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Nominiert auf der Shortlist. Thomas Melle

© dpa

Shortlist des Deutschen Buchpreises: Ein Riss geht durch Deutschland

Stille und Gewalt: Die Shortlist zum Deutschen Buchpreis ist veröffentlicht. Befindet sich darunter tatsächlich der "beste deutsche Roman"?

Von Gregor Dotzauer

Durch die Welt literarischer Auszeichnungen in Deutschland geht ein Riss. Am einen Ende des Spektrums befindet sich der von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung vergebene Georg- Büchner-Preis, der aufgrund seiner jahrzehntelangen Tradition und seiner Dotierung als wichtigste Auszeichnung des Landes gilt. Ein nach strikt literarischen Maßstäben vergebener Preis, der manchmal schon sehr früh wie bei Durs Grünbein Gesamtwerke würdigt, im Großen und Ganzen aber nicht besonders mutig verfährt: Es ist ein Preis von Granden für Granden.

Am anderen Ende des Spektrums befindet sich der vom Börsenverein des Buchhandels seit 2005 vergebene Deutsche Buchpreis. Mit jährlich wechselnder Jury tritt er an, den besten deutschsprachigen Roman des Jahres zu küren. Ein Marketingpreis, der die Sache der Literatur in eine Öffentlichkeit tragen will, die sich nur noch bei Skandalbüchern einig zu sein scheint, dass es belletristische Leistungen gibt, die alle etwas angehen. Der Buchpreis ist ein Event gegen die Events. Dabei kann es nicht ohne Rücksicht auf die Popularität der ausgewählten Titel abgehen.

Beide Preise haben ihren Wert und ihre Aufgabe. Aber dass nur ein, höchstens zwei der bisherigen Preisträger jemals den Büchner-Preis erhalten könnten, ist für die Rolle der Literatur in dieser Gesellschaft fatal. Wenn die Durchlässigkeit zwischen einer sprachlich eher widerständigen und einer eher konsumierbaren Literatur nicht wächst, schadet das allen. Diese Herausforderung nimmt die Shortlist zum Buchpreis am 17. Oktober nur ungenügend an.

Nur eine Frau ist nominiert

Auffällig ist, dass zwei Titel nominiert sind, die streng genommen gar keine Romane sind. Bodo Kirchhoffs „Widerfahrnis“ (FVA) nennt sich trotz seines romanhaften Anmutung sogar selbst „Eine Novelle“. Gemessen an Kirchhoffs sonst um keine Wucherung verlegene Fantasie ist ihm mit gut 200-seitigen Liebesgeschichte zwischen einem geschäftlich frustrierten Altverleger und einer geschäftlich frustrierten Hutladenbesitzerin etwas selten Griffiges geglückt. Eine ironisch getränkte Road Novella über Möglichkeit und Unmöglichkeit von Nähe, die sich erzählerisch zudem selbst reflektiert. Das lässt sich von Thomas Melles „Die Welt im Rücken“ (Rowohlt Berlin), der in der ersten Person abgefassten Chronik seiner bipolaren Erkrankung, nicht behaupten. Ihre bedrückende Stärke liegt gerade darin, dass der Autor zum ersten Mal nicht fiktional sein Schicksal festhält, ganz ohne über die Form dieser Selbstvergewisserung nachzudenken.

Die Wahl von Kirchhoff und Melle lässt sich vielleicht als Genreöffnung beschreiben. Jurysprecher Christoph Schröder geht darauf aber gar nicht ein: „Von Stille bis Gewalt: Die Romane der diesjährigen Shortlist decken ein breites inhaltliches Spektrum ab“, sagt er, „doch sie eint eine starke Bodenhaftung, der unmittelbare Bezug zur beobachteten Realität.“ Philipp Winklers Debütroman „Hool“ (Aufbau) ist das dreckigste Beispiel dieser Wirklichkeitsnähe. Er taucht ein in die mit Flüchen und Kraftausdrücken gespickte Schlägerwut eines Hannoveraner Hooligans, kämpft aber zugleich mit der Stimmigkeit einer Rollenprosa, die sich immer wieder über die Figur des Icherzählers erhebt.

Betulich dagegen der Ton in Reinhard Kaiser-Mühleckers „Fremde Seele, dunkler Wald“ (S. Fischer), einer oberösterreichischen Familientragödie auf dem Bauernhof. Seine Landsfrau Eva Schmidt, die einzige weibliche Shortlist-Stimme, erzählt in ihrem Episodenroman „Ein langes Jahr“ (Jung und Jung) sehr viel bündiger von den – kleinstädtisch geprägten – Beklemmungen einer allzu engmaschigen Welt. Mit André Kubiczeks „Skizze eines Sommers“ (Rowohlt Berlin) ist schließlich ein leichtfüßiger Roman über eine Jugend im Vorwende-Potsdam nominiert. Was immer die Juryarithmetik ergibt: ob sich darunter das eine Buch befindet, das zu Recht den Titel des besten Romans trägt, ohne unter diesem Anspruch zusammenzubrechen, ist zweifelhaft.

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