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Venceremos. Roclan Gonzalez Chavez (auf dem Stuhl) mit Tänzern. Foto: Sven Creutzmann

© Sven Creutzmann

Kultur: Show und Sozialismus

„Ballet Revolución“ kommt wieder nach Berlin. In Havanna wird kräftig geprobt. Ein Besuch.

Von Sandra Luzina

Das Teatro Nacional in Havanna liegt unweit der Plaza de la Revolución. Im Probensaal im neunten Stock stehen an diesem Dezembertag mehrere Plastikeimer, denn es regnet herein. Der starke Niederschlag ist ungewöhnlich für diese Jahreszeit, die Straßen sind rasch überflutet. Amischlitten aus den Vierzigern, Chevys, Buicks oder Ford Mercurys, pflügen wie stolze Schiffe durch das Wasser. Die russischen Ladas saufen ab.

Die Tänzer von „Ballet Revolución“ ficht das alles nicht an, sie machen einfach weiter mit ihren Proben. „Wir Kubaner sind es gewohnt, täglich zu improvisieren“, sagt Tänzerin Lia lachend. „Wir schaffen es immer, das Beste aus einer Situation zu machen.“

Bald brechen die 20 Tänzer wieder zu einer großen Europatournee auf. In einer sechswöchigen Probenphase werden gerade neue Choreografien für das Tanzspektakel „Ballet Revolución“ erarbeitet. Roclan Gonzalez Chavez feilt an einer Tanznummer zu einem kubanischen Mambo. Der Choreograf trägt einen Adidas-Trainingsanzug in den Farben der kubanischen Nationalflagge – in so einem ist auch Fidel Castro öfter aufgetreten. Alle nennen ihn hier Rocky – und er ist wirklich der Größte auf Kuba, ein Hans- Dampf-in-allen-Gassen: „Ich bin hier, um den kubanischen Esprit zu beschützen“.

Den Exportschlager „Ballet Revolución“ haben ein australischer und ein britischer Produzent ersonnen. Mark Brady und Jon Lee surfen schon länger auf der Kuba-Welle, die Ry Cooder und Wim Wenders mit dem Film „Buena Vista Social Club“ ausgelöst haben. Die sozialistische Mangelwirtschaft hat ja künstlerische Talente im Überfluss. Für das Spektakel wurden einige der besten Tänzer der Karibikinsel engagiert, man lässt sie zu Hits von Rihanna und Beyoncé tanzen und würzt das Ganze mit kubanischen Rhythmen.

Neben Chavez wurde der Australier Aaron Cash als Choreograf verpflichtet. Der war zehn Jahre lang der lead dancer von Cher und gehörte zum Original-Cast der „Tap Dogs“. Chavez hat mit bekannten kubanischen Musikgruppen und dem Cabaret Tropicana zusammengearbeitet. Die Choreografen kommen aus zwei Welten, aber beide sind echte Showprofis.

Die kubanischen Tänzer sind eine Klasse für sich – davon kann man sich nun bei ihrem Berliner Gastspiel im Admiralspalast überzeugen, wo sie wieder von einer tollen Live-Band begleitet werden. Die exzellente Tanztechnik verbinden sie mit überschäumendem Temperament. In „Ballet Revolución“ ist im Grunde jeder Solist. Und der energiegeladene Stilmix ist einzigartig. Die phänomenalen Sprünge und Pirouetten des Balletts kombinieren sie mit Elementen von Afro-Cuban, zeitgenössischem Tanz und Streetdance, fügen noch rasante Salsa- Drehungen hinzu.

Während Aaron Cash den Fokus auf erotisch aufgeladene Pas de deux legt, sind Chavez’ Choreografien stärker von den kubanischen Rhythmen inspiriert. Er präsentiert seine Tänzer als ausgelassenes Kollektiv, in dem jeder seine Individualität einbringen kann. Die klassischen und modernen Tänzer feuern sich gegenseitig an und liefern sich einen lustvollen Wettstreit. Am Ende verschmelzen alle zu einem ekstatisch wogenden Mambo-Ensemble.

