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Kultur: Skandal um Stockhausen: Licht aus!

Wenn es nur um eine theoretische Kunstdiskussion gegangen wäre, der Schaden wäre wohl auf überlastete Intellektuellen-Hirne beschränkt geblieben. Nun jedoch ist der Skandal da.

Wenn es nur um eine theoretische Kunstdiskussion gegangen wäre, der Schaden wäre wohl auf überlastete Intellektuellen-Hirne beschränkt geblieben. Nun jedoch ist der Skandal da. Alles an Unsäglichem ist öffentlich dokumentiert, was einer gedacht und leichtfertig dahingesagt hat. Und genau das ist das Problem. Die brutalen, weltfremden Äußerungen des Komponisten Karlheinz Stockhausen, der die Terror-Akte bei einem Pressegespräch in den USA zu "Kunstwerken" stilisierte, haben womöglich verheerenden Kollateralschaden in der Hamburger Kulturszene hinterlassen, vom Schaden für den Ruf Stockhausens ganz zu schweigen. Die Veranstalter des Musikfests, bei dem die vier Konzerte des Avantgarde-Altmeisters den Höhepunkt darstellen sollten, stehen unverschuldet und fassungslos vor einem Scherbenhaufen. Bis zum Samstag will man das restliche Programm wie geplant stattfinden lassen. Doch von Feststimmung ist keine Rede mehr.

Stockhausen hat geredet, ohne vorher zuende gedacht zu haben. Wenn überhaupt. Dass er wenige Minuten später, erschrocken über seine verbalen Monstrositäten, diese wzurückzog und am nächsten Tag dementierte, brachte die meisten anwesenden Journalisten in einen Entscheidungskonflikt: Zwischen einem buchstäblich bombigen Knüller über den seit der Endlosbastelei am Opernzyklus "Licht" ohnehin als esoterisch-verschroben geltenden Neutöner und einer gewissen moralischen Fürsorgepflicht. Muss man einen Künstler im öffentlichen Raum vor sich selbst schützen, wenn er darum bittet? Man muss nicht, entschlossen ein Sender und eine Zeitung und lösten am Montag eine Medienlawine aus. Noch am Montag abend, nach Krisensitzungen des Hauptsponsors und der Kulturbehörde, wurden die vier Stockhausen-Konzerte abgesagt. Bei der eilig einberufenen Pressekonferenz war man um Schadensbegrenzung bemüht. Kultursenatorin Christina Weiss hatte den schwersten Job: Sie musste den Spagat schaffen, Stockhausens Äußerungen zu verurteilen ("Sätze wie die gesagten sind unmoralisch und zynisch") und gleichzeitig Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher zu verteidigen. Der war erst vor wenigen Tagen in die Niederungen der Lokalpolitik geraten, weil sich die örtliche CDU darüber echauffiert hatte, dass Gregor Gysi am Tag der Einheit eine Rede über den Schiller-Text zu Beethovens Neunter Sinfonie halten sollte. Dass die Einladung zum Philharmoniker-Konzert bereits seit einem halben Jahr bekannt war, ignorierten die Konservativen.

Mittlerweile hat Gysi aufgrund der Geschehnisse in den USA seine Rede abgesagt, altgediente Abonnenten können aufatmen. Doch am Sonntag ist Wahl in Hamburg, in der Stadt, in der die Angst umgeht, international als Terroristen-Brutstätte dazustehen. In der Stadt, in der nach schier endlosen Jahren die SPD-Mehrheit zu kippen droht und der Rechtspopulist Schill nur noch abzuwarten braucht, wie groß sein Triumph ausfällt. In der Stadt, in der am Sonntag die Premiere von Hans Werner Henzes Anti-Kriegs-Oper "We Come To The River" auf dem Spielplan der Hamburgischen Staatsoper steht. Ingo Metzmacher soll sie dirigieren. Er ist nicht zu beneiden. Bei der Pressekonferenz fehlte er. Ihm fehlten wohl die Worte über diese Sätze des langjährigen Freundes, dessen Lebenswerk er mit den Best-of-Karlheinz-Konzerten in der Musikhalle würdigen wollte. Ein Hamburger Boulevardblatt hob Stockhausen gestern auf die Titelseite, in einer Fotomontage mit dem brennenden World Trade Center.

Joachim Mischke

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