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Kultur: Smoke-King

Frederik Hanssen wundert sich über den Modegeschmack der Musicalmagnaten Was haben die bei der Stage Holding wohl geraucht? Der schwerreiche holländische Musicalkonzern, der sich jüngst das Berliner Theater des Westens unter den Nagel gerissen hat, lädt zur ersten Premiere an die Kantstraße – und tut so, als fielen Weihnachten und Ostern auf einen Tag: Aus einem eleganten Wellpappepäckchen schält man einen Umschlag mit Goldprägedruck.

Frederik Hanssen wundert sich über den Modegeschmack der Musicalmagnaten

Was haben die bei der Stage Holding wohl geraucht? Der schwerreiche holländische Musicalkonzern, der sich jüngst das Berliner Theater des Westens unter den Nagel gerissen hat, lädt zur ersten Premiere an die Kantstraße – und tut so, als fielen Weihnachten und Ostern auf einen Tag: Aus einem eleganten Wellpappepäckchen schält man einen Umschlag mit Goldprägedruck. Hat man die blaue Kordel abgefummelt, entblättert sich ein Konvolut feinster Pergamente, auf denen – nun endlich – die Premiere von „Les Misérables“ angekündigt wird. Weil das Musical nach Victor Hugos Roman im 19.Jahrhundert spielt, ist der Text in nachgeäffter Schreibschrift gesetzt – bis aufs Kleingedruckte am Fuß des Briefbogens. Da aber versteckt sich die interessanteste Information: Am 26.9. gilt „Dress Code: Smoking“.

Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich: Nicht nur das Stück, das die Stage Holding für Berlin ausgesucht hat, ist von gestern (seit 1980 haben es 50 Millionen Menschen gesehen), sondern eben auch der niederländische Unterhaltungskonzern. Denn wer als Musikkritiker das Glück hat, ab und an bei den feinen Klassikfestivals dabei sein zu dürfen, weiß: Smokings sind absolut out. Selbst in Salzburg und Luzern, wo sich traditionell die gut Betuchten treffen, tragen höchstens noch die Hälfte der Herren den traditionellen schwarzen Abenddress mit dem Seidenstreifen an der Hosennaht und am Revers. Das liegt einerseits daran, dass so ein Smoking seinen Träger ziemlich alt aussehen lässt – und sich jüngere Frauen mit Geschmack folglich sanft aber deutlich dagegen verwehren, mit einem Mann loszuziehen, der sein eigener Großvater sein könnte.

Andererseits ist der Smoking das letzte Überbleisel einer Zeit, als Männer je nach gesellschaftlichem Anlass zwischen Cut, Stresemann, Frack, Dinner Jackett oder eben Anzug zu wählen wussten. Die Einführung der Demokratie in Deutschland hat in puncto Herrenbekleidung da einen nicht zu unterschätzenden Beitrag geleistet. Selbst beim „concert de gala“ zum Debüt des neuen Lucerne Festival Orchestra unter Claudio Abbado in der vergangenen Woche war auf dem Eintrittsbillett lediglich „Abendanzug erwünscht“ vermerkt.

Dass die Stage Holding sich nun als modisch derart hinterm Mond outet, mag man damit entschuldigen, dass Maik Klokow, der General Manager Deutschland des Unternehmens, mal aktiver Boxer war: Dort, wo sich raummittig Männer in kurzen Hosen auf die Nase schlagen, ist es erklärlicherweise besonders erwünscht, dass nicht nur der Präsentator Smoking trägt, sondern auch die Herrn in den ersten Reihen – die Veranstalter glauben wohl, das wirke seriöser.

Und weil das Musical im LiveKultur-Bereich ungefähr dasselbe Ansehen genießt, wie die Haudrauf-Disziplin im Sport, soll nun also das männliche Premierenpublikum am 26. September démodé zu „Les Misérables“ erscheinen. Sei’s drum. Wir freuen uns jedenfalls jetzt schon darauf, unseren Premierenfeier-Bericht mit einem Foto zu illustrieren, das einen nach Wunsch Gewandeten vor einem kleinen Hinweisschildchen zeigt, auf dem klar und deutlich zu lesen ist: „No Smoking“.

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