Später kommt Chavez überraschend auf die spirituelle Dimension des Tanzes zu sprechen. „Sie kommt von dem Rhythmus der Trommeln“, erklärt er. Und erzählt von einer frühen Initiation. Chavez ist in einem Schwarzenviertel von Havanna aufgewachsen. Seine Tage verbrachte er im Haus einer Frau, die Priesterin der Santería war, einer Mischung aus afrikanischen Riten und katholischem Glauben. Bei ihr wurde immer afrokubanischer Rumba getanzt. „Ich war der einzige weiße Junge. Es war nicht leicht, akzeptiert zu werden“, sagt Chavez. Das afrokubanische Erbe liegt ihm heute besonders am Herzen.

Das Tanzen liegt den Kubanern aber nicht einfach im Blut. Denn Kuba ist berühmt für seine Nachwuchsförderung. Fast alle Tänzer von „Ballet Revolución“ sind Absolventen der Escuela Nacional de Arte, die 1961 gegründet wurde und seit 1965 über zwei Tanzsparten verfügt: In einem restaurierten Palazzo am Paseo de Prado in der Innenstadt von Havanna wird klassisches Ballett unterrichtet. Moderner und Folklore-Tanz werden auf dem Campus der ENA im Botschaftsviertel Miramar gelehrt. Als Fidel Castro das Gelände eines ehemaligen Country- Clubs inspizierte, hatte er die Eingebung, dort eine Kunsthochschule zu gründen. So erzählt es zumindest die Legende. Die futuristische Architektur hat mittlerweile Risse, aber die Tanzsparte der ENA genießt weltweite Anerkennung. Auch Chavez hat hier studiert. „Ich war ein Revoluzzer“, gesteht er. Heute unterrichtet er regelmäßig hier, und wenn Rocky kommt, sind die Schülerinnen ganz aus dem Häuschen.

Egal wo Chavez auftritt – Lia, die mit vollem Namen Lianett Rodriguez Gonzalez heißt, ist immer dabei. Die rothaarige Tänzerin ist seine Assistentin, seine „choreografische Dolmetscherin“, wie sie sagt. Lia hat nichts dagegen, den angereisten Journalisten ihr Zuhause im Reparto La Lisa, einem Vorort von Havanna, zu zeigen. Das schmucklose Häuschen hat ihr Vater hochgezogen. Unten wohnt die Großmutter, im oberen Stockwerk wohnt Lia mit ihrer Schwester, ihren Eltern und ihrem Freund Danilo, der ebenfalls Tänzer ist. Lias Mutter hat Spaghetti mit Würstchen gekocht. Die Sprache kommt auch auf die Situation der Frauen auf Kuba. „Wir kubanischen Frauen sind sehr stark und unabhängig“, erklärt Lia, „aber wir sind immer noch verantwortlich für Familie und Kindererziehung.“

Lia verdient als Tänzerin mehr als ihre ältere Schwester, die Ärztin in einer Reha-Klinik ist. Sie hat auch den Flachbildfernseher besorgt, der das Wohnzimmer dominiert. Von den Devisen, die die Tänzer auf ihren Auslands-Tourneen bekommen, können sie sich den einen oder anderen Luxus leisten: ein Notebook oder einen MP3-Player.

Den Spagat zwischen Show und Sozialismus bekommen Lia und Danilo gut hin. Sie haben sich vor kurzem einen Traum erfüllt und ein Apartment an der berühmten Uferpromenade Malecón gekauft – was noch nicht lange möglich ist. Am Malecón mit seinen Prachtbauten aus vergangener Zeit sieht man beides: den malerischen Verfall und den Wiederaufbau. Auch die Wohnung von Lia und Danilo muss von Grund auf renoviert werden. „Ob wir wohl schon in fünf Jahren oder erst in zehn dort einziehen werden?“ scherzen sie. Ihre Zukunft, da sind sie sich jedenfalls sicher, liegt auf Kuba. Sandra Luzina

Admiralspalast, 4. bis 9. Februar.

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