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Kultur: Sieg und Frieden

Ist Berlins Siegessäule der richtige Auftrittsort für Barack Obama? Geschichte eines Wahrzeichens

Oben sitzen die Engel und sorgen sich um Berlin. Bruno Ganz schaut von den Schultern der Siegesgöttin hinunter, er liest die Gedanken der Menschen und hält es kaum aus. Die Kamera kreist um Viktoria herum, eine Ewigkeit, einen Flügelschlag von den Menschen entfernt. Und der Engel springt, aus den Armen der Göttin hinunter auf die Straßen der Stadt.

Die Siegessäule in Wim Wenders’ Klassiker „Der Himmel über Berlin“, die Siegessäule am Großen Stern: Landeplatz für Himmelswesen, Kriegerdenkmal, Aussichtsturm (285 Stufen), Ikone der schwulen Szene, die ihre Zeitschrift so nennt, Touristenziel, Love-Paradeplatz, Fanmeilenmeiler, Wahrzeichen. Hier will Barack Obama sprechen, wenn er am Donnerstag Berlin besucht, vor allem wegen des Brandenburger Tors im TV-Bildhintergrund. Das Tor kennt jeder Amerikaner. Aber es ist unweigerlich zugleich die Säule, deren Geschichte und Aura er sich bedient, wenn er hier auftritt.

Schon gibt es Proteste. Weil Hitler das preußische Monument vom Reichstag weg auf den heutigen Platz stellen ließ, sagt der stellvertretende FDP-Vorsitzende Rainer Brüderle, sei es ein schlechter Ort für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten. Zumal es für die Nazis das „Symbol deutscher Überlegenheit und siegreicher Kriege gegen Dänemark, Österreich und Frankreich“ dargestellt habe. Sein CDU-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff sieht das genauso, die Siegessäule sei eine unglückliche Wahl.

Es liegt jedoch in der Natur von Wahrzeichen, dass sie selten politisch korrekt und nie ausnahmslos positiv konnotiert sind. Ob ein Staatsmann nun vor Triumphbögen, Regierungspalästen oder auf historisch bedeutsamen Plätzen spricht, immer spielen Kriege und Siege, Monarchie und Patriotismus eine Rolle. Demokratie pur sind Denkmale selten.

Beispiel Paris: Der Obelisk auf der Place de la Concorde stammt aus Ägypten, wer dort auftritt, nutzt ein Raubgut der Grande Nation als Kulisse, vom Arc de Triomphe ganz zu schweigen. Beispiel London: Der Trafalgar Square mit der Nelson-Säule ist der Erinnerung an einen Admiral gewidmet, der den europäischen Nachbarn Frankreich besiegte. Und in Berlin? Beim Roten Rathaus schwingt schon farblich das von den Amerikanern verteufelte Wort Kommunismus mit. Und die Gedächtniskirche verdankt die Stadt (wie die Siegessäule) dem Kaiser; lange war sie Sinnbild der Frontstadt West-Berlin im Kalten Krieg.

Also die Siegessäule. Ein Blick in ihre Annalen verrät, dass sie sich zeitlebens bestens für Umnutzungen eignete, ohne ihr Wesen je zu leugnen. Flexibel, aber unkaputtbar: Wenn es in Berlin ein Wahrzeichen gibt, das die Veränderbarkeit von Wahrheiten zur Schau trägt, dann „unsere“ Goldelse mit Siegerkranz, Feldzeichen und Adlerhelm. Die Säulenhalle, die den Schaft über dem wuchtigen Sockel umgibt, der vielspurige Kreisverkehr, die strahlenförmige Straßenführung, die vier tempelartigen Torhäuser am Tiergartenrand: Ablagerungen von Historie, Jahresringen gleich.

Errichtet wurde das spätklassizistische Denkmal unter Kaiser Wilhelm I. nach einem Entwurf von Johann Heinrich Strack. Zunächst stand es auf dem Königsplatz vor dem Reichstag und war als Siegeszeichen des Feldzugs gegen Dänemark 1864 gedacht. In Europa boomte der Denkmalsbau, die jungen Nationalstaaten brauchten sie zur Festigung ihrer Identität. Noch vor der Fertigstellung 1873 erfolgte die erste Umnutzung. Das Monument sollte auch an die „Einigungskriege“ gegen Österreich (1866) und Frankreich (1870/71) erinnern. Die Sockelreliefs mit der Darstellung der Schlachten bei den Düppeler Schanzen, bei Königgrätz und Sedan und des Triumphzugs nach Berlin verherrlichten das siegreiche Preußen.

