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Kultur: Sinn und Spruch

Mit seinem Vorschlag, das in Berlin geplante Holocaust-Mahnmal mit dem Satz "Du sollst nicht morden!" zu versehen, hat der Theologe und SPD-Politiker Richard Schröder die Debatte belebt.

Mit seinem Vorschlag, das in Berlin geplante Holocaust-Mahnmal mit dem Satz "Du sollst nicht morden!" zu versehen, hat der Theologe und SPD-Politiker Richard Schröder die Debatte belebt.Der Vorsitzende der Berliner Jüdischen Gemeinde, Andreas Nachama, kritisiert Schröders Vorschlag in einem Brief, den wir im Wortlaut veröffentlichen.

Sehr geehrter Professor Schröder

mit Interesse habe ich Ihren Vorschlag zur textlichen Gestaltung des Holocaust-Denkmals zur Kenntnis genommen.Welche architektonische oder künstlerische Gestaltung ein Mahnmal zur Erinnerung an den millionenfachen Mord an jüdischen Männern, Frauen und Kindern auch immer haben soll, ohne einen Sinnspruch wird ein solches Denkmal nicht sein können.Deshalb begrüße ich die von Ihnen initiierte Debatte ausdrücklich.

In der Repräsentantenversammlung, dem Parlament der Jüdischen Gemeinde, wurde Ihr Vorschlag ausführlich diskutiert und stieß auf eine, wie ich meine, sehr berechtigte Kritik.Es wurde in dieser Diskussion nahezu einstimmig Kritik daran geäußert, daß Ihr Textvorschlag auf der hebräischen Zitierung des sechsten Gebotes basiert: Es wird befürchtet, daß "Lo Tirzach" für das breite Publikum nur eine schöne grafische Dekoration sein kann, die allein von den Opfern und von des Hebräischen kundigen Theologen verstanden werden kann.Die Repräsentanten der jüdischen Gemeinde sind sehr betroffen, daß das Mahnmal sich mit der Mahnung "Lo Tirzach" an die Opfer wendet, ja hierin wird ein Skandalum gewittert: das für die breite Masse der Mahnmalsbesucher unlesbare "Lo Tirzach" könnte als sprachliche Chiffre unverstanden bleiben und damit den Besuch des Mahnmals zur Besichtigung einer allein schönen Kaligraphie machen, ja es könnte der Eindruck aufkommen, man wollte den Juden hier eine Botschaft übermitteln.Aber gerade wir als Opfer oder deren Nachkommen kennen dieses Gebot nur zu gut - übrigens durch eine jahrtausende alte Geschichte judenfeindlicher Übergriffe auch im Namen des Christentums.

Sicherlich brauche ich Sie nicht darauf hinzuweisen, daß die Zehn Gebote im Christentum und Judentum unterschiedlich überliefert werden, denn die hebräische Bibel zählt die Gebote anders, als dies im Christentum der Fall ist.Da Sie ja nun in der christlichen Tradition das fünfte Gebot meinen, bitte ich Sie zu überdenken, ob nicht im Zentrum einer Textlösung zu allererst die deutsche Version zu stehen hat und dann Übersetzungen in den Sprachen der kollaborierenden Nationen folgen.Schließlich waren die Baupläne für den industriellen Mord an den europäischen Juden in der Sprache Luthers, Goethes und Schillers, nicht aber im Hebräischen verfaßt.

Ob nicht Orte wie Auschwitz, Maidanek, Treblinka, Dachau, Buchenwald, Sachsenhausen (und weitere Schreckensorte) ebenfalls zitiert werden müssen, um der Mahnung "Du sollst nicht morden", die auch in hundert Jahren notwendige historische Dimension zu geben, will ich persönlich an dieser Stelle nur fragend anmerken.

Schließlich könnte in einer zusätzlichen erläuernden Textpassage auch auf den Ursprung des fünften Gebotes im sechsten Gebot der hebräischen Bibel hingewiesen werden, dies mag später überdacht werden.Für eine Fortführung der Diskussion halte ich es jetzt jedoch für entscheidend, daß Sie die Korrektur der Zitierung vom Hebräischen zum Deutschen vornehmen, andernfalls sehe ich entschiedenen Widerstand aus den Reihen der jüdischen Gemeinschaft gegen Ihren Vorschlag.

Mit besten Grüßen

DR.

Wort und Täter Mißverständnis? Richard Schröder antwortet Andreas Nachama

ANDREAS NACHAMA

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