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Zum Abendgottesdienst des dritten Advents haben die Kirchenmusiker des Berliner Doms das auf Smartphones und iPads musizierende „DigiEnsemble Berlin“ eingeladen, um den Gottesdienst musikalisch zu umrahmen.

© dpa

Smartphone-Orchester: Uns ist ein Touchscreen nun geboren

Deutschlands erstes Smartphone-Orchester erobert den Berliner Dom. Ein Besuch bei seinem Leiter.

Konzert- und Gottesdienstbesucher wissen es: Nichts kann eine andächtige Stimmung so wirkungsvoll zerstören wie das Klingen eines Handys. Um so überraschender, dass sich ausgerechnet die Kirchenmusiker des Berliner Doms die kleinen Teufel freiwillig ins Haus holen: Zum Abendgottesdienst des dritten Advents haben sie das auf Smartphones und iPads musizierende „DigiEnsemble Berlin“ eingeladen, um den Gottesdienst musikalisch zu umrahmen. Denn „Deutschlands erstes professionelles Smartphone-Orchester“ meint es ernst mit der ernsten Musik: Zusammen mit Roman Trekel, einem der besten deutschen Baritöne, soll unter anderem die Arie „Großer Herr und starker König“ aus Bachs Weihnachtsoratorium aufgeführt werden.

Dass er einmal mit Hilfe von Smartphones ein Herzstück der klassischen Musik interpretieren würde, hätte selbst Ensemblegründer Matthias Krebs vor wenigen Monaten nicht zu träumen gewagt. Schließlich war der kleine Gerätepark, auf dem das DigiEnsemble musiziert, ursprünglich einem ganz anderen Zweck zugedacht.

Krebs, der ausgebildeter Opernsänger, Gesangslehrer, Physiker und Musikpädagoge ist, leitet nämlich auch den Zertifikatkurs „DigiMediaL_musik“ an der Universiät der Künste. Für diesen Kurs, der Berliner Musiker bei ihren Marketingaktivitäten im Internet unterstützen soll, hatte er 2010 eine Reihe von Smartphones beantragt, die sich jedoch nicht in den Unterricht integrieren ließen. Stattdessen interessierten sich die Musiker für die musikalischen Möglichkeiten der Multimediahandys. Möglichkeiten, die sich seit der Einführung des iPhones im Jahre 2007 vervielfacht haben: Durch die sensomotorischen Steuerungsmöglichkeiten auf den Touchscreens seien aus Klötzen mit piependen Tasten regelrechte „Klanghandschuhe“ geworden, meint Krebs.

Über 100 Apps ausprobiert

Allein für das iPhone gebe es mittlerweile rund 12.000 Musik-Apps, unter denen immerhin 800 auch für echte Musiker interessant seien: digital emulierte Instrumente mit nachgebildeten Tasten und Saiten, aber auch grafische Oberflächen, die bei Berührung teils tonhöhengenau steuerbare Klänge von sich geben. Ein typisches Bewegungsmuster führt er gleich vor: Über langsames Heben und Senken seines rechten Armes lässt er einen starren synthetischen Flötenklang atmen – „der Bewegungssensor“ wie er erklärt. Dann pustet er ins Mikrofon, worauf das Gerät je nach Intensität unterschiedliche Tonhöhen von sich gibt.

Ein Virtuose in dieser Disziplin sei er nicht, entschuldigt er sich – und aktiviert den Magnetfeldsensor, auf den das Telefon bei jeder folgenden Bewegung mit knatternden Harfen-Arpeggios reagiert. Doch so faszinierend die Möglichkeiten seien – von der privaten Spielerei zum gemeinsamen Musizieren zu kommen, war für die Profimusiker zunächst frustrierend: „Wir haben in den ersten drei Monaten bestimmt 100 Apps ausprobiert“, erzählt Krebs, „und trotzdem kam nur Lärm heraus.“

Die Seele des Telefons.

Vor dem Auftritt bitte Finger waschen. Das DigiEnsemble Berlin beim Drücken, Wischen und Schieben – wie immer in voller Konzentration.
Vor dem Auftritt bitte Finger waschen. Das DigiEnsemble Berlin beim Drücken, Wischen und Schieben – wie immer in voller Konzentration.

© Sven Ratzel

Erst als die Musiker versuchten, eine Band zu imitieren, kam die Wende. Systematisch erobert sich das Ensemble nun die verschiedensten Musikstile, wobei man sich möglichst kompetente Partner sucht – von Jazzmusikern wie Matti Klein bis hin zu klassischen Opernsängern oder experimentellen Bands wie Mouse on Mars.

Die Seele des Telefons

Bis zu drei Monate sitzen die Musiker über einem neuem Stück, bis ihr Spiel die Finesse erreicht hat, dass Einschwingvorgänge und Vibrati seelenvoll oder dreckige Riffs glaubwürdig klingen. Die Erfahrung, dass die Spieltechniken eigene Anforderungen ans motorische Geschick stellen, machte auch das Ensemblemitglied Dustin Dick, der vom akustischen Klavier kommt: Statt nachgeahmter Tasten, die viele Apps anbieten, bevorzuge er mittlerweile eine Oberfläche, die an Gitarrentabulaturen erinnert.

Das Erproben verschiedener Stile sei jedoch kein Selbstzweck, man wolle auch keinesfalls akustische Instrumente verdrängen. Letztlich ist Krebs nämlich überzeugt, dass es auch für das Smartphone eine eigene Musik gibt – „und die“, lautet sein Credo, „wollen wir finden“.

Wie sich die anhören könnte, davon könnte die Improvisation über Adventschoräle einen Vorgeschmack geben, die das DigiEnsemble für den Gottesdienst vorbereitet hat. Dabei werde man auch mit Raumklangeffekten arbeiten, für die sich die Telefone besonders eignen, sagt Krebs. Der Unterstützung von Domkantor Tobias Brommann kann er sich dabei sicher sein: Für den gehören Experimente wie dieses zu einer zeitgemäßen Kirchenmusik – weshalb er das Ensemble auch eingeladen hat, zur Feier des 20. Gemeindejubiläums wiederzukommen: „Wir sind ja eine junge Gemeinde im Zentrum der Stadt – da ist es wichtig, dass von hier Impulse ausgehen, über Kunst nachzudenken.“ Vielleicht stellt sich dabei heraus, dass sogar Smartphones eine Seele innewohnt.

16. Dezember, 18 Uhr, Berliner Dom: Abendgottesdienst mit dem DigiEnsemble Berlin. Weitere Informationen unter www.digiensemble.de

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