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Kultur: Sodomie zur Errettung der Welt

Der "Zirkus Høeg" läuft auf vollen Touren.Peter Høegs neuer Roman, der heute in Deutschland ausgeliefert wird, wurde in Skandinavien zum Ausgangspunkt verschiedener leidenschaftlicher DebattenVON PETER URBAN-HALLE KOPENHAGEN.

Der "Zirkus Høeg" läuft auf vollen Touren.Peter Høegs neuer Roman, der heute in Deutschland ausgeliefert wird, wurde in Skandinavien zum Ausgangspunkt verschiedener leidenschaftlicher DebattenVON PETER URBAN-HALLE KOPENHAGEN.Viel Lärm um Høeg in Skandinavien.Aber ist Høeg etwa nichts? Die Starrezensentin des Osloer "Dagbladet", Linn Ullmann, sieht es so.In ihrer Besprechung "Banales von Høeg" nennt sie Høegs neuen Renner "Die Frau und der Affe" ein peinlich naives Buch: "Der Roman fällt in dem Augenblick auseinander, in dem Høeg sich entscheidet, Zivilisationskritiker statt Schriftsteller zu sein." Das zieht den Zorn der Dänen auf sich.Seit Jahren schon, wettert der dänische Schriftsteller Jan Kjærstad, ziehe die norwegische Kritik das Kleinlaute dem Lärmenden, das Sparsame dem Sprudelnden vor.Sie mache einen "kollektiven Kniefall" vor dem metaphernarmen Stil und stöhne vor Bewunderung, wenn sich ein Autor zwei Tage lang um die Streichung eines Adjektivs bemüht habe.Die Kritik habe wohl vergessen, daß die Meilensteine der Literatur von Übertreibern und Phantasten wie Rabelais und Cervantes gesetzt worden seien. Nun setzten beide Seiten ihrerseits Meilensteine der Literaturdebatte durch Übertreibung und Phantasterei.Ullmann: "Einen Høeg zu kritisieren ist gefährlich.Man kann schlichtweg zur Kranken erklärt werden." Drauf Kjærstad: "Jeder Kritiker darf meinen, was er will.Aber was kommt dann? Banales von Shakespeare?" Das haut in die gleiche Kerbe wie der Satz eines Kopenhagener Rezensenten: "Falls ein Däne für den Nobelpreis nominiert werden sollte, käme einzig Peter Høeg in Frage." So war es von Anfang an.Schon nach Høegs Debütroman "Vorstellung vom 20.Jahrhundert" war für die Kritik ein neuer Stern aufgegangen.Die dänischen Feuilletons drückten ihm nicht nur das höchste Gütesiegel auf, das sie kennen, nämlich "international" zu sein.Ungewöhnlich war auch, daß sie damenmagazinreif Außerliterarisches in den Vordergrund stellten: "Schlank, fast mager.Bürstenschnitt, sonnengebleichte Strandhaferhaare.Markantes Gesicht.Ein Mensch in mehr als körperlicher Balance.Konzentriert auf sich selbst in disziplinierter Ruhe." Nun sollte man den Medien nicht alles in die Schuhe schieben.Peter Høeg strickt nämlich selbst an seinem Mythos mit, der ihn umhüllt wie die dicken Pullis, die er immer trägt, wenn er nicht das interessante kragenlose weiße Hemd anhat.Zwar verbietet er keine Photos von sich - sich nicht ablichten zu lassen, ist ja ein erprobter Trick, in aller Munde zu sein.Høeg macht das anders.Er sieht aus wie ein nordischer Herrenmensch, wirkt aber wie ein softer Alternativer und ist glücklich verheiratet mit einer Kenianerin, mit der er zwei Kinder hat.Die bringt er statt im Porsche auf seinem schwarzen Damenvelo zur Kita.Dann kauft er Klopapier und macht Mittag.Er wirkt bescheiden, ist ein dankbarer Sohn und Steuerzahler und hat gleichzeitig seinen Spaß, "Schabernack zu treiben und die Leute ein bißchen zu ärgern". Ein Schabernack war seine Kindheitssaga "Der Plan von der Abschaffung des Dunkels", in dem sich ein Waisenjunge namens Peter Høeg am Schluß adoptieren läßt.Da mußte man an die Identität von Autor und Romanfigur glauben.Høeg hat auf diesbezügliche Fragen geheimnistuerisch geschwiegen.Privatsphäre.In einem neueren Interview spricht er dann doch von seinen Eltern: seine Mutter war Lateinlehrerin, der Vater Miteigner des Munksgaard Verlags, in dem nebenbei Høegs Bücher erscheinen.Er bedenkt sie mit einem Satz, den man sonst nur von amerikanischen Präsidentschaftsbewerbern vernimmt: "Sie haben ihre Sache wirklich gut gemacht, und ich liebe sie noch heute sehr." Auch sein deutscher Verlag hat bei der Mythenbildung mitgebastelt.Schon zum ersten Buch verschickte Hanser Høeg-Interviews, in denen zu lesen war: "Ich habe schon immer verrückte Ideen gehabt und rasend viele Dinge getan.Berge bestiegen mit 13.Bin Fechter gewesen in der Meisterklasse, bis ich durch Zufall zum Tanz kam." Was dem Mythos Høeg die Krone aufsetzt, ist ein unscheinbarer Hinweis in seinem neuen Buch: "Alle aus dem Verkauf dieses Buches resultierenden Einnahmen des Verfassers gehen an den Lolwe-Fond, der Frauen und Kinder in der Dritten Welt unterstützt." Damit hat sich Høeg sozusagen unangreifbar gemacht - wer will den Frauen und Kindern der Dritten Welt schon Böses? Zugleich aber hat er bewiesen, daß er schlicht anders denkt als die übrige Welt.Immerhin verzichtet er auf ein paar Millionen Kronen, zumal in den kommenden zehn Jahren weitere 15 Prozent seiner Einkünfte an den Fond gehen sollen.Der Kopenhagener Meisterkritiker Erik Skyum-Nielsen macht denn auch mit maliziöser Ironie darauf aufmerksam, daß es die Kritik hier nicht mehr mit einem literarischen Werk, sondern einer karitativen Organisation zu tun habe. Wir können weder Linn Ullmann noch Skyum-Nielsen so ganz unrecht geben."Die Frau und der Affe" ist ein Buch, das man an zwei schaurig-schönen fernsehfreien Abenden durchliest."Verschlingen" wäre schon zu viel gesagt.Dem Vergleich mit Høegs internationalem Hit "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" hält das Buch nicht stand.Die Frau aus dem Titel ist Dänin, die in London mit dem designierten Direktor des Londoner Zoos verheiratet ist.Sie verbringt ihre Tage damit, daß sie sich stundenlang schminkt und 55-prozentigen Äthylalkohol in sich hineinschüttet.Der Affe, der im Laufe der Handlung vom sonderbaren Schimpansen zum Übermenschen wird, rettet sie - durch seinen bedeutungsvollen Blick.Er öffnet ihr die Augen für die Unmenschlichkeit der Menschen, die Gefährdung von Fauna und Flora, den Ungeist der Zivilisation. So bringt er sie über Nacht vom Trinken ab und weiht sie in einem paradiesischen Reservat bei London in die Liebe ein: Sodomie zur Errettung der Welt.Hier erkennt die Frau, daß "die Weltordnung ein andauernder, nie orgastischer und nie unterbrochener Liebesakt zwischen Himmel und Erde" ist - "also diese mythisch-surrealistischen Affären hat Høeg wirklich wunderbar drauf", schrieb der Romankenner Rolf Vollmann.Weitere stilistische Merkmale in "Die Frau und der Affe": Høeg setzt ausholende Charakterbeschreibungen ein, aber in genauen Schritten, mit Sinn für die Überraschung; auch beim Handlungsverlauf: da ist jeder Absatz wie eine Ecke, hinter der etwas lauert.Abstrakte Begriffe werden mit Vorliebe handgreiflich gemacht.Damit hängt die fieberhafte Suche nach tolldreisten Metaphern zusammen.Womit wir zum typischsten Høeg-Merkmal kommen: seiner Tendenz, alle Gefühlsregungen zu dramatisieren.Ist zum Beispiel jemand vergrätzt, "lodert in seinem Gesicht ein Haß auf, der Menschen morden läßt".Schließlich nennen wir noch die Mystifizierung, die uns oft genug in häßlicher Sprache und deshalb auch schlechter Übersetzung entgegentritt: "In ihrem Inneren arrangierte sie sich zum erstenmal mit der Tatsache, daß man selbst den Menschen, den man liebt, nie ganz verstehen wird." Wie keiner sonst fordert Høeg die Meinung des Publikums heraus.Denn der Mann hat eine Message, und zwar global.Er ist populär, im neuen Buch populistisch, weil seine Themen alle verstehen.Nur konsequent, daß die Zeitung "Politiken" eine Umfrage startete, die die Leser in zwei unversöhnliche Lager teilte.Das gehört zum Zirkus Høeg.Ab heute dürfen die deutschen Leser wieder mitentscheiden.Die ersten 100 000 Käufer werden mit der Erstauflage belohnt. Peter Høeg: Die Frau und der Affe.Roman.Aus dem Dänischen von Monika Wesemann.Hanser Verlag.München 1997.288 Seiten.39,80 DM.

PETER URBAN-HALLE

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