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Kultur: Sie stoppten den Stalinismus

Ausgefallene Winkelzüge, überraschende Dialogoffensiven, mehrfache Änderungen in letzter Minute - man mag dem Entwurf des Urheberrechtgesetzes einiges vorwerfen, doch Langeweile hat die schwierige Materie bei den Betroffenen nicht aufkommen lassen. Gestern nahm der Entwurf des "Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern" letzte parlamentarische Hürden, morgen soll er im Bundestag beschlossen werden.

Ausgefallene Winkelzüge, überraschende Dialogoffensiven, mehrfache Änderungen in letzter Minute - man mag dem Entwurf des Urheberrechtgesetzes einiges vorwerfen, doch Langeweile hat die schwierige Materie bei den Betroffenen nicht aufkommen lassen. Gestern nahm der Entwurf des "Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern" letzte parlamentarische Hürden, morgen soll er im Bundestag beschlossen werden.

Dieses Gesetz hat eine Mutter und viele Stiefväter. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin kann den Erfolg feiern, das wichtigste kulturpolitische Anliegen der Bundesregierung vor dem Wahlkampf auf den Weg gebracht zu haben. Die Verlage, Agenturen, Filmproduzenten und Radio / TV-Anstalten können sich eine energische Überzeugungsarbeit zugute halten, die den Entwurf in grundlegenden Punkten veränderte. Und die freien Kreativen (Übersetzer, Autoren, Journalisten, Fotografen, Komponisten) dürfen sich freuen, dass ihre Verhandlungsposition gestärkt wurde. Wie sehr, muss sich freilich erst zeigen.

Lange sah es so aus, als ob die Novelle des seit 1965 angekündigten Urhebervertragsrechts scheitern würde. Mit ihr will die Justizministerin den freien Kreativen Verhandlungen mit den Verwertern "auf Augenhöhe" ermöglichen: Derzeit müssten diese die angegebenen Konditionen für die Übertragung ihres geistigen Eigentums akzeptieren, weshalb die Jahresbruttoeinkommen vieler Kreativer seit zehn Jahren unverändert zwischen 10 000 und 20 000 Euro lägen. Das Gesetz sichert den Urhebern nun eine "angemessene Vergütung" zu. Ihre Höhe orientiert sich an Vergütungsregeln ähnlich einem Tarifvertrag, die Urheber und Verwerter jeder Branche gemeinsam aushandeln sollen.

Die sozialpolitische Begründung des Entwurfs erinnert an die Künstlersozialkasse, die seit 1983 freien Kreativen Krankenkassen- und Rentenleistungen zu Arbeitnehmerkonditionen ermöglicht. War es damals die steigende Zahl von Künstlern, die auf Sozialleistungen angewiesen waren, so ist es heute die durch "Outsourcing" gewachsene Zahl der freien Kreativen. Sie verrichten die Arbeit von Angestellten, oft jedoch schlechter bezahlt und auf eigenes Risiko.

Verständlicherweise begrüßten die freien Kreativen das Vorhaben erfreut, die Medienwirtschaft erboste es. In zahlreichen Gutachten beklagte sie, dass hier gegen europäisches Recht verstoßen, die Vertragsfreiheit beseitigt und ein verfassungswidriger Zwang zum Abschluss von Tarifverträgen ausgeübt werde, welcher zudem ein verbotenes Kartell darstelle. Alle Medienunternehmen sind durchaus der Überzeugung, bereits jetzt "angemessen" zu bezahlen; allenfalls die literarischen Übersetzer gelten als Ausnahme.

Der Protest kulminierte im Herbst. Eine Verlegerin verglich auf der Bundestagsanhörung ihre Lage angesichts der Novelle mit der unter Stalin, die Medienwirtschaft schaltete in Zeitungen zahllose halbseitige Anzeigen und kündigte Fernsehspots an. Daraufhin sagte die Ministerin in konziliantem Ton weitreichende Änderungen zu und bestätigte, dass viele Branchen ja schon "angemessen" bezahlten. Allein an den gemeinsamen Vergütungsregeln hielt sie fest. Das Gesetzesvorhaben stand auf der Kippe.

Filmproduzenten und Buchverlage registrierten die Zugeständnisse mit vorsichtiger Zufriedenheit, anders als die Zeitungsverleger, die ihre Kritik an den Vergütungsregeln und deren Zwangsfestsetzung durch Gerichte aufrechthielten. Danach herrschte Ruhe - bis am 14. Januar die letzte Fassung des Entwurfs bekannt wurde. 100 Verleger von Aufbau über Bertelsmann bis zu Wagenbach äußerten in einem öffentlichen Brief "Fassungslosigkeit und Bestürzung" (vgl. Tagesspiegel vom 21. Januar). Die Ministerin und der Kanzler hätten mündliche und schriftliche Absprachen nicht eingehalten. Besonders erbitterte die Verleger, dass sie dem Urheber Erlöse zahlen sollen, die ihre Lizenznehmer, auch solche im Ausland, erzielt haben. Dieser Paragraph 32 war tatsächlich neu, anders als die übrigen genannten Punkte.

Noch am selben Tag änderte das Justizministerium den Paragraph im Sinne der Verleger. Das Papier lag dem Kulturausschuss erst vorgestern vor, weshalb die CDU/CSU ein hektisches, "unwürdiges Verfahren" beklagte. Sie wusste noch nicht, dass die SPD-Fraktion am Abend das Schlichtungsverfahren für die gemeinsamen Vergütungsregeln zu Gunsten der Medienwirtschaft änderte. Darauf hatten Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen gedrängt. Die erst vor wenigen Tagen von Ministerin Herta Däubler-Gmelin formulierten Änderungen zu Lasten der Verlage seien auf Initiative des Kanzlers wieder rückgängig gemacht worden, heißt es beim Börsenverein des Buchhandels. Der aktuelle Entwurf entspreche damit wieder dem Stand der Vereinbarungen vor Däubler-Gmelins Änderungen.

Ein Kräftemessen ist zu Ende. Viele kleinere stehen an, um die Vergütungsregeln auszuhandeln. Immerhin kennen sich alle Beteiligten jetzt sehr gut.

Jörg Plath

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