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Smmerauktionen: Spur der Lemminge

Christie’s und Sotheby’s feiern die Sommerauktionen – doch vieles lief schief. Die Käufer blieben zurückhaltend.

„Ein Auktionsverkauf ist wie ein Fahrrad. Wenn es nicht in Schwung kommt, fällt es um“, sinnierte Thomas Seydoux als Modern Art Chef von Christie’s nach dem gescheiterten Verkauf des Spitzenloses von Claude Monet. Die Metapher galt für die ganze Londoner Auktionswoche: Sie lief, trotz größter Erwartungen, nicht rund.

Vier Bieter warteten laut Seydoux an den Telefonen darauf, um das Seerosenbild zu feilschen, das zuletzt 2000 in New York für 21 Millionen Dollar verkauft wurde und nun mindestens das Doppelte erzielen sollte. Es sollte die Reihe der Triumphe fortsetzen, die in diesem Jahr schon wieder Schlagzeilen machten: eine Arbeit von Giacometti für 104 Millionen Dollar, ein Picasso auf gleichem Niveau und die Skulptur von Modigliani, die vergangene Woche in Paris einen Rekordpreis von 48 Millionen Euro brachte. Viele glaubten, die Schätzung von 30 bis 40 Millionen Pfund für Monet könne noch übertroffen werden – vor allem, seit man munkelte, die Chinesen würden in den „Monet-Markt“ einsteigen. Christie’s hatte das Bild in Hongkong den asiatischen Sammlern vorgeführt, und mindestens einer von ihnen war nun am Telefon. Doch dann konnte Auktionator Jussi Pylkkänen bei allem Charme keinen der vier dazu bewegen, den Anfang zu machen. Jeder wartete auf den anderen. Der Monet wurde zum spektakulärste Auktionsflop seit dem Einbruch des Marktes im Herbst 2008.

Der Kunstmarkt ist, was die Amerikaner einen confidence trick nennen. Mit instinktsicherem Herdentrieb folgen die Käufer dem Mut der anderen. Vertrauen schafft Gewissheit und Gewissheit Vertrauen. Seit jenem New Yorker Auktionsflop vor zwei Jahren arbeiten die Auktionshäuser sorgfältig daran, das verlorene Vertrauen mit knappen Schätzungen, streng selektierten Angeboten und auf Erfolg getrimmten Auktionen wiederherzustellen. Diese Strategie erlitt diese Woche einen gewaltigen Rückschlag. Das Fahrrad ist zwar nicht umgefallen: Sotheby’s verkaufte Kunst für 112 Millionen Pfund, Christie’s für 152 Millionen Pfund – für beide Häuser waren es Spitzenergebnisse, sechs Werke brachten Preise über zehn Millionen Pfund oder zwölf Mio Euro. Aber die Auktionen hielten nicht, was der Hype versprach, und deshalb trudelt das Rad. Es begann, als bei Sotheby’ Edouard Manets Selbstporträt sang- und klanglos dem Kunstagenten Frank Giraud zugeschlagen wurde. Der Einlieferer, Hedgefonds-Gründer Steve Cohen hatte das hochwichtige Bild dem Sammler Steve Wynn abgekauft, der es 1997 für 17 Millionen Dollar ersteigert hatte. Nun kostete die Bravourmalerei mit altmeisterlichen Brauntönen 22,4 Millionen Pfund oder 26,9 Millionen Euro. „Vielleicht war das Bild zu anspruchsvoll für die unheimliche Breite neuer Käufer“, meinte Sotheby’s-Experte Philip Hook. Händler sagen es direkter: Für den Geschmack der Russen und Chinesen, die nun die hohen Preise bezahlen, war das Bild zu braun, zu 19. Jahrhundert und nicht sexy genug.

Auch beim dritten Superstar vermochte der Auktionator den Saal nicht in einen Kaufrausch versetzen: Drei Bieter gab es bei Christie’s für Picassos frühes Porträt des Fernandez de Soto von 1903, eingeliefert von der Andrew Lloyd Webber Foundation. Keiner aber wollte nachlegen. 34,7 Millionen Pfund (42 Millionen Euro) sind viel Geld für ein Gemälde, aber gerade dieser Preis war eine Enttäuschung. Picassos Schuld ist es nicht, eher ging auch hier die Kunst über die Köpfe derer mit den tiefsten Taschen. Komponist Webber kaufte das Bild 1999 für exorbitante 29 Millionen Dollar, weil es den Einfluss des von ihm hoch geschätzten Edward Burne-Jones zeigen sollte. Es ist ein schwieriges, modernes, aber vom Erbe des 19. Jahrhunderts geprägtes und düsteres Werk.

Man kann nur spekulieren, wo Bieter nun von zu ehrgeizigen Taxen abgeschreckt waren und wo der Geschmack der Käufer die Wertschätzungen des abendländischen Kunstverstands ignoriert. Zwei Papierarbeiten mögen aufschlussreich sein: Picassos großartiges Pastell „La Liseuse“ aus seiner neo-klassizistischen Epoche blieb mit 5,6 Millionen Pfund unter Schätzung – es hätte, als wichtige Rarität im Picasso-Markt, sechs bis neun Millionen Pfund bringen sollen. Bei Sotheby’s dagegen gab es ein endloses Bietgefecht um die große Kohlezeichnung „Etude pour Nu rose“ von Henri Matisse, die mit 1,5 bis 2,5 Millionen Pfund bewertet war, aber dann, u.a. von einem russischen Unterbieter, auf 5,9 Millionen Pfund gesteigert wurde. Böswillige könnten vom Prototyp der Kaufhauskunst sprechen, so lange sie den Blick nicht auf die notorisch schwunglos gemalten Hände und das Gesicht der Nackten lenken.

Gefochten wird um farbstarke, fröhliche, leichte und lustvolle Bilder. Picassos „Le Baiser“ war 2003, als der späte Picasso als senile Altmänner-Kunst abgetan wurde, von der Händlerfamilie Nahmad für 2,86 Millionen Pfund ersteigert worden. Nun brachte es bei Christie’s spielend die oberste Schätzung von 12,1 Millionen Pfund. Das Gemälde „Odalisques jouant aux dames“ von Matisse, zum ersten Mal seit 1928 auf einer Auktion, kam auf zwölf Millionen Pfund.

Käufer sind resistent gegen Hype, Profitgier und willkürlich hohe Taxen. Auktionshäuser müssen, wenn der Markt in Schwung bleiben soll, ihre Einlieferer stärker disziplinieren. Sotheby’s hatte ein Frauenbild Kees van Dongens, „L’Amie de Mrs. Edwards“, auf zwei bis drei Millionen Pfund angesetzt – dabei war es erst im Februar 2007, auf der Höhe des Booms, für 1,3 Millionen Pfund eingekauft worden – und hatte damals eine maßvolle Schätzung. Bei Christie’s rührte sich keine Hand für Otto Dix’ „Schwangeres Weib“. Die Bedeutung dieses „futuristischen“ Werkes ist unbestreitbar. Aber abgesehen davon, dass dem Bild der für die Kunstmarkt-Lemminge so wichtige Wiedererkennungswert fehlt, gibt es keine Vergleiche, die einen solchen Preis rechtfertigen würden. Besser wäre gewesen, das Werk seinen Preis finden zu lassen. Wenn, wie zu vermuten, der Stuttgarter Galerist Freerk Valentien der Enlieferer war, kann er das Bild nun wieder in die Galerie der Stadt Stuttgart geben, wo es seit 1988 als hoch geschätzte Leihgabe hing.

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