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Kultur: Singen für die Stille

Allzu menschliche Turbulenzen: Antonio Salieris späte Oper „Angiolia“ in Neuzelle

Sogar das Programmheft, das doch eigentlich Antonio Salieri gewidmet sein soll, nennt ihn an erster Stelle: „1766“, heißt es da, „als ein zehnjähriges Wunderkind namens Mozart die Fürstenhöfe bezaubert, reist Salieri nach Wien.“ Das ist Salieris Schicksal: als Schatten Mozarts seit 200 Jahren durch die Musikgeschichte zu huschen, als derjenige, der seinen Widersacher aus quälendem Neid vergiftet haben soll. Dass die historischen Quellen das nicht hergeben, dass die beiden sogar 1785 eine Kantate gemeinsam komponiert haben sollen – egal, die Story hat dramatisches Potential und ist längst zum Selbstläufer geworden. Der eine ist heute ohne den anderen nicht zu denken.

Angefangen hat es mit Puschkins Dramolett „Mozart und Salieri“ von 1831, und ob es mit Milos Formans Film „Amadeus“ wirklich aufgehört hat, ist ungewiss. Da hilft nur: Salieri aufführen und aufnehmen, so wie es in den letzten Jahren Diana Damrau, Mojca Erdmann oder die große Cecilia Bartoli getan haben.

Jetzt hat sich das Festival „Oper Oder-Spree“, das seit zehn Jahren jungen Sängern eine Plattform bietet, in Neuzelle Salieris später Oper „Angiolina“ angenommen, komponiert 1800 auf ein Werk des Shakespeare-Zeitgenossen Ben Jonson. Und siehe da: Das Stück ist nicht mit Göttern und Königen überladen – ein Salieri-Image, das Formans Film auszuschlachten wusste –, sondern sehr irdisch, menschlich, turbulent und witzig.

Ein reicher, lärmempfindlicher Baron sucht eine stille Gattin, die er in Angiolina, der Verlobten seines Neffen Leandro, gefunden zu haben glaubt. Die Intrige nimmt ihren Lauf: Angiolina macht dem Baron das Leben zur Hölle, so dass dieser seine Braut am Ende bereitwillig wieder an Leandro abgibt – unter der Zusicherung, ihn als Erben einzusetzen.

Für Sänger-Darsteller ist diese Oper ein Geschenk, und das junge Ensemble ergreift seine Chance, allen voran Remo Tobiaz als Leandros durchtriebener Barbier Ciccala. Der 31-jährige Schweizer hat seine Gesangsausbildung erst vor fünf Jahren begonnen – zum Glück, muss man sagen, denn jetzt hält der charmante Bariton mit feschem Schal, alpenländischer Verschlagenheit und Skilehrer-Lächeln die Fäden dieser Buffa fest in der Hand. Michal Pytlewski ist ein nervöser Slapstick-Baron, dessen sonores Timbre in reizvollem Gegensatz zur Fahrigkeit seiner Handlungen steht. Christina Bock hat als eine von Ciccalas Freundinnen nur eine kleine Rolle, beeindruckt aber mit souveränem, kräftigem Sopran. Weniger überzeugend Nenad Cica als Leandro, der steif wie ein Bügelbrett agiert und mit ausgedünntem Tenor singt, und Bilyana Danailova in der Titelrolle, bei deren scharfem Sopran sich mancher Zuhörer die Ohren zuhalten muss.

Eigentlich sollte die Produktion, wie in den vergangenen Jahren, im Kreuzhof des Klosters Neuzelle aufgeführt werden. Der Himmel will es anders, und so ist die Arbeit von Regisseurin Ulrika Lang zumindest für den Premierenabend vergebens: Im Refektorium ist nur eine konzertante Fassung möglich. Kleiner Trost: Die Akustik ist hervorragend und trägt den plastischen Klang des Orchesters der Plovdiv Opera aus Bulgarien unter Leitung des 25-jährigen Berliner Dirigenten Justus Thorau bis in die hintersten Ecken. Zumindest musikalisch bekommt Salieri an diesem Abend recht. Das Stück hat Tempo und Witz, es ist voller melodiöser, empfindsamer Arien, und auch wenn es natürlich noch stark von der traditionellen Nummernstruktur geprägt ist, so ist doch der Einfluss des Opernreformers Gluck, der in Wien nur ein paar Gassen von Salieri entfernt wohnte, auf jeder Partiturseite spürbar. Eine gewisse Bombastik, ein Hang zur Überhöhung, ist dieser Musik eingeschrieben. Niemand behauptet, dass sie an Mozarts genialische Leichtigkeit heranreicht. Dennoch: eine Rehabilitation.

Wieder am 23. und 24.7. und vom 27.-31. Juli in Neuzelle, 3.-5.8. auf Burg Beeskow sowie 6. und 7.8. im Atrium der Konzerthalle Frankfurt (Oder), jeweils 20 Uhr

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