Kanonenrohre als Bronzematerial und Dekoration, ein monumentales, ebenfalls das Kaiserreich feiernde Mosaik nach Zeichnungen von Anton Werner in der Säulenhalle, überall martialische Bildprogramme: Militarismus pur. Aber die vergoldete Viktoria in luftiger Höhe nimmt sich mit ihrem dynamisch windzerzausten Gewand und den Engelsflügeln anders aus. Dem Bildhauer Friedrich Drake stand seine Tochter Margarethe Modell, der spätere Spitzname Goldelse stammte von einer populären Figur aus der Zeitschrift „Die Gartenlaube“.

Eine Kriegerin – und eine Berliner Göre. Da passte was nicht zusammen. Zu gedrungen der Schaft für das oben platzierte Mädchen. Frau Drake, so unkten die Leute, sei die einzige Berlinerin, die „kein Verhältnis“ habe.

Widrige Zeitläufte: Hitlers Baumeister Albert Speer hatte den Königsplatz vor dem Reichstag für eine megalomane Aufmarschfläche vorgesehen. Deshalb – zweite Umnutzung – zog die Siegessäule 1938 um, wurde zerlegt und im umgebauten BVG-Bus an den Großen Stern kutschiert, der als Fixpunkt für die Ostwest-Achse des größenwahnsinnigen Germania eingeplant war. Viktoria erhielt die ihrem „Verhältnis“ gemäße höhere Säule (67 Meter) und wurde gedreht. Blickte sie früher nach Süden, schaut sie seitdem nach Westen. Der Architekturhistoriker Julius Posener regte nach dem Fall der Mauer eine erneute „Wendung der Viktoria“ an, damit sie den Ostberlinern nicht länger den Rücken zukehrt. Schöne Idee, aber es wurde nichts draus.

Die wandelbare, unverwüstliche Siegesgöttin. Die 700-Zentner-Dame überstand nicht nur die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs, sondern auch den Sprengungsbeschluss der Siegermächte – dem übrigens der damalige Baustadtrat Hans Scharoun zugestimmt haben soll: Am Ende wurden nur die kriegsverherrlichenden Reliefs entfernt. Auch der Sprengsatz, den die „Revolutionären Zellen“ 1991 unter Viktorias Rock schoben, zündete nicht. Dass die Säule samt Göttin mittlerweile blättert und rostet, wird sie wohl auch überstehen – selbst wenn sich die Behörden weiter um die Finanzierung der überfälligen Frischgoldkur streiten.

Von der Sieges- zur Friedensgöttin, die dritte Umnutzung. 1987 gab Paris die Sedan-Bronzetafeln zurück, zur 750-JahrFeier Berlins. Eine noble Geste von François Mitterrand, auch Kopenhagen rückte die Trophäen wieder heraus. Seitdem steht die Siegessäule nicht nur für Krieg, sondern auch für Versöhnung und Überwindung von Erbfeindschaften, für das neue Europa. Klar, sie bleibt phallisch, ein Denkmal für Männermacht und Heldenmut, aber eines, das sich eben auch die Homosexuellen angeeignet haben. Queer statt Speer, die vierte Umnutzung. Wer www.siegessaeule.de anklickt, dem blinkt Werbung für die „My fair Lady“-Premiere im Admiralspalast entgegen und der Hinweis auf eine Reportage über schwule Zwillinge. Virilität hat viele Facetten.

Viktoria, die Feldherrin, die Volksfestherrin. In 135 Jahren ist sie zivil geworden, beäugt keine Triumphzüge mehr, sondern Fußballfans, Silvesterfeuerwerker oder Sternradfahrer. Kanonen zu Kanneluren: Goldelse hat sich den Krieg versagt, sie ist ungeheuer populär und leugnet doch nicht ihr unpopuläres Erbe. Sie ist der Schutzengel Berlins.

Als sie am 2. September 1873 um 11.05 Uhr mit Pomp und Gloria eingeweiht wurde, sagte der Kaiser: „Die Siegessäule verkündet der Mit- und Nachwelt, was Hingebung und Ausdauer vermögen.“ Er meinte es preußisch-patriotisch-pathetisch. Hingebung und Ausdauer: Beides kann die Weltpolitik von heute nur zu gut gebrauchen. Barack Obama kann kommen.

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