booten von Insel zu Insel weitergegeben, in der entgegengesetzten Richtung kursieren Muschelarmreife.

Der Beschenkte gibt später etwas zurück, nach eigenem Ermessen. Ethnologen dichten dem Ritus gern gemeinschaftsfördernde Wirkung an. Die Einheimischen jedoch verstehen schon die westliche Warum-Frage nicht. Sie tun es einfach, ohne Nutzen und Sinn, nach den Regeln der Vorväter. Als der Kula-Ring 1922 erstmals beschrieben wurde, galt er als Sensation: Es existiert also doch, das Tauschen ohne Gewinnabsicht.

Altruistisch, solidarisch, freigiebig, so wären wir gern. Sind wir aber nicht. Das Goethe-Institut in Seoul und ein koreanisches Game-Label haben das Spiel „Being Faust – Enter Mephisto“ entwickelt, das Egoismus und Bigotterie zutage fördert, ob es nun in Asien, Athen, Prag oder Weimar gespielt wird. Die Teilnehmer bestimmen ihre höchsten Werte und mehren ihre Zufriedenheit, indem sie per Smartphone passende Goethe-Zitate erwerben. Man muss nur ein paar Freunde verkaufen, um flüssig zu sein. Köstlich zu sehen, mit welcher Begeisterung die Spieler online ihre Großmutter verscherbeln, nachdem sie Liebe und Familie gerade zu ihren kostbarsten Werten erklärt haben. Teile deine Habe, aber am Ende möchte keiner mit leeren Händen dastehen. Nicht mal im Spiel.

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