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Karl Friedrich Schinkel baute sowohl die Sing-Akademie zu Berlin (heute Maxim Gorki Theater), als auch die Elisabethkirche.

© Rückeis, dpa

Sing-Akademie zu Berlin: Ein Chor wird reich

Das Maxim Gorki Theater kann weiter Unter den Linden spielen: Berlin zahlt der Sing-Akademie 3,5 Millionen Euro Entschädigung und mietet das Haus für 25 Jahre.

Ein volles Vierteljahrhundert hat der Rechtsstreit gedauert. Jetzt aber scheint es endlich zum großen Finale zu kommen im Drama zwischen dem Land Berlin und der Sing-Akademie zu Berlin. Der älteste gemischte Chor der Welt, gegründet 1791 von Carl Friedrich Fasch, hatte gleich nach der Wende sein Recht an jenem klassizistischen Gebäude hinter der Neuen Wache in Mitte geltend gemacht, das die allermeisten Hauptstädter nur als Maxim Gorki Theater kennen, das aber ursprünglich mit privatem Geld von der bürgerlichen Dilettantenvereinigung errichtet worden war.

In einer nicht öffentlichen Sitzung gab der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses nun fraktionsübergreifend seine grundsätzliche Zustimmung zu einer Einigung zwischen dem Berliner Immobilien Management und der Sing-Akademie: Als Entschädigung dafür, dass der Chor sein Gebäude ab 1990 nicht wieder nutzen konnte, zahlt Berlin einmalig 3,5 Millionen Euro.

Das Geld wird für kulturelle Zwecke investiert.

Für das Recht, das historische Haus weiterhin durch das Ensemble des Gorki Theaters bespielen lassen zu dürfen, unterschreibt das Land zudem einen Erbbaurechtsvertrag über 25 Jahre, der eine Jahresmiete von jeweils 315 000 Euro vorsieht. Bis zum Herbst, so gibt sich der Vorsitzende der Sing-Akademie, Georg Graf zu Castell-Castell, im Gespräch mit dem Tagesspiegel zuversichtlich, müssten die entsprechenden Verträge ausgearbeitet und unterschriftsreif sein.

Aus einem schlichten Laienchor wird also eine reiche Kulturinstitution. Die allerdings, so betont Graf zu Castell-Castell, ihre Mittel weiterhin für kulturellen Zwecke in Berlin verwenden will. Zeitnah soll jetzt eine gemeinnützige Stiftung gegründet werden. Neben dem Musentempel, den Karl Friedrich Schinkel entworfen hat und der 1824 eröffnet wurde, gehört zum Vermögen der Sing-Akademie auch noch ein unschätzbar wertvolles Archiv, in dem sich über die Jahrhunderte jede Menge Handschriften und Erstdrucke angesammelt hatten. Seit 1945 galt es als verschollen, wurde 1999 dann aber von amerikanischen Wissenschaftlern in Kiew entdeckt und 2001 tatsächlich aus der Ukraine nach Berlin zurückgeführt. Die insgesamt 264 100 Seiten umfassende Sammlung wird derzeit als Dauerleihgabe in der Berliner Staatsbibliothek aufbewahrt, wo sie für Fachleute zugänglich ist.

Der Immobilienstreit ging durch alle Instanzen

Den Kampf um ihr Stammhaus führte die Sing-Akademie auch nach der Archiv- Rückgabe weiter, durch alle Instanzen, bis im Dezember 2012 der Bundesgerichtshof schließlich feststellte, dass der Chor Eigentümer der Immobilie ist. Und immer war. Nur aus Versehen habe ein DDR-Beamter 1961 den Stempel „Eigentum des Volkes“ ins Grundbuch gedrückt, weil er davon ausging, das Gebäude zähle zu jenen preußischen Besitztümern, die nach dem Krieg enteignet wurden. Tatsächlich aber war der Chor stets ein unabhängiger Verein geblieben. Darum steht ihm das Gebäude auf dem innerstädtischen Filetgrundstück zu. Einst galt der Konzertsaal der Sing-Akademie akustisch als einer der besten der Welt, nach der Zerstörung 1943 aber wurde das Haus beim Wiederaufbau im Innern für das Theater neu gestaltet.

Die Elisabethkirche, ebenfalls gebaut von Schinkel.
Die Elisabethkirche, ebenfalls gebaut von Schinkel.

© picture alliance / Arco Images

Seit Kai-Uwe Jirka, der Chef des Staats- und Domchors, 2006 auch die Leitung der Sing-Akademie inne hat, geht es mit dem Chor künstlerisch bergauf. Zusammen mit dem Dramaturgen Christian Filips leitete Jirka eine veritable Renaissance des Ensembles ein – die sich ganz auf jenen Chor-Geist gründet, durch den die Sing-Akademie im 19. Jahrhundert zum Vorreiter der bürgerlichen Emanzipation in Preußen geworden war. Neben Konzerten steht vor allem die musische Ausbildung der Mitglieder im Fokus. Und die Pionierrolle, die die Sing-Akademie als eine Art Vorläufer der Volkshochschulbewegung gespielt hat. Humboldt hielt öffentlichen Vorlesungen in der Sing-Akademie ab, weil dies der einzige Versammlungsort war, der weder vom Hof noch der Kirche oder der Universität abhing. Und bei den Proben trafen Akademiker aller Fakultäten zusammen, die hinterher ins Gespräch kamen, jenseits ihrer üblichen Fachdiskurse. Mit dem üppigen Geldsegen vom Senat kann die Sing-Akademie jetzt wieder so ein bedeutender Ort des Gedankenaustausches und der kulturellen Förderung werden.

Gerüchte, der Chorvorstand hege Kaufabsichten für die Elisabethkirche an der Invalidenstraße – ein ebenfalls von Schinkel entworfenes, 1835 geweihtes Gebäude, das dem Maxim Gorki Theater durchaus ähnlich sieht – will Graf zu Castell-Castell nicht bestätigen. Der Jurist formuliert es vorsichtiger, lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass sich der Chor auf dem Elisabeth-Gelände wohlfühlt. Und dass er mit dem Entschädigungs- Geld eine dauerhafte Proben- und Aufführungsstätte erwerben will. Ein sinnvoller Schritt, da jetzt mit einem sprunghaften Anstieg der Mitgliederzahlen zu rechnen ist. Vor der Zerstörung im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs bot die Elisabethkirche übrigens Platz für 1200 Personen.

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