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Kultur: Sirenen singen nicht nur süß

„Fatale Frauen“: Das Museum Groningen zeigt den Geschlechterkampf in der Malerei

Gezückte Messer, blutige Schwerter, Schalen mit süßem Gift, kredenzt von schönen Frauen – das Groninger Museum ist zur Todeszone geworden. Gleich im ersten Saal der thematisch gegliederten Ausstellung „Fatale Frauen 1860 bis 1910“ wird das Publikum auf das Komplott eingestimmt: Der englische Maler J.W. Waterhouse belässt es 1891 in seinem Rückgriff auf Homers „Odyssee“ noch bei einer Andeutung: Der Seefahrer Odysseus hat sich am Mast festbinden lassen, die Gefährten haben ihre Ohren mit Wachs verschlossen. Das Boot umflattern die Sirenen, schwarze Vögel mit sanften Frauengesichtern, um mit unwiderstehlichem Gesang Odysseus ins Verderben zu locken. Dass Homers „Sirenengesang“ im Klartext nichts anderes als sexuelle Verführung ist, enthüllt Herbert James Draper 1910 auf dem benachbarten Gemälde. Von wegen Vögel! Die Damen haben ihr Federkleid abgelegt und entern im Eva-Kostüm das Boot. Wohin das führt, weiß Max Klinger. Sein Werk „Die Sirene“ zeigt 1895 ein Paar in inniger Umarmung, von Brandung umtost. Die nasse Affäre wird böse ausgehen – die Sirene hat einen Nixenschwanz und wird ihren Liebhaber ertränken.

Einmal pro Jahr kommt in Groningen das 19. Jahrhundert mit einer opulenten Sonderausstellung zum Zuge. Nach einer begeistert gefeierten Wiederentdeckung des russischen Realisten Ilya Repin im vergangenen Jahr locken nun die „Fatalen Frauen“. Gastkurator Henk van Os, ehemaliger Direktor des Amsterdamer Rijksmuseums, hat die Schau mit rund 70 Leihgaben aus aller Welt zusammengestellt. Dabei überwiegen große Formate, aber auch Zeichnungen, Grafik und einige Skulpturen sind zu sehen. Die Vorliebe des 19. Jahrhunderts für Sirenen und Sphinxen, Circen und Medeen war inspiriert vom französischen Symbolismus, vor allem von Charles Baudelaire. In seinen „Blumen des Bösen“ hatte er den „femmes damnées“ als Dämoninnen, Monstren oder Märtyrerinnen ein poetisches Denkmal gesetzt.

Der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts boten Motive gewalttätiger Frauen zugleich eine Möglichkeit, der offiziösen Historien- und Schlachtenmalerei ein Schnippchen zu schlagen. Kurator van Os spricht von einer „Pervertierung von Historienmalerei“. Es wurde möglich, anstelle gekrönter Häupter und Feldgetümmel sinnliche Gestalten auf die Leinwand zu bringen. Dass die gefährlichen Frauen als aktiv Handelnde motivwürdig wurden, spiegelt die Zeitläufte im späten 19. Jahrhundert: Frauen ergriffen Berufe, etablierten sich als Künstlerinnen, kämpften für das Wahlrecht. Dass dies vielen Männern, auch männlichen Malern, unheimlich war, liegt auf der Hand. So ist die Groninger Schau vor allem ein Panoptikum des voll entbrannten Geschlechterkampfes.

Ganze Künstlergenerationen zwischen Symbolismus und Jugendstil lassen sich von den Attentäterinnen in den Bann schlagen. Die Bandbreite der künstlerischen Positionen schwankt dabei zwischen Bewunderung für die starken Rächerinnen und offener Misogynie. Selten geht es für die Männer glimpflich ab wie 1909 bei Max Liebermann: Delila, eine nackte Rothaarige, schneidet ihrem schlafenden Bettgenossen Samson das Haupthaar, Quelle seiner ungestümen (Mannes-)Kraft, ab. Franz von Stuck hält mit sicherem Gespür für dramatische Helldunkel-Kontraste den Moment fest, als Judith den schlafenden feindlichen Feldherrn Holofernes einen Kopf kürzer macht. Gustave Moreau bleibt bei Andeutungen, umkreist nur das Geheimnis von Wollust und Mord. Aubrey Beardsley lässt 1893 mit schwarzem britischen Humor eine Salome schweben, die das abgeschlagene Haupt Johannes des Täufers wie einen Spiegel ihrer selbst in Augenhöhe hebt. Aus dem Hals fließt eine elegant züngelnde Blutspur. Mit 15 Werken ganz im Zentrum aber steht Edvard Munch, der Schilderer albtraumhafter Geschlechterbeziehungen. „Er hat das ganze Repertoire von Vampiren, Sphingen, Salomes in seiner Arbeit dargestellt“, resümiert Kurator van Os: „Bei ihm ist jede Frau eine potenziell fatale Frau.“

Groninger Museum, bis 4. Mai; anschließend im Museum für Schöne Künste Antwerpen. Katalog (in englischer oder niederländischer Sprache) 25 Euro .

Günter Beyer

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