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Kultur: Siegestänze

Philharmonie: „Elektra“ mit Christian Thielemann.

„Ob ich die Musik nicht höre? Sie kommt doch aus mir.“ Diesen Satz, Beschwörung und Bekenntnis in höchster Ekstase, scheint der Dichter Hugo von Hofmannsthal einer Evelyn Herlitzius auf den Leib geschrieben zu haben. Aus der Dresdner Semperoper, wo die „Elektra“ kürzlich als Auftakt des Richard-Strauss-Jahres Premiere hatte (siehe Tagesspiegel vom 24. Januar), gelangt die Produktion nun konzertant nach Berlin unter der gefeierten Leitung von Christian Thielemann.

Das Podium der Philharmonie ist kein Orchestergraben. Da die Sängerinnen und Sänger hinter dem Riesenorchester aufgestellt sind, ist die Klangbalance heikel. Evelyn Herlitzius aber triumphiert über jeden instrumentalen Schwall der Orchesteroper. Was für Spitzentöne in der schwierigen Titelpartie, was für „königliche Siegestänze“! Das Feinste ist, dass ihr eigenartig dunkel vom Lyrischen ausgehendes Timbre, das die Szene der Wiederbegegnung mit Orest dominiert, unverwechselbar bleibt, „Traumbild“, ein Timbre zum Verlieben.

Die Orchesterbilder, die diese Szene rahmen, das schauerlich-schnelle Intermezzo des Grabens nach dem Beil, die Liebesmusik nach dem Aufschrei „Orest“, gestaltet Thielemann grandios mit der höchst motivierten Sächsischen Staatskapelle. Sonst bleibt ihm oft die Geste des Dämpfens gegenüber den Musikern, weil die Akustik anders ist als im Opernhaus. Das „Elektra“-Orchester mit seiner Dramatik dröhnt, hämmert – und überwältigt, Violinen und Bratschen verdreifacht, viel tiefes Blech, Pathos, Erregtheit und Süße. Das Thema der Agamemnonskinder ist auch Thielemanns romantisches Reich. Eine liebliche Ahnungslosikeit bringt Anne Schwanewilms als Chrysothemis in das Jubelfinale, wenn sie den haarsträubenden Text singt: „In allen Höfen liegen Tote (...) und doch strahlen Alle.“ René Pape als Orest tritt mit der Ruhe des Wotan-Baritons in die Unruhe der Frauenstimmen, langsam und feierlich: „Ich muss hier warten.“

Das war schon in Salzburg so, wo 2010 außerdem Waltraud Meier ihr szenisches Debüt als Klytämnestra gab. Hier nun darf sie im Abendkleid wieder so schön aussehen wie damals auf der Festspielbühne, anders als in dem hässlichen karierten Rock der aktuellen Dresdner Inszenierung. Was sie singt, ist Krankheit der Seele. In der Auseinandersetzung mit Elektra aber ist die große Sängerin stimmlich überfordert. Worum es in dem Dialog geht, um Hass und Ekel, bleibt der Nervenkontrapunktik des Orchesters vorbehalten. Der legendäre Karl Böhm, der als Strauss-Dirigent immer den Text verteidigt hat, würde sagen: „Da versteh’ ich kein Wort!“ Sybill Mahlke

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