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Kultur: Siehst du den Mond über St. Pauli?

Brecht zum Wohlfühlen: Auf der Hamburger Reeperbahn hat die „Dreigroschenoper“ Premiere – mit einem Staraufgebot von Ulrich Tukur bis Eva Mattes

Vor zwei Jahren hatte der Berliner Theaterfanatiker Florian Hawemann die ziemlich geniale Idee, Brechts „Dreigroschenoper“ am stillgelegten Schillertheater als Musical wiederzubeleben: mit einem Stab wechselnder Theaterstars, die das Stück zum jahrelangen Verkaufsschlager machen sollten. These: In Berlin müsse eigentlich immer eine „Dreigroschenoper“ zu sehen sein. Der Plan ist gescheitert, aber gut war er doch.

Nun hat das ehemalige Team der Kammerspiele in Hamburg um Ulrich Waller und Ulrich Tukur ein ähnliches Projekt verfolgt. Was als silvestersektselige Spinnerei begann, hat seit Donnerstag Abend das Zeug zum Dauerbrenner: Brechts „Dreigroschenoper“, mit einer glänzenden Starriege von Ulrich Tukur und seinen Rhythmus Boys über Christian Redl bis hin zu Eva Mattes – und das Ganze an höchst passendem Ort. Denn nachdem die Vertragsverlängerung für die Kammerspiele unter andem an der ungeschickt taktierenden Hamburger Kultursenatorin Dana Horakova gescheitert war – die dafür bei der Premiere im ersten Rang an der Seite sitzen musste – hatten Waller, Tukur und Co. eine neue Heimat im St. Pauli Theater auf der Reeperbahn gefunden: ein charmant angegammeltes, ziemlich enges 600- Plätze-Haus am Spielbudenplatz im Herzen von Hamburgs Vergnügungsviertel.

Die Location ist optimal gewählt: Denn wo, wenn nicht auf Hamburgs schmuddelig-quirliger Amüsiermeile, ist Brechts „Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens“ zu Hause? Die Damen der benachbarten Herbertstraße stellen sich heute noch hinter Glasscheiben zur Schau und träumen, so Waller, „von der Zeit danach als Ehefrau oder Boutiquebesitzerin“. Die Davidwache liegt nebenan, vor dem Theater stehen gepanzerte Mercedes’ und Polizeiwagen nebeneinander. Und dann scheint am Premierenabend auch noch der Vollmond über St. Pauli. Kiez-Kitsch vom Feinsten.

Und doch ist diese „Dreigroschenoper“ von glänzendem Startheater ebenso weit entfernt wie von der rauen Wirklichkeit draußen vor der Tür. „Hier muss man Brecht nicht interpretieren. Die Umgebung des St. Pauli Theaters ist schon Interpretation genug“, erklärt Waller – und beschränkt sich mit der Regie auf einen neutral-realistischen Rahmen. Ein Steg, eine Treppe, zwei, drei Kulissen, ein Bett, eine Kleiderstange, ein Tisch: die Möglichkeiten des St. Pauli-Theaters sind bescheiden, technisch wie finanziell, und so bekommt der Abend etwas angenehm Unprätentiöses, Unperfektes. Besonders bissig jedoch ist das nicht.

Das Pfund, mit dem Waller wuchern kann, sind seine Stars: Eva Mattes als Celia Peachum, eine Puffmutter im Seidenkimono, die ihrem komödiantischen Talent leider nur selten freien Lauf lässt. Christian Redl als Bettlerkönig Jonathan Peachum, dem man den Mackie Messer, den er vor Jahren im Schauspielhaus gegeben hat, noch deutlich anmerkt: ein Gangsterboss auch er, stiernackig, und Unternehmer durch und durch. Und Peter Franke als Tiger-Brown, der das Ende seiner wunderbaren Freundschaft mit Mackie Messer sichtbar schwer verwindet.

Publikumsliebling jedoch ist Stefanie Stappenbeck als Polly, sehr selbstbewusst und stimmgewaltig, halb Zicke, halb schon selbst hartherzige Unternehmerin. Und Maria Bills Seeräuber-Jenny, eine schmale, schräge Figur mit roter Otto–Dix-Perrücke, der schon mal der Fixerlöffel aus der Tasche fällt: Sie schmettert ihren „Salomon“-Song mit der Kraft der Verzweiflung und macht aus jedem ihrer Auftritte eine Hauptnummer.

Und schließlich: Melancholischer hat nie ein Mackie Messer in Unterhose auf der Bühne gestanden als Ulrich Tukurs schon etwas angegrauter Gangsterboss. Ein mittelalter Biedermann mit gut gefärbtem Clark-Gable-Stutzbart, der schon mal in schwarzen Strümpfen ein Tänzchen wagt, sidestep hier, sidestep da, und ansonsten von den Anforderungen der Welt um ihn herum herzlich überfordert scheint. Was nicht verwunderlich ist: Die Ganovenbande in Gestalt der um Kai Maertens und Tim Dominick Lee erweiterten „Rhythmus Boys“ ist so nervig, komisch und penetrant wie selten. Ulrich Tukurs eingeschworene Musik-Combo, wie die Orgelpfeifen nach Größe geordnet, springt zwischen Bühne und Orchestergraben hin und her – und verbreitet dort einen Sound, der bestes Jahrmarkt-Tingel-Tangel ist. Da seufzt das Harmonium, jammert das Saxophon, zittern die Mandolinen, spielt die ganze Truppe derartig traumverloren vor sich hin, dass es zum Heulen schön ist.

Doch vielleicht ist dies genau das Problem des heftig umjubelten Abends. Zu nostalgisch, zu humorvoll, ja letztlich zu harmlos ist diese „Dreigroschenoper“, ein Brecht zum Wiedererkennen und Wohlfühlen. Die Antinomie zwischen Bühne und Parkett funktioniert zwar immer noch, der Spruch mit der Bank wird schmunzelnd quittiert. Doch von Brechts Zynismus ist kaum etwas geblieben: Dieser Haifisch hat keine Zähne mehr.

Ende Januar bringt übrigens das Berliner Maxim-Gorki-Theater eine neue „Dreigroschenoper“ heraus, inszeniert von der Brecht-Enkelin Johanna Schall. Auch ein Heimvorteil.

Christina Tilmann

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