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Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise. Das Volksbühnen-Rad in Avignon.

© dpa

Sich französisch verabschieden: Hiergeblieben!

Die allerletzte Aufführung von Frank Castorfs Volksbühne ist ein Auswärtsspiel: Molières "Kabale der Scheinheiligen" in Avignon.

Auf dem Parkplatz an der großen Halle des Parc des Expositions in Avignon ist es an diesem Nachmittag brüllend heiß. Das Kreischen der Zikaden liegt in der Luft rings um das Volksbühnen-Räuberrad vor der Halle, das von zwei alten Olivenbäumen gesäumt wird. Die Szenerie erweckt den Anschein eines friedlichen Hains mit Ewigkeitswert – ganz anders als der Berliner Standort, wo das Rad über zwanzig Jahre wie eine Stadtmarke dem Trubel der deutschen Hauptstadt trotzte – bis zum umstrittenen Abbau zum Ende der letzten Frank-Castorf-Saison. Zuschauer machen Selfies mit Rad, bevor sie das gewaltige Rund der Halle betreten, in der das königliche Zelt, ein Gartenpavillon und der gewaltige Theaterkarren des Herrn Molière stehen.

Besser als am Rosa-Luxemburg-Platz

Dass die Aufführung von „Kabale der Scheinheiligen“ hier beim Theaterfestival in Avignon besser aussieht als in der Volksbühne, war schon vor Tagen aus dem Ensemble zu hören. Tatsächlich korrespondieren die grazilen, antik wirkenden Holzverstrebungen, die das ausspannende Dach halten, gut mit den mobilen Bühnenelementen der Castorf-Inszenierung, frei nach Michail Bulgakow. Hier ist alles in weiträumiger Bewegung: Aus der Tiefe des immer wieder mit Bühnennebel verhüllten Raums kommen die Schauspieler, hier lassen sich die Bilder offener arrangieren als im Bühnenraum in Berlin, der von einem Portal eingefasst ist.

Ein Theater auf der Durchreise, wie einst Molières Truppe. Die gastierte im Herbst 1657 in Avignon, bevor sie in Paris (und Versailles) ihren Durchbruch bei Hofe hatte, unter der Protektion von Ludwig XIV., dem Sonnenkönig. So gut es eben ging, nahm der König den Theaterfürsten Molière vor den Anfeindungen der Radikalkatholiken in Schutz, die ihn wegen seines „Tartuffe“ auf den Scheiterhaufen bringen wollten. Georg Friedrich spielt diesen Monarchen herrlich überdrüssig und gelangweilt.

Versace und Vuitton als Hausgötter

Auch hier kreist das Emblem der Modemarke Versace über seinem Zelt, ist das Logo des Luxusdesigners Louis Vuitton in den Damast eingewebt. Louis Vuitton ist Sponsor der Tate Modern, als deren Direktor Castorf-Nachfolger Chris Dercon bis 2016 firmierte. Vom Berliner Theaterstreit um den Museumsmann hat man in Frankreich natürlich gehört, auch wenn über den Zoff um das Räuberrad hier weniger berichtet wurde. Das Publikum in Avignon schaut sich dieses Theater im Theater, diese Meditation über das Making-of von Kunst unter diversen Formen von Herrschaft und Despotie, jedenfalls wie ein Vermächtnis des deutschen Meisterregisseurs an.

Von den oberen Rängen der riesigen Zuschauertribüne kommen im ersten Teil des fast sechsstündigen Abends dennoch einige wenige Abwanderer herunter. Marquis-d’Orsini-Darsteller Jean-Damien Barbin macht sich einen Spaß daraus, den ersten beim Revers zu packen und am Gehen zu hindern. Das passt zum Publikumsbeschimpfungssketch, den er gerade mit der völlig überdrehten Jeanne Balibar präsentiert. Und Alexander Scheer verzaubert in der Rolle des am Rande des Nervenzusammenbruchs operierenden Künstlers.

Standing Ovations für die Besucher

Die Kräfte, die Stimmen sind am Ende, nach dem Dernièren-Marathon in Berlin, nach der Aufführungsserie in Avignon. Aber alle geben noch einmal alles, um diese allerletzte Aufführung auf dem Niveau zu stemmen, das Castorfs Theater all die Jahre so aufregend machte. Am Ende: Standing Ovations, auch die Bühnenarbeiter kommen aufs Spielfeld und halten das rote, russischsprachige Volkbühnenbanner vom Sommer 2015 hoch, als Dercons Berufung bekannt wurde und die Volksbühne zum Gegenangriff mobilisierte, zu den letzten Großtaten einer unvergleichlichen Ära.

Die Schauspieler wird das Publikum wohl wiedersehen. Aber was wird zum Beispiel aus Molières Theaterkarosse, diesem stattlichen Wunderwerk der Bühnenbauerkunst? Man muss sie erhalten, sagt Castorf beim improvisierten Dernièren-Umtrunk mit etwas zu warmem Weißwein hinter der Halle. Und: Man könnte damit auf Wanderschaft gehen und Straßentheater machen.

Eberhard Spreng

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