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Kultur: Sigmar Polke: Gute Künstler schnarchen nicht

Anzügliche Witze machen die Runde, die angeheiterten Kollegen lachen einen Tick zu laut - ein Mal im Jahr will man so richtig ausgelassen sein. Auf Sigmar Polkes Rasterbild "Betriebsfest" (1998) entsteigt die muffig-spießige Atmosphäre einer solchen Feier in Form von drei grölenden Köpfen einer hässlichen Zimmerpflanze, gleichsam wie ein Geist aus der Flasche.

Anzügliche Witze machen die Runde, die angeheiterten Kollegen lachen einen Tick zu laut - ein Mal im Jahr will man so richtig ausgelassen sein. Auf Sigmar Polkes Rasterbild "Betriebsfest" (1998) entsteigt die muffig-spießige Atmosphäre einer solchen Feier in Form von drei grölenden Köpfen einer hässlichen Zimmerpflanze, gleichsam wie ein Geist aus der Flasche. Welch anderer Gegenstand könnte den öden Büroalltag so gut symbolisieren wie die immergrüne Topfpflanze? Mit klarem Gespür spießt Polke die Mythen des Alltags auf, sei es die deutsche Nachkriegssehnsucht nach dem "Wochenendhaus" oder der heutige Sportlichkeitswahn. Er sammelt die Klischees und den Kitsch der kleinbürgerlichen Spießigkeit in Zeitschriftenbildern, Reklameanzeigen, Comics und Groschenromanen und wirft sie uns gerastert, fotokopiert, gezeichnet, gemalt, collagiert und mit Witz und Ironie durchtränkt zurück.

Die Ergebnisse können nun erstmals in der Gesamtheit bestaunt werden. Der Württembergische Kunstverein Stuttgart zeigt die gesamten Editionen Sigmar Polkes von 1963 bis 2000. Der Maler ist sich bewusst, dass seine abstrakte Kunst nur begrenzt diskursfähig ist. Mit den Editionen, die gemeinhin als "Nebenprodukte" seines offiziellen µuvres rangieren, schuf er sich ein eigenständiges Werk, um mit seinem Publikum in einer direkteren, noch frecheren Art und Weise zu kommunizieren, als es die Malerei ermöglicht.

Die Editionen, ein vielfältiges und heterogenes Werk, das gleichermaßen aus Postkarten, Plakaten, Kataloginserts, Fotografien, Künstlerbüchern, Objekten und Druckgrafik besteht, zeugen von seiner Experimentierfreude und geben einen unmittelbaren Einblick in Polkes metamorphische Arbeitsweise. Schon in den sechziger Jahren entdeckte er das Rasterbild und die Druckgrafik als ausdrucksstarke Mittel für seine subversiven Zeitdiagnosen. Indem er die Ausgangsbilder - zum Beispiel eine Werbeanzeige für Ferienhäuser oder Bademoden - von der Werbebotschaft trennt, sie stark vergrößert und rastert, potenziert er die Klischees und desavouiert sie zugleich. Quer über das abgebildete "Wochenendhaus" legt er als zusätzlich verfremdendes Mittel eine überdimensionierte Blume. Er benutzt das Raster aber nicht glatt und affirmativ wie die amerikanische Pop Art, sondern rückt geradezu die Fehler in den Vordergrund. Auf ein und demselben Rasterbild wechselt die Größe der Punkte, sie scheinen verzerrt oder wie auf dem Blumentopf von "Betriebsfest" in die Länge gezogen - als hätte jemand beim Fotokopieren die Vorlage bewegt.

Dem Künstler geht es gerade um jene zeitbezogenen Ablagerungen, die Andy Warhol und Roy Lichtenstein beim Rastern aus den Reklamebildern tilgten. Das dahinter stehende politische Engagement - nicht nur in der Serie "Bundestagswahl 1972" oder "Kölner Bettler" -, seine Konsumkritik und karnevalistische Attitüde gegenüber den Fortschrittsversprechungen, die ihn von seinen amerikanischen Kollegen unterscheidet, mag auch in der spezifischen politischen Situation Deutschlands begründet sein. Als er in den sechziger Jahren an der Düsseldorfer Akademie studierte, regierte jenseits des Eisernen Vorhangs der staatlich verordnete Sozialistische Realismus, im Westen die abstrakte Kunst der fünfziger Jahre. Polke und Gerhard Richter setzten dagegen ihren so genannten Kapitalistischen Realismus.

Und dennoch: Das Quellenmaterial, das Polke zusammenrückt, ist zu heterogen, als dass man seinen Bildern einen eindeutigen Sinn entlocken könnte. Mystisch-Märchenhaftes mischt sich mit Banalem, zeitlich Entrücktes mit tagespolitischen Aktualitäten, Faszination geht einher mit ironischer Brechung. Unentwegt überarbeitet er frühere Bilder, übermalt sie oder setzt sie zu neu zusammen. Aus einem Motiv ergibt sich ein neues. Polkes Werk erscheint als eine schier unendliche Verkettung von Ideen und Motiven, von Wiederholungen und Variationen.

So ließ Polke 1984 für die Zeitschrift "Parkett" den Filmstreifen "Desastres und andere bare Wunder", den er zwei Jahre zuvor in Anlehnung an Goyas Serie "Desastres" produziert hatte, "in vergrößerter Form auf ein Leporello aus Spinnennetzpapier drucken. Dieses transparente Papier benutzt man gewöhnlich als Zwischenblätter für Fotoalben, wo es die Fotos schützt und ihnen eine Aura verleiht. Auch die Fotoserie "Desastres" erhält durch das Papier eine größere Gewichtigkeit, nur dass sich auf ihnen nichts erkennen lässt. Polke hat nämlich seinen Film unter Einsatz von "Himbeergeist, Kaffee, Pril sowie weiteren Tricks" entwickelt - zum einen um der Macht des Zufalls seine Reverenz zu erweisen, zum anderen um die wunderbare Kraft eben eines "Desasters", eines Entwicklungs-Desasters zu demonstrieren.

Allen Bildern, so vielschichtig sie auch sind, ist die ironische Brechung gemeinsam. Selbst die über Jahrhunderte zum Genie verklärte Person des Künstlers stürzt Polke vom Thron und macht dabei auch vor sich selbst nicht halt. In einem Buch, das er zusammen mit Gerhard Richter produziert hat, schreibt er: "Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie geschnarcht, ganz gleich, was das Magnetophon sagt. Ich weiss, dass gute Maler nicht schnarchen."

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