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Kultur: Sinn und Norm

Deutschlands zweites Bauhaus: Ulm feiert den 50. Geburtstag der legendären Hochschule für Gestaltung

Friedlich schlummern die Gebäude auf dem Hügel namens Kuhberg. Bäume und Büsche verbergen den nackten Sichtbeton hinter üppigem Grün. Man schleicht sich gewissermaßen heran. Im Gebäudeinneren sorgen Sitzgruppen und Schwarze Bretter für jene Art von trostloser Heimeligkeit, wie sie deutschen Universitäten eigen ist. Zwei Abteilungen der Uni Ulm haben sich hier eingerichtet.

Es stimmt jedes Mal melancholisch, ein Bauwerk der klassisch gewordenen Moderne im heutigen Zustand zu besichtigen. Genau so ergeht es dem Besucher auch hier, am hügeligen Rand von Ulm. Die Hochschule für Gestaltung, 1954 gegründet, 1955 begezogen, 1968 aufgelöst, zählt zu den Eckpfeilern der Kulturgeschichte der Nachkriegszeit. Ihr Gebäude war ein gebautes Manifest. Die Fotografien in hartem SchwarzWeiß, die vom Leben und Arbeiten in dieser Einrichtung geblieben sind, liefern ein gleichermaßen programmatisches Bild. Hier, so sieht man und soll es sehen, herrschten Purismus, Wahrhaftigkeit, auch Kargheit. Ernst, Eifer und doch auch jede Menge Zuversicht spiegeln sich in den Gesichtern.

Die Ulmer Hochschule für Gestaltung (HfG) ist zum Mythos geworden. Sie hat viel mit dem 1918 in Weimar gegründeten Bauhaus gemein; nicht nur im Ausmaß der Verklärung und Legendenbildung, auch in ihrer Realgeschichte. Beide Institutionen wurden nach verheerenden Weltkriegen ersonnen, beide sollten das ihre leisten, die Gesellschaft mit Hilfe von Gestaltung zu einem besseren Leben zu befähigen. Beide zogen bedeutende Lehrer an und eine kleine, verschworene Gemeinschaft von Schülern; beide waren elitär und zerstritten, produktiv und chaotisch, asketisch und lebenshungrig. Nur ein gutes Drittel der insgesamt lediglich 637 HfG-Studenten (aus 49 Ländern) schloss das Studium in Ulm ab, die meisten gingen nach mehr oder minder kurzer Zeit; doch alle, alle trugen den Mythos hinaus in die Welt – was in Ulm durchaus wörtlich zu verstehen ist, führte die Hochschule doch eine abgeschiedene und für die im zugehörigen Wohnturm lebenden Studenten mönchische Existenz auf den winterkalten Höhen der Schwäbischen Alb.

Vor fünfzig Jahren nahm die Schule ihren Lehrbetrieb auf; und wieder drängt sich eine beziehungsvolle Parallele zum Bauhaus auf. Denn als 1968 der 50. Geburtstag des Bauhauses gefeiert wurde, lag die HfG schon in Agonie, berieten die Studenten verzweifelt über die Selbstauflösung der Institution. „worte für’s bauhaus sind gut/taten für die hfg sind besser“, stand – in Bauhaus- wie auch Ulm-typischer Kleinschreibung – auf einem der Protestplakate, mit denen die Ulmer zur Bauhaus-Feier nach Stuttgart reisten.

In der schwäbischen Landeshauptstadt wurde das Schicksal der HfG besiegelt. Der Landtag verweigerte die Aufstockung der längst zu schmal gewordenen Zuschüsse für die Designschule. Der Betrieb wurde eingestellt. Es ist wiederum Legende, dass diese Schließung politisch gewollt gewesen, gar auf Grund des zeittypischen Aufbegehrens der Studenten erfolgt wäre. In Wirklichkeit war die Hochschule wohl innerlich bereits ausgezehrt, ihre wichtigsten Lehrer waren längst zu gesuchten Designern der prosperierenden Bundesrepublik avanciert. Der Enthusiasmus der frühen Jahre war verflogen.

Wenngleich die an der HfG geschaffenen Entwürfe und Produkte erst in den sechziger Jahren das Erscheinungsbild der Bundesrepublik nachhaltig beeinflussten, so ist doch gerade ihre Frühzeit der fünfziger Jahre bedeutsam: als Gegenbild zur Adenauer-Restauration. Ein schärferer Kontrast zwischen der kargen Ästhetik der HfG und dem Nierentisch-Frohsinn wie auch „Gelsenkirchener Barock“ der Wirtschaftswunderjahre ist gar nicht denkbar. Erst auf diesem Hintergrund gewinnt die Ulmer Hochschule ihre politisch-moralische Bedeutung.

Zum 50. Geburtstag hat das Ulmer Museum der folgenreichsten Institution der Stadt eine Ausstellung eingerichtet, verteilt auf die eigenen Räume und das Stadthaus. Strahlend kommt die Präsentation daher, mit einer kostbar in Einzelvitrinen arrangierten Parade der Ulmer Designklassiker, mit einem „Bücherturm“ zur Verdeutlichung der Lehrmethodik und einer Dokumentation zum Bau des HfG-Komplexes. Und doch bleibt die Ausstellung – 16 Jahre nach der bislang letzten Übersicht! – seltsam harmlos. Da ist nichts virulent, da regt nichts zum Widerspruch oder auch nur Innehalten. Es ist, als ob Max Bills Begriff der „guten Form“ sich glättend über alle Zeugnisse aus fünfzehn Jahren HfG gelegt hätte. Ähnlich der begleitende Katalog, der viel Platz darauf verwendet, die Ausstrahlung der Schule in alle Welt zu betonen, aber schuldig bleibt, was heute, 35 Jahre nach Auflösung des Instituts, geboten ist: die Einbettung der Gestaltungs-Lehre in die Kulturgeschichte der Bundesrepublik. Und, daneben, ein wirklichkeitsnahes Bild vom konfliktreichen Innenleben des Hauses, unter dem nicht wenige Beteiligte gelitten haben.

Allein die Gründungsgeschichte gehört zu den Merkwürdigkeiten der Nachkriegszeit. Inge Scholl, ältere Schwester der hingerichteten Protagonisten der „Weißen Rose“, Hans und Sophie Scholl, gründete in Ulm eine Volkshochschule, die bald eine intellektuelle Elite anzog; 1947 plante Inge Scholl mit Hans Werner Richter, dem Zentralgestirn der im selben Jahr gebildeten Dichter-„Gruppe 47“, eine „Tagesvolkshochschule“ für Politische Bildung und Publizistik. Daraus ergab sich der Kontakt zum amerikanischen Hochkommissar John McCloy, der alsbald eine Million der neuen D-Mark aus einem US-Fonds für den kulturellen Wiederaufbau zusicherte, vorausgesetzt, Inge Scholl bringe dieselbe Summe aus Privatspenden auf. Das gelang.

Die Geschwister-Scholl-Stiftung errichtete ab 1953 auf von der Stadt geschenktem Ackerland das Institutsgebäude nach Entwurf des Schweizer Architekten und Malers Max Bill als Stahlbeton-Skelettbau, karg mit Sichtmauerwerk ausgefacht und mit normierten Holzrahmenfenstern versehen. Drunten in Ulm schüttelte man nur die Köpfe.

Bill war 1949 mit der Wanderausstellung „Die gute Form“ auch in Deutschland weithin bekannt geworden. Er drängte das Schulkonzept in Richtung Bauhaus-Neuauflage, wurde zum Motor der neuen – zeit ihrer Existenz privaten – Lehranstalt und ihr erster Rektor. Doch gegen Bills Künstler-Gestalter-Habitus gewannen die Verfechter einer auf strikt wissenschaftliche Methodik gegründeten „industriellen Gestaltung“ um den energischen Argentinier Tomás Maldonado bald die Oberhand, und Bill zog sich 1957 zurück.

Es begann die Hoch-Zeit der HfG. Auf dem – noch von Bill entworfenen – „Ulmer Hocker“, verwendbar als Stuhl, Beistelltisch und neben Bett und Schreibplatte einziges Möbel der Klosterzellen im Wohntrakt, saßen die Studenten und erforschten die Grundlagen der Gestaltung, lauschten dem Informationstheorektiker Max Bense, dem Produktgestalter und -pionier Walter Zeischegg und gönnten sich allenfalls die „konkrete poesie“ eines Eugen Gomringer, schrieben alles klein, lehnten Farbe ab und gestatteten sich allein Weiß, Grau und Schwarz. Und sie entwarfen solche Klassiker wie Nick Roericht das Stapelgeschirr TC 100 oder wie Hans Gugelot das legendäre Phonogerät, das unter dem Spitznamen „Schneewittchensarg“ bekannt wurde und der Firma Braun ein unverwechselbares Image verschaffte.

Die HfG hatte nichts gegen die Zusammenarbeit mit der Industrie, ganz im Gegenteil. Bald wuchs das HfG-Design über die kargen Mauern des Betonbaus hinaus, eroberte die neuen U-Bahn-Wagen der Hamburg U-Bahn und die Corporate Identity der „Lufthansa“. Bei der Weltausstellung von Montreal glänzte die HfG mit dem Thema „Verkehrswesen“ – ein Jammer, dass die pfiffigen Auto-Studien nie in Serie gingen –, und die weltweit kopierten Piktogramme bei den Olympischen Spielen von München 1972 sind erst recht Ulm – sie stammen von Otl Aicher, dem HfG-Mitbegründer, Rektor der Jahre 1962-64 und ab 1952 Ehemann von Inge Scholl.

So war denn das Ende von 1968 zwar das Ende der Schule, aber nicht ihrer Gesinnung. Ihre Entwürfe haben tatsächlich – wie es eine Werbeschrift im noch gänzlich unironischen Ton der fünfziger Jahre verkündete – den „Alltag verändert“. Der Ernst, ja das Pathos ihrer Anfangszeit konnten den Umbruch der 68er-Jahre nicht überstehen. Die gute, die sachlich-vernünftige Form der Ulmer Dinge aber ist Maßstab geblieben.

Ulm, Museum und Stadthaus, bis 30. November. Katalog bei Hatje Cantz, 208 S., br. 28 €.

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