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Kultur: „So ein Gezerre“

Schaubühne: Liao Yiwu und Herta Müller im Gespräch.

Ein Gespräch über die Mechanismen der Angst und der Macht – das hört sich abstrakt an, führt an diesem Abend aber alle Beteiligten an die Grenze des Sagbaren. Denn der chinesische Dichter Liao Yiwu und die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller sitzen nicht in der ausverkauften Schaubühne, um allgemein über Angst zu philosophieren, sondern um Einblicke in die eigene Erfahrung zu geben. Müller wurde in Rumänien jahrelang bespitzelt und schikaniert, Yiwu saß vier Jahre in einem chinesischen Gefängnis und schrieb über diese Höllenzeit den Dokumentarroman „Für ein Lied und hundert Lieder“. Wie soll er einfühlsam-psychologisierende Fragen nach Angst, Trost und der Funktion des Schreibens beantworten? Liao Yiwu sitzt aufrecht hinter dem Tisch, schweigt. Dann sagt er: „Ich bin zum Hund geworden.“

Moderatorin Carolin Emcke hat es nicht leicht. Ihre Fragen nähern sich wie auf Zehenspitzen – doch dies ist kein Behandlungszimmer, sondern eine Bühne. Liao Yiwu will nicht analysieren: Nein, das Schreiben sei kein heilsamer Zwang, er musste von den Mithäftlingen eher dazu gedrängt werden. Trost? Dass die anderen wahrscheinlich früher sterben werden als er. Alkohol natürlich. Trinken, anders könne er nicht vergessen. Dabei lacht er. Seine Rolle ist die des singenden Narren. Von dem, was die Moderatorin herauskitzeln will, kann er zwar schreiben, aber nicht sprechen. Nur singen. Zu Beginn singt er das eigens für Herta Müller komponierte Lied „Atemschaukel“. „Verzweifelt und mit dieser Zärtlichkeit“, sagt diese gerührt. Gegen Liao Yiwu ist Herta Müller eine erprobte Rhetorikerin, die zwar mit brüchiger Stimme aber tastend oder „wühlend“ doch einleuchtende Sätze findet: „Trost ist nicht das richtige Wort, eher kurzes Glück. Im Zustand der Angst lernt man, sich schneller zu freuen.“ Oder: „Schreiben ist eine Beschäftigung, die süchtig macht. Es hilft nicht. Aber es schadet auch nicht. Es wird zu einer eingebildeten Behütung. (Pause) Eigentlich kann man es ja nicht machen, trotzdem tut man es. Es ist so ein Gezerre.“ Andreas Schäfer

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