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Der Umschlag von Sebastian Kleinschmidts letztem Heft.

© AdK

Sinn und Form: Das Heilige in der Wildnis

Der Wind, schreibt er zum Abschied, „weht, wo er will. Es ist wie mit dem Geist.

Von Gregor Dotzauer

Der Wind, schreibt er zum Abschied, „weht, wo er will. Es ist wie mit dem Geist. In diesem Sinn sind alle Fahrensmänner Theologen.“ In welchem Sinn Sebastian Kleinschmidt, der nun nach fast 23 Jahren als Chefredakteur von „Sinn und Form“ Matthias Weichelt das Ruder des „stolzen Schiffes“ überlässt, als Theologe anzusehen ist, beantwortet die letzte von ihm verantwortete Nummer (2013/4, 9 €) nicht nur durch den spirituellen Gehalt zahlreicher, wie immer sorgfältig komponierter Beiträge. Kleinschmidt, Sohn des Schweriner Dompredigers Karl Kleinschmidt, gibt hier im Gespräch mit Basil Kerski und dem polnischen Dichter Adam Zagajewski auch explizit Auskunft, wie der Vater, „Linkslutheraner und bekennender Sozialist“, ihn lehrte, oftmals getrennte Sphären zusammen zu denken: „Wer von Berufs wegen mit Sinnfragen konfrontiert wird, der kann der Theologie nicht aus dem Weg gehen. Man kann sogar in ein produktives Verhältnis zur Theologie gelangen, wenn man gänzlich unreligiös ist – was ich von mir gar nicht sagen würde.“

Zagajewski springt ihm mit den Worten bei: „Es gibt heute – vielleicht besonders in Deutschland – falsche Trennungen. Auf der einen Seite hat man das so genannte fortschrittliche Lager und die linksliberale Meinung, mit ihrer ironischen Literatur, die überhaupt kein metaphysisches Interesse hat; und auf der anderen Seite stehen die so genannten Rechten. ,Sinn und Form’ repräsentiert einen Denkstil, der diese falsche Trennung aufhebt. Das ist großartig. Ich sehe hier ein Denken, das auf der Suche ist, das den Geheimnissen der Welt nachgeht, das zu keiner festen Form geronnen ist, das gewillt ist, klischeehafte Vorstellungen von geistigen Haltungen abzuschaffen.“

Treffender ist das Profil der Zeitschrift, das sich so natürlich erst nach der Wende entfalten konnte, nie charakterisiert worden. So, wie es Kleinschmidt hier noch einmal in seinem ganzen kulturkonservativen Glanz inszeniert, ist es, unbekümmert um Tagesaktualität und desinteressiert an jeder provozierenden Geste, in seiner tiefen Ernsthaftigkeit noch immer an der Zeit. „Gerade unter den Bedingungen der Säkularisierung“, erklärt der Soziologe Hans Joas in seinem Aufsatz zur anhaltenden Bedeutung des Religionswissenschaftlers Rudolf Otto, „brauchen wir die Erforschung der Sakralität, denn nur sie ermöglicht es, die Erfahrungen der Selbsttranszendenz auch außerhalb der Religionen zu bedenken.“

So gesellt sich ein neuer, das Herz der zeitgenössischen „Wilderness“ auch politisch aufspürender Gedichtzyklus von Volker Braun zum liturgischen Ton von Christian Lehnerts Poesie, deren lautlosen Verweisen aufs Religiöse Kleinschmidt in einem Essay über „Musikalität und Sakralität“ im Werk des Leipziger Lyrikers nachspürt. Der 2006 verstorbene Ungar István Eörsi untersucht im Gespräch mit Adelbert und Ruth Renée Reif das widersprüchliche Denken seines philosophischen Lehrers, des tief in die kommunistischen Zeitläufte verstrickten Linkshegelianers Georg Lukács. Wohingegen Martin Tielke der Freundschaft des rechten Katholiken und Antisemiten Carl Schmitt mit dem 1945 in Plötzensee hingerichteten Johannes Popitz, Staatssekretär im Reichsfinanzministerium und 20.-Juli-Mitverschwörer, nachgeht.

Beides sind lehrreiche Beispiele für das Schillernde komplexer Persönlichkeiten in noch komplexeren historischen Zusammenhängen. Nur hat Tielke seinen Beitrag in unnötig exkulpierender Absicht verfasst: Er imaginiert den NS-Staatsrechtler Schmitt erst als Widerstandskämpfer, um dann zuzugeben, dass so viel counterhistory vielleicht doch zu viel sei. Dies ist deshalb so überflüssig, weil er durchaus plausibel macht, dass die Polarität von „Dunkelmann und Lichtgestalt“ bei Schmitt und Popitz nicht zutrifft, die Verhältnisse mangels vollständiger Quellen aber auch nicht aufklären kann. Die Vermutungen, die er anderen zum Vorwurf macht, stellt er selber an: ein „gefährliches Denken“, das allem, was sich an Schmitts Schriften verteidigen lässt, nicht weiterhilft.

Der Wind weht, wo er will. Und: Ein Jegliches hat seine Zeit. Auch der Dank. Die Akademie der Künste am Pariser Platz feiert Kleinschmidt am 22. August einen ganzen Abend lang. Motto: „65 Jahre ,Sinn und Form’ – Das Geheimnis der Dauer“.

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