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Sistanagila: Ein Lied kann eine Brücke sein

Sich spielend verstehen: Bei Sistanagila machen Israelis und Iraner gemeinsam Musik. Ein Probenbesuch in Kreuzberg.

Das Licht geht an und Yuval steht in der Tür. Er geht barfuß, seine Jeans ist abgetragen und auf dem Arm hält er seine kleine Tochter. Hinter ihm aus dem Wohnzimmer dringen merkwürdige Geräusche. Kein Geschrei von Kindern. Zu hören ist das Piepen einer Flöte, der Schlag einer Trommel, und irgendwo stimmt sich ein Piano ein. Gleich kann die Probe beginnen.

Yuval Halpern ist 32 Jahre alt, wuchs in Israel auf und ging vor sieben Jahren zum Studium nach Den Haag. Dann zog er weiter nach Berlin, wo er jetzt mit seiner Freundin in einem Kreuzberger Altbau wohnt. Yuval ist Komponist und Sänger der Band Sistanagila, die der Iraner Babak Shafian vor zwei Jahren gegründet hat. Babak ist 32 und lebt seit 13 Jahren in Deutschland. Im Gegensatz zu Yuval ist sein Haar sorgfältig nach hinten gekämmt, die Kleidung sitzt ordentlich, Hose und Hemd sind akkurat aufeinander abgestimmt. „Hava Nagila“ sei ein hebräisches Volkslied und „Sistan“ eine iranische Provinz, erzählt Babak. Für den Bandnamen suchten sie einen Begriff, der in beiden Sprachen heimisch ist. In Sistanagila fanden sie einen Neologismus, der die israelische mit der iranischen Welt verbindet.

Begonnen hat ihre Band-Geschichte jedoch nicht in einer Eckkneipe. Die beiden lernten sich im Internet kennen. Auf dem Portal „Couchsurfing“ wurde Babak auf Yuvals Profil aufmerksam, schrieb ihn an und erzählte ihm von seiner Idee. Bis dahin arbeitete Babak als Informatiker, und seine Freunde waren ziemlich überrascht, als er von seinem Projekt erzählte. „Ich fand es schade, dass vor allem zu dieser Zeit die antiisraelische Stimme Ahmadinedschads so laut in den Medien vertreten war“, sagt Babak. Den Worten des iranischen Präsidenten wollte er, nach dem Vorbild Daniel Barenboims, in dessen West-Eastern Divan Orchestra Israelis und Palästinenser zusammen spielen, die gemeinsame Sprache der Musik entgegensetzen.

Zu Sistanagila gehören derzeit sechs feste Mitglieder. Drei Israelis, zwei Iraner und eine Deutsche. Ähnlich wie Babak und Yuval sind auch sie zum Studium nach Berlin gekommen. Die Flötistin Michal Tikotzki geht noch zur Uni und der Trommler Jawad Salkhordeh verdient sein Geld mit dem Unterrichten.

Obwohl das Ensemble politisch motiviert ist, halten sich die Texte von Sistanagila aus der Politik heraus. Gesungen wird weder über die iranische Revolution von 1978/79 noch über die aktuelle Atomdebatte. Der gemeinsame Auftritt sei derzeit Aussage genug, finden Babak und Yuval.

Den iranischen Musikern fällt das Improvisieren viel leichter als den israelischen

Für seine Kompositionen geht Yuval in beiden Kulturen auf Erkundungstour. Er erforscht folkloristisch-religiöse Melodien, jüdische Klezmersongs sowie Texte und Klänge sephardischer Volkslieder. Er nimmt Tonleitern auseinander, arrangiert Gesänge, führt die unterschiedlichen Rhythmen zu neuen Klangbildern zusammen und bedient sich manchmal auch in der klassischen Moderne, bei Stravinsky oder Bartok.

Das erste Stück heißt wie die Band „Sistanagila“ und ist von der klassischen Frage-Antwort-Struktur der Rabbiner inspiriert. Die persische Tombak-Trommel stellt eine Frage in den Raum und der Sänger antwortet mit seinem rhythmischen Trällern. Piano und Flöte treten in einen Dialog und konfrontieren die Trommel mit neuen Fragen. Alle Instrumente stehen gleichberechtigt nebeneinander. Keins erhebt sich über das andere. Es ist ein musikalisches Gespräch, das nicht in der Vergangenheit, sondern im Hier und Heute angesiedelt ist. Wichtig sind dabei auch die Improvisationen. „Im Solo kann sich jeder ganz frei und ohne Druck präsentieren“, erklärt Yuval. Was dabei deutlich wird ist, dass den iranischen Musikern das Improvisieren viel leichter fällt als den israelischen. „Bei uns studieren wir die Musik und spielen mit den Augen“, sagt Yuval: „Im Iran wird mehr improvisiert, findet das Spiel vorwiegend mit den Ohren statt.“ Der Wechsel von Improvisation und Komposition ist somit für beide eine Herausforderung.

Sistanagila ist ein Statement der Verständigung, aber auch der Selbstvergewisserung

Neben dem Blick in die andere Kultur ist das Musizieren aber auch eine Auseinandersetzung mit den eigenen Wurzeln. „Eigentlich kenne ich mich weder mit der jüdischen noch mit der iranischen Musik richtig aus“, gesteht Yuval. Was ihn mit der Musiktradition seines Landes verbinde, sei mehr ein Gefühl als ein bewusstes Wissen.

Sistanagila ist die Band einer neuen Generation. Wie viele Zugewanderte bewegen sie sich nicht nur zwischen zwei, sondern zwischen mehreren Welten. Ihre Improvisationen sind ein Ausdruck von Neugier und eine Suche nach dem eigenen Weg. Sistanagila ist zwar ein Statement israelisch-iranischer Verständigung, aber auch eine Selbstvergewisserung. Den Begriff „Multikulti“ lehnen sie ab. Sie wollen keinen Stempel aufgedrückt bekommen. Und so geht es in ihrem nächsten Stück nicht um folkloristische Tradition, sondern um Heavy Metal.

Am Ende der Probe kommen die Mitglieder von Sistanagila dann noch mal auf die Politik zurück. Nicht auf die internationale Debatte der Zeitungen, sondern auf die im eigenen Umfeld. Jawad berichtet, dass die Polizei vor kurzem bei seinen Eltern im Iran aufgetaucht sei. Die Polizisten haben über Facebook von der Band erfahren. „ Sie wollten meinem Vater nur den Rat geben, ein bisschen auf seinen Sohn aufzupassen“, erzählt Jawad. Trotz seines Lächelns wirkt er traurig. Traurig und ein wenig bitter. Während Yuval daran glaubt, dass sie irgendwann einmal gemeinsam in Israel und im Iran auf der Bühne stehen, hält Jawad diesen Wunsch für naiv. Ein Traum, der mit der Realität nichts zu tun hat.

Mendelssohn-Remise am Gendarmenmarkt, Jägerstr. 51, Mitte, 15.12, 17Uhr. Weitere Informationen über die Band gibt es auf Facebook.

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