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So kann’s gehen: Muss ich das ertragen?

Von Beruf bin ich Deutschlehrerin, und vielleicht liegt es daran, dass es mich rasend macht, wenn eigentlich kultivierte Menschen das Wort „jetze“ benutzen. Zwar kann ich selber berlinern, weil meine Familie schon seit Generationen in (West-)Berlin lebt.

Von Beruf bin ich Deutschlehrerin, und vielleicht liegt es daran, dass es mich rasend macht, wenn eigentlich kultivierte Menschen das Wort „jetze“ benutzen. Zwar kann ich selber berlinern, weil meine Familie schon seit Generationen in (West-)Berlin lebt. Aber dieses Wort hat so einen Anklang von Ost-Berlin, der mich wirklich stört. Kann ich das sagen? Ick globe eher nich, wa?

Auch wenn Sie sich an den Ursprung Ihrer Abneigung nicht erinnern können, gibt es vermutlich einen Grund, warum Sie dieses unschuldige kleine Wort nicht ausstehen können. Vielleicht assoziieren Sie es unbewusst mit einer Situation, die Sie als unerfreulich in der Erinnerung gespeichert haben. Da Sie es mit Ost-Berlin verbinden, kann es sich um unangenehme Grenzübertritte handeln, die immer noch nachwirken oder einfach um alte, tief vergrabene Ängste aus jener Zeit, da eine friedliche Wiedervereinigung noch nicht abzusehen war. Das Problem liegt darin, dass manche Menschen in Ihrer Umgebung das Wort offenbar cool oder identitätsstiftend oder einfach nur lustig finden und es gern benutzen. Die sollten Sie darauf ansprechen, und Ihnen von Ihrer Aversion erzählen. Sonst ärgern Sie sich jedes Mal und entwickeln langsam aber sicher Aggressionen gegenüber Menschen, die Ihnen gar nichts getan haben. In Ihrer Anwesenheit könnten die Menschen Ihrer Umgebung auf den Gebrauch des Wortes verzichten. Das ist einfach eine Frage der Rücksichtnahme. Andere Menschen stören sich an anderen vermeintlichen Kleinigkeiten.

Ihre Frage ist interessant, weil Sie von Ihrer Umgebung etwas fordern müssen, was schwer zu geben ist: Zuhören, akzeptieren, Rücksicht walten lassen. Wenn Sie merken, dass Sie andere damit überfordern, versuchen Sie, sich doch noch mal an alte Ängste und Aversionen zu erinnern, vielleicht bei einem Spaziergang durch die Mitte der Stadt oder bei einem Glas Wein im Ampelmann-Restaurant.

Bitte schicken Sie Ihre Fragen mit der Post (Der Tagesspiegel, „Immer wieder sonntags“, 10876 Berlin) oder mailen Sie diese an:

meinefrage@tagesspiegel.de

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