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Kultur: Söhne versöhnen

Starke Filme, hartes Leben: die Perspektive Deutsches Kino im vierten Jahr

Sicherheit. Sicherheit ist überhaupt das große Thema jetzt, erklärt der leicht verwahrloste Mittvierziger dem überraschten Besucher. Was diesen vor allem deshalb misstrauisch stimmt, weil der Sicherheitsspezialist seine eigene Alarmanlage gerade durch einen Faustschlag lahm gelegt hat. Sicherheit: die Zukunftstechnik.

Selten ist eine Vater-Sohn-Begegnung schneller gegen die Wand gefahren. Marcel (großartiges Filmdebüt: Volksbühnen-Star Milan Peschel) weiß über vieles Bescheid, über Fernsehreparaturen, Krawattenkäufe, Tütensuppen und, vor allem, über Männer und Frauen. Er schwadroniert und schwadroniert, nur glücken will ihm nichts im Leben. Sein Sohn Sebastian (Sebastian Butz) schweigt dazