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Silvester mit Bethoven: Ein Herz aus Paprika

Und immer wieder Beethoven – die Silvesterkonzerte auf Berlins Musikbühnen. Unsere Autoren erzählen, wie es war im Prestissimo, im Tempodrom oder auch in der Komischen Oper.

Im Prestissimo geht die Post ab. Die Staatskapelle Berlin spielt dichtes Fortissimo, sodass der Jubel des Freudenfinales in glücklichen Lärm mündet. Das ist der Impetus der Jugend, der das Publikum in trampelnde Begeisterung versetzt. In dem Phänomen des Dirigenten Gustavo Dudamel verbindet sich eine musikalische Hochbegabung mit dem Märchen sozialer Wunscherfüllung.

So ist er, designierter Direktor des Los Angeles Philharmonic, zum wiederholten Mal berufen, ein Berliner Spitzenorchester zu dirigieren: 27 Jahre alt, ein Wunderkind aus der venezolanischen Orchesterbewegung, die jedem, der lernen will, kostenlosen Unterricht an einer Musikschule anbietet. Der junge Berliner Philharmoniker Edicson Ruiz, der aus einem Armenviertel von Caracas stammt, hat von dem Bildungsprogramm profitiert. Dudamel kommt aus einfachem Haus und gesteht, dass er ohne die Musik vielleicht auf der Straße gelandet wäre.

Nun also seine Neunte in der Staatsoper, das Opus Magnum zu Silvester, Meisterprobe der Interpreten, die von den Chefdirigenten gern für sich reklamiert wird. Daniel Barenboim aber dirigiert in Wien. Dudamel wünscht sich, Beethoven zu kennen, „wenn man jung ist“. Im ersten Allegro, wo der Komponist nur un poco maestoso haben will, geht Dudamel mit Pomp und pauschalem Schwung voran. Er liebt Steigerungen und Fortissimi, die gleich Hammerschlägen in das Scherzo knallen. Lieblichkeiten wie die Fagotteinsätze gehen eher unter. Dann aber überraschend: Der Interpret als Staunender, Horchender im großen Adagio. Ernst Bloch nennt es das höchste Gut in der Musik, und der junge Dudamel scheint etwas davon zu spüren, von dem langsamen Wunder. Auch wenn ihm der Rückzug ins Leise schwerfällt, dieser Moment der Demut könnte seiner Karriere einen Weg weisen.

Dass er im Jubelfinale mit dem Staatsopernchor und dem Soloquartett aus Anna Samuil, Simone Schröder, Roberto Saccà und Christof Fischesser das ideale Gleichmaß von Klang und Geistigkeit nicht erreicht, ist nebenher Beethovens Schuld. Gewiss: „Über Sternen muss er wohnen“ gelingt großen Dirigenten geheimnisvoller. Wenn Dudamel aber tänzelt und das Freudenthema aus der Schulter dirigiert, dann streut er Salz in eine Wunde der Musik: ihre stilistische Unbekümmertheit. Das ist Beethoven von lateinamerikanischer Art. Sybill Mahlke

Beethovens finster-kämpferische „Coriolan“-Ouvertüre ist sicherlich nicht das geeigneteste Stück für ein Silvesterkonzert. Doch wenn die Kanzlerin Deutschland auf „ein Jahr der schlechten Nachrichten“ einschwört, muss man sich nicht wundern, wenn in Berlin gerade Kulturschaffende noch vor Jahresende dazu irgendwie Stellung beziehen. Werden doch erfahrungsgemäß auch sie in einer Rezession mit „schlechten Nachrichten“ konfrontiert. In seinem traditionellen Konzert am Silvesternachmittag im Tempodrom begegnet das Deutsche Symphonie-Orchester unter Leitung von Pietari Inkinen den politischen Kassandrarufen ziemlich elegant.

Programmpunkte wie Schönbergs Arie aus dem „Spiegel von Arkadien“ (mit verführerischem Sopran: Measha Brueggergosman) oder Walzer von Franz Schreker sind durchdacht und handverlesen. Vor allem die Tanz-Symphonie „La valse“ spielt man zu Silvester wohl nur, wenn man etwas anderes sagen will als „Freude schöner Götterfunken“. Dass die Wahl auf Ravels apokalyptische Vision einer kopflos ins Delirium sich tanzenden Wohlstandsgesellschaft fiel, hat auch künstlerisch Sinn. Das DSO liefert, dem Anlass entsprechend, wirkungsvolle Zirkusmusik und gleichzeitig einen Kommentar zum akrobatischen Geschehen in der Manege. Dieses ist atemberaubend. Mitglieder des Zirkus Roncalli schwingen sich ohne Netz am Trapez, bauen menschliche Pyramiden und ein frei im Raum schwebendes Gebilde aus Holzscheiten. Als sieben Menschen das Hochseil mit Fahrrädern befahren, muss auch das Orchester schweigen und den Atem anhalten – bis der Clown David Larible alles in lautes Lachen auflöst. Dagegen hilft auch nicht der schönste Kassandraruf. Matthias Nöther


Es ist schwer, zur 9. Symphonie noch Neues zu schreiben. Das Programmheft des Rundfunk-Sinfonieorchesters versucht es biographisch. Beethoven, heißt es da, habe lebenslang Liebe geschenkt und vergeblich um Gegenliebe gerungen. Seine letzte Symphonie – ein einziger Weltumarmungsversuch. Ob die Welt auch mitspielt war da erstmal zweitrangig. Im Konzerthaus ringt auch Chefdirigent Marek Janowski im Allegro vergeblich um die Liebe seiner Musiker. Mehr als einmal passt die Koordination nicht, vieles klingt verwaschen, überhastet. Musik, die nicht weiß, wo sie hin will. Erst im zweiten Satz finden er und das Orchester zueinander. Gleich das langgestreckte Crescendo, das den nach unten stürzenden Oktaven folgt, gerät wunderbar rund und organisch. Leider spielt das Schlagwerk sein eigenes Stück, die Pauken sind plärrend, knallig und bringen es mühelos fertig, den gesamten Streicherapparat zu übertönen.

Das Adagio aber schimmert geschmeidig und wach, wie ein stiller Kaffeehausbesucher, der mit höchster Feinnervigkeit seine Umgebung wahrnimmt. Der letzte Satz wird zum Triumph für den Rundfunkchor (Einstudierung: Sigurd Brauns). Fantastisch präzise grundieren die Herren die sphärenhaft reinen Damenstimmen. Beim Vokalquartett sticht der souveräne und volle Bass von Tomasz Konieczny heraus. Kurt Streits dünner Tenor hat keine Chance gegen das Orchester. Manuela Bress und Danielle Halbwachs können sich bei diesem Chor nur wenig profilieren. Er ist es, der am Ende von der Welt, oder zumindest vom Publikum, die meiste Gegenliebe erhält. Udo Badelt

Verkleidungen können heimtückisch sein. Zum Beispiel eine geradezu absurd markante Nase. Man möchte anerkennend an dem falschen Zinken ziehen, da spürt man: Der ist ja echt – und ist plötzlich doch sehr verlegen. So ergeht es der Komischen Oper mit ihren Konzerten zum Neuen Jahr. „Ungarn“ ist das Thema des Abends, und die Vergegenwärtigung eines fernen Operettenstaates, der mit Paprika und Puszta zu Sünde und Abenteuer lockt, gelingt frappierend. So sehr, dass sich das Opernhaus des Jahres in eine Provinzbühne verwandelt, die gegen kleines Geld große, falsche Gefühle darbietet. Intendant Andreas Homoki erinnert sich seiner ungarischen Wurzeln und gibt mit Zettelchaos in den Händen den linkisch-verschmitzten Anstaltsleiter, während Generalmusikdirektor Carl St. Clair stampfend nach dem erdigen Herz der ungarischen Musik sucht. Dazu eine dem Tod entgegen vibrierende Sopranistin (Erika Roos), ein von sich selbst umgeworfener Heldentenor (Attila B. Kiss) und eine damenhafte Mezzosopranistin, die vorgibt, ein Herz aus Paprika zu haben (Stella Doufexis). Das ist für eine kurze Weile durchaus vergnüglich, obgleich man sich nicht mehr traut, an irgendeiner Nase zu ziehen.

Lieber möchte man die Pause im Foyer endlos genießen, denn dort spielt das Hungarian Folk Quartet ungehemmt vom Bühnentreiben auf: knarzende Klänge, zu denen man tanzen und trinken will – und auf einmal sind die Emotionen da, deren grobe Fälschungen im großen Saal feilgeboten werden. Ulrich Amling

Das „à la carte“-Menü des Konzerthausorchesters, im Vorjahr als Experiment erfolgreich, wirkte diesmal schon etwas abgestanden. „Russisch“ wurde vorwiegend gewählt, vermutlich in Folge des vorgegebenen Amuse-Gueule: der in ihren rhythmischen Verschiebungen ironisch-anregenden, doch im kompakten Blechbläsersatz gewichtigen „Zirkuspolka“ von Igor Strawinsky. Mit Tschaikowsky ging es weiter: Gehaltvoll war die Fantasieouvertüre „Romeo und Julia“, mit fein ausgehörten, Tragisches verheißenden Bläserchorälen und langwierigen Streicherepisoden. Zumal Chefdirigent Lothar Zagrosek deren sämige Konsistenz kaum auflockerte.
Dazu passte der konservativ gewählte Hauptgang: Im orchestralen Prachtgewand, buntschillernd und in Form leise mahnender Abschattierungen kam „Don Juan“ von Richard Strauss daher. Und doch fehlte der letzte Feinschliff. Beschwingtes versprachen zwei Arien, die in der Publikumsgunst gleich hoch standen: „Una voce poco fa“ aus Rossinis „Barbier von Sevilla“ erlaubte der Solistin Sunhae Im kaum, ihre Unsicherheiten zu überspielen. Besser lagen ihrem etwas spitzen Sopran die Lyrismen und Koloraturen in der Arie des Fauno aus Mozarts „Ascanio in Alba“. So sprühten erst bei Tschaikowskys Walzer und Polonaise aus „Eugen Onegin“ endlich die Funken.

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