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Kultur: So fliege, wem der Flug gegeben

Tanz und Musik in Vollendung: ein Balanchine-Abend des Berliner Staatsballetts in der Deutschen Oper

Von Sandra Luzina

Vladimir Malakhov tanzt gerade seine season an der Met und drückt von New York aus die Daumen. Bei der Premiere des George-Balanchine-Ballettabends in der Deutschen Oper musste das Staatsballett Berlin ohne seinen Chef auskommen (Malakhov tritt am 7. und 10.6. auf). Der Star des Abends hieß ohnehin Polina Semionova. Die 21-jährige Moskauerin ist eine Supernova am Balletthimmel und sahnt derzeit alle Preise ab. Nach ihrem Auftritt in „Ballett Imperial“ wurde ihr nun auch der Kritikerpreis verliehen. Zuvor legte sie eine superbe Vorstellung hin, die – so ist zu mutmaßen – auch Mister B. gefallen hätte. „Ballet is women“ lautet der berühmte Ausspruch des Meisterchoreografen. Balanchine (1904 – 1983) liebte die Frauen; mit vier seiner Ballerinen war er verheiratet. Seine Choreografien stellen eine Apotheose der Ballerina dar. Polina Semionova, soviel ist sicher, ist die perfekte Inkarnation einer Balanchine-Ballerina, ergänzt um moderne Girlpower. Mit ihrer feingliedrigen Statur, den endlosen Beinen besitzt sie diese verlängerte neoklassische Linie, an der man die exquisite B-Klasse erkennt.

Schöne Frauen, die sich zu schöner Musik schön bewegen: „Serenade“, benannt nach Tschaikowskys Serenade in C-Dur für Streichorchester, formuliert bereits die Quintessenz eines Balanchine- Werks. Nach einem Tag in brütender Hitze kann der Zuschauer hier eintauchen in einen Kosmos aus kühler Schönheit. Tanz aus der Pool-Position: Der blaue Hintergrund-Prospekt unterstreicht das visuelle Design der Bewegung, die klaren Linien, die kristallinen Strukturen. Die Körper verflechten sich bisweilen zu ornamentalen Mustern, wenn die Tänzerinnen die Arme umeinander schlingen und sich ein- und auswickeln. Die Männer sind in der Minderzahl – was allerdings dem Zufall geschuldet ist. Die 1934 uraufgeführte „Serenade“ ist aus Balanchines ersten Tanzklassen in New York hervorgegangen. Anfangs erschienen 17 Mädchen und kein einziger Junge! Die Männer haben in „Serenade“ allerdings einen harten Job: So wird der aparte Ibrahim Önal von drei Grazien umrankt, weitere Damen sind bereits im Anflug, erwarten eine helfende Hand bei ihren kecken Lifts. Wie schön: Herr Önal wird mit allen spielend fertig!

Unserem Balanchine-Bild wird an diesem Abend keine neue Facette hinzugefügt. Neben den Wiederaufnahmen von „Serenade“ und „Ballet Imperial“ wurden zwei weitere Renner gewählt. „Apollon Musagète“ aus dem Jahr 1928 markiert Balanchines ersten Schritt in Richtung Neoklassizismus. Artem Shpilevsky leiht dem Apollo seine athletische Statur. Man hat allerdings nicht den Eindruck, dass er sich seines göttlichen Auftrags bewusst ist. Er könnte eher als Achill durchgehen mit seinen erdgebundenen Bewegungen. Das Apollinische in ihm hat sich noch nicht frei getanzt. Die Musen-Trias ist zu effektvollen Bildern arrangiert, so wenn sie sich an Apoll anlehnen und ihre Beine fächerförmig heben. Und Beatrice Knop als Terpsichore, die Muse des Tanzes, ist eine Sensation.

Corinne Verdeil und Marcin Krajewski feuern sich dann in dem „Tschaikowsky-Pas-de-deux“ gegenseitig zu Höchstleistungen an. Die kokett lächelnde Französin erweist sich als elegante Stilistin. Er legt eine Sprungkombination hin, die ihresgleichen sucht. Getanzt wird mit äußerter Präzision und atemberaubenden Drive, so dass einem beim Zuschauen fast schwindlig wird.

„Ballet Imperial“ ist dann das Sahnestück, eine Reverenz an Marius Petipa und das zaristische Ballett. Das Staatsballett tanzt es in einer pompösen Ausstattung, die bei anderen Compagnien längst in der Mottenkiste gelandet ist. Dem Zuckerbäckerwerk fehlt es bisweilen an tänzerischer Schärfe – doch alles ist vergessen, sobald Polina Semionova auftritt. Sie trumpft nicht allein mit technischer Brillanz auf, bei ihr ist jede Bewegung gefühlt, wird jeder Moment ausgekostet. Makellose Schönheit vereint sie mit völliger Hingabe.

Ein Balanchine-Abend ist ja immer ein Prüfstein für eine Compagnie. Auch wenn noch der letzte Schliff fehlt: das junge Staatsballett Berlin hat seine Prüfung souverän absolviert. Und in Sebastian Weigle und dem Orchester der Deutschen Oper haben die Tänzer verlässliche Partner gefunden.

Wieder am 4., 7. und 10. Juni.

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