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Kultur: So weit die Füße tragen

Warum die Autorenfotografie stirbt: Ein Gespräch mit dem großen Bildreporter Thomas Hoepker

Vor ein paar Monaten vernichtete ein Hamburger Fotograf, Wilfried Bauer, sein Archiv und stürzte sich aus dem Fenster. Hat Sie der Selbstmord erschüttert?

Ja, sehr. Ich kannte Wilfried lange und gut, auch wenn ich nicht eng mit ihm befreundet war. Er war ein schwieriger, vergrübelter Eigenbrödler, seltsam und scheu, ein wunderbarer Fotograf. Soweit ich weiß, sollte er seine Wohnung räumen. Da sah er wohl die Menge an Kisten, Kartons, die Regale voller Bilder, und alles wurde ihm zu viel.

Bauer sagte von sich, er sei „aus der Mode“ gekommen. Werden Bildreporter seines Schlages nicht mehr gebraucht?

Die Arbeitsbedingungen haben sich gewaltig verändert. Wenn ich daran denke, dass ich 1963 für eine mehrteilige USA- Reportage ein Vierteljahr mit dem Auto durch das Land gefahren bin, von Küste zu Küste. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir überlegt hätten, ob wir uns dieses oder jenes Hotel leisten konnten. Wir haben irgendwo angehalten und sind reingegangen. Heute wäre das undenkbar. Für die Zeitschriften ist die Autorenfotografie tot. Sie wird vom Internet verdrängt. Aus jedem Land der Welt sind Bilder sofort abrufbar.

Sie gehören zu einer aussterbenden Zunft?

Das ist wohl so. Reportagefotografie wird es zwar weiterhin geben, sie lebt jedes Mal neue auf in Krisenmomenten, bei Kriegen, Hungersnöten oder Flutkatastrophen wie dem Tsunami. Aber der Tsunami zeigt auch, wie stark die Konkurrenz durch elektronische Medien geworden ist. Gleich nach dem Unglück kursierten schon Bilder, die Urlauber mit ihren Mobiltelefonen und Kleinkameras aufgenommen hatten. In dem Moment reichte das: Man will die Katastrophe sehen, wenn sie passiert. Wenn die Reporter anreisen, ist es oft zu spät.

Die Bilder von Fotoreportern wie Robert Capa, Cartier-Bresson, René Burri und Ihnen selbst erobern die Museen. Verschwindet damit das Ethos, das sie hervorgebracht hat, aus dem Bewusstsein?

Den Konsumenten genügt, was ihnen das Fernsehen bietet: das Gefühl, dabei zu sein. Dass jemand die Verhältnisse auch optisch analysiert, gerät aus dem Blick. Fotografen sind auswechselbare Handlanger geworden. Leute mit eigener Handschrift wie Robert Lebeck, Stefan Moses, Max Scheler und ich waren Stars. Wir wurden umworben und abgeworben von anderen Zeitschriften. In den Köpfen der Verlage und Redaktionen ist nicht mehr drin, dass man Aufwand betreiben muss. Henri Nannen pflegte zu sagen: „Man muss das Geld zum Fenster rauswerfen, dann kommt es unten zur Tür wieder herein.“

Aber Sie selbst haben sich abfällig als „Bilderfabrikant“ bezeichnet.

Weil ich mich nie als Künstler sah. Es irritiert mich, dass Auftragsarbeiten von mir heute im Museum ausgestellt und auf Auktionen versteigert werden. Dieser neue Markt ist zwar ein willkommener Ersatz für das Tagesgeschäft. Aber mir missfällt die Überhöhung, die damit einhergeht.

Einer Aussage von Ihnen zufolge sei es gut, dass Ihre Bilder in Zeitungen erschienen, damit sie am nächsten Tag weggeworfen würden.

Das ist mir sympathischer. Im „Stern“ war ich trotzdem als Ästhet verschrien. Nannen sagte oft: Ach, da kommt unser Künstler wieder. Er meinte das abfällig. Obwohl er als Augenmensch schätzte, was ich tat, glaubte er, dass mir die Ästhetik wichtiger war als die Aussage des Bildes. Und ich war auch nie so ein ganz harter Reporter-Fotograf. Es gab da andere. Fred Ihrt zum Beispiel, ein alter Haudegen, den man überall hinschicken konnte. Wenn ich als Künstler unter den „Stern“-Fotografen galt, dann auch deshalb, weil ich sensibler war, nicht so rau gebaut. Ich habe manchmal zu früh aufgegeben und mich abwimmeln lassen. Das durfte man in dem Beruf nicht tun.

Sie sprechen von den goldenen Zeiten, als sich der „Stern“ mit aufwändigen Bildstrecken als ein Schaufenster zur Welt verstand. Sind gute Geschichten eine Frage des Geldes?

Wir wussten nicht, dass es goldene Zeiten waren. Zuweilen haben wir unter Nannens Gigantomanie auch gelitten. Es kam öfter vor, dass ich losgeschickt wurde, um eine große Geschichte zu machen, und gleichzeitig schaute sich die Redaktion auf dem Markt um. Material wurde weggekauft, damit die Konkurrenz es nicht hatte. Für die Fotografen war das nicht komisch. Wochenlang hatte man geackert, und bei der Rückkehr lagen schon Bilder auf dem Tisch. So erging es mir mit meiner Muhammad- Ali-Serie. Das Titelbild stammte nicht von mir. Das ärgerte mich damals sehr.

War es das bessere Bild?

Es war wahrscheinlich das perfektere. Das Hauptproblem des Bildreporters ist, dass er eine halbfertige Ware abliefert. Er kippt 300 Dias auf den Leuchttisch, und die Blattmacher rühren dann in dem Brei, um das Beste herauszupicken. Man ist nie Herr des ganzen Verfahrens.

Umso stärker müssen Sie doch von dem Wunsch beseelt sein, umwerfende Bilder zu machen?

Das kann zur Perversion führen. Ich habe mich schon dabei erwischt, in einer Hungerkatastrophe Sterbende zu sehen und gleichzeitig an die Bildkomposition zu denken. Ist die Tiefenschärfe richtig eingestellt, stimmt das Licht? Das ist auch eine Schutzfunktion. Man isoliert sich selbst, hält sich mit der Kamera eine Maske vor das Gesicht. Sonst wäre es ja gar nicht möglich, einem verhungernden Kind zuzugucken. Die Kamera verleiht mir die Legitimation für meinen Voyeurismus und gibt mir die Illusion, vielleicht nicht dieses Kind, aber andere Kinder vor dem Hungertod zu bewahren. Später bedauert man dann, den Augenblick fotografiert zu haben.

Haben Sie die rote Linie mal überschritten und sind zum Akteur geworden?

Ich bin eher schüchtern. Es liegt mir mehr, von einer Ecke aus zuzugucken.

Bilder beweisen eine ungeheure Macht. Ihre Äthiopien-Reportage hat Anfang der Siebziger eine Welle des Mitgefühls und der Spendenbereitschaft ausgelöst. Das ist doch verlockend?

Für mich nicht.

Was ist wirkungsvoller, das schockierende Bild oder Empathie?

Der Schock hält nicht lange vor. Oft hat sich seine Wirkung mit ihm selbst erledigt.

Sie haben vom 11. September ein beeindruckendes Bild gemacht …

Ich hätte es beinahe übersehen. Bei einer ersten Durchsicht der Aufnahmen von diesem Tag sortierte ich es aus. Ich war fixiert auf die Untergangsstimmung. Zufälligerweise hatten wir eine Magnum-Sitzung am 10. September in New York, so dass ein Dutzend Fotografen von uns vor Ort waren. Mein Problem war, dass ich nicht nah genug herankam. Ich war zu spät dran. Die Brücken nach Manhattan waren bereits gesperrt und ich kam nicht weiter, denn ich hatte keinen Presseausweis dabei. Ich habe noch nie einen besessen. So hielt ich auf dem Weg durch Brooklyn an einem kleinen Park, von dem aus man nach Manhattan hinübersehen konnte. Ich habe zwei-, dreimal draufgedrückt und bin weitergefahren.

Mit diesem Bild werden Sie in die Geschichte eingehen.

Es überrascht mich selbst, dass es so wichtig genommen wird. Es ist das Gegenteil von einem Schockbild. Es erinnert an Brueghels „Sturz des Ikarus“.

Maler und Schriftsteller schaffen oft bedeutende Alterswerke, wenn sie ihre Erfahrung und Kraft für eine letzte Anstrengung zusammenfassen. Warum kennt die Fotografie dieses späte Schöpfungsglück nicht?

Ja, es ist seltsam, dass viele Fotografen ihren Höhepunkt sehr früh erreichen. Sie werden mit den Jahren milder, verlieren den Biss und wenden sich stillen Themen zu. Fotografieren ist ein kraftraubender physischer Vorgang. Man ist ständig auf Reisen, schläft schlecht, muss Gerätschaften mitschleppen und sich auf seine Füße verlassen, um zum Mittelpunkt des Geschehens zu kommen. Das ist kein schicker Beruf. Wir sind wie Rekruten, die mit dem Tornister durch Schlamm waten und darauf warten, dass etwas passiert. Die Momente, in denen alles zusammenkommt, eine interessante Situation, die sich zum Bild formt und eine gute Komposition ergibt, sind selten. Und sie werden immer seltener, je älter man wird.

S chon als junger Mann haben Sie einen „reinen Stil“ propagiert und gesagt: „Ein Bild kann nur dann ehrlich sein, wenn der Fotograf sich in seinem Motiv erkennt.“ Amüsiert Sie dieser Purismus heute?

Man muss das, was man sieht, lieben oder hassen. Lauwarme Gefühle sind uninteressant. Die Fotografie ist ein polarisierendes Medium, sie lebt von den Extremen.

Da dürfte es nicht einfach gewesen sein, in der DDR zu arbeiten, die als „langweiligstes Land der Welt“ verschrien war. Dort waren Sie drei Jahre als „Stern“-Fotograf.

Stimmt. Das triste, geschmacklose Ambiente von Trabantensiedlungen, von der Partei organisierte Umzüge. Das war ein graues, spießbürgerliches Dasein. Man spürte und roch die Bedrohung überall. Aber das rüberzubringen, war schwierig.

Als 1989 die Mauer fiel …

… war ich in San Francisco für eine Food- Reportage. Als die Nachricht über den Fernseher lief, hätte ich mich sofort ins Flugzeug nach Berlin setzen müssen. Aber ich dachte, ich käme sowieso zu spät. Außerdem plagte mich mein Pflichtgefühl dem Kunden gegenüber. Ich fürchte, dass ich als Zeitzeuge nicht besonders gut funktioniere. Mich hat immer das normale Leben interessiert. Der Alltag ohne Aufregung.

Das Gespräch führte Kai Müller

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