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Simon Rattle dirigiert Wagners „Rheingold“: Funkeln und Glitzern im reißenden Strom

Fulminanter „Ring“-Auftakt: Simon Rattle dirigiert Wagners „Rheingold“ an der Deutschen Oper.

Die stillen Sekunden, die verstreichen zwischen dem Öffnen des Vorhangs, dem Blick in die Tiefe, in den altvertraut-zeitlosen Zeittunnel von Götz Friedrich, und dem Einsetzen der Musik – haben sie sich schon früher so scheinbar unendlich gedehnt? Als wolle Simon Rattle den Moment bis ins Unerträgliche auskosten, den natürlichen, klanglosen Urzustand, das Glück, wie es Richard Wagner imaginiert haben muss. Irgendwann beginnen sie dann doch, die Kontrabassakkorde, die von Ferne heranwehenden Bläserstimmen mit ihren Es-Dur-Ketten, die weit über hundert Takte lang die gestaltlose Einheit, das Ruhen des Rheingolds am Boden des Stroms besingen.

Ein Coup, natürlich. Die Deutsche Oper hat es geschafft, Simon Rattle im Wagner-Jubiläumsjahr für einen ganzen Ring-Zyklus zu verpflichten und den Philharmoniker-Chef damit erstmals überhaupt ans Haus zu holen – und mit der Staatsoper gleichzuziehen, wo Rattle schon länger immer wieder mal dirigiert. Es hat sich gelohnt. Mit äußerster Hingabe und spitzfingriger Sorgfalt modellieren Rattle und das Orchester der Deutschen Oper an jedem Detail, jeder Phrase, wie funkelt und glitzert die „Rheingold“-Partitur unter den Händen des Briten, ein ständiges Heben und Senken, Atmen, Stocken, Fließen des musikalischen Stroms.

Mit keinem Takt merkt man diesem Dirigat an, dass Rattle, wie er angekündigt hat, „eigentlich keine Lust mehr auf Wagner hat, je mehr ich über ihn lese“. Vielmehr weiß er um die eminent dramatischen Qualitäten dieser Partitur, die unter einem minderen Dirigenten schnell zum öden Klangbrei überkochen kann, verwandelt die Musik zu einer weiteren, auf der Bühne präsenten Figur. Schockierend klar, ohne je plakativ zu werden, sind die Motive herausgemeißelt: Die edel-trügerischen Walhall-Klänge, die wuchtig-stampfenden Schritte der Riesen, die listig züngelnden, hektischen Streicherbewegungen beim Auftritt des Feuergotts (oder -geists) Loge.

Was der Abend auch zeigt: Wie sehr die Deutsche Oper bei einer logistischen Herausforderung vom Kaliber des „Rings“ aus dem eigenen Ensemble schöpfen kann. Es ist ein Wiedersehen und -hören mit vielen wack’ren Recken. Markus Brück legt den Wotan napoleonisch an, ein herrischer Feldherr, blind für den schwankenden Grund, auf dem er steht, verfallen auch er dem Ring, den er wonniglich und weltvergessen streichelt wie einst Tolkiens Gollum in seiner Höhle. Ein klein bisschen müde wirkt Burkhard Ulrich, wie viele hunderte Male muss er den Loge schon gesungen haben, und dennoch gibt es nur wenige, die das Tückisch-Verschlagene, den lauernden Beobachter so herauskitzeln können wie er. Dazu Reinhard Hagen als verlässlicher Fasolt und an seiner Seite Tobias Kehrer, im Ensemble seit 2012, mit betörend tiefem Bass, der reptilienhaft faucht und züngelt, nachdem er den Bruder erschlagen hat. Berührend Peter Maus als wuseliger Mime. Eigentlich ist der langgediente Tenor seit einigen Monaten im Ruhestand, 39 Jahre hat er dem Ensemble angehört. Grund genug für Intendant Dietmar Schwarz, mitten im Schlussapplaus das Mikro zu ergreifen und Peter Maus Blumen zu überreichen.

Bei den Gästen rudert Doris Soffel als Fricka gewohnt ausdrucksstark, zickig und schrill mit den Armen über die Bühne. Schwierig Eric Owens als Alberich: Er mampft viele Töne in sich hinein, ist schwer zu verstehen, kann seinem Bariton aber in den besten Momenten einen Schimmer verleihen, der schwärzer glänzt als das Tropfwasser an den Mauern des Zeittunnels. Juha Uusitalo als Donner und Thomas Blondelle als Froh schaffen es nicht, ihre kleinen Rollen zu profilieren, Blondelle immerhin noch im Negativen: ein eitler Götterfatzke, der im Friseursalon besser aufgehoben wäre als auf Walhall. Gleichwie: Das, was Simon Rattle zeitgleich im Graben veranstaltet, schwemmt alle Einwände hinweg. In hehrer Wonne darf sich wähnen, wer für die ausverkauften Vorstellungen von Siegfried (27.9.) und Götterdämmerung (29.9.) Karten hat. Udo Badelt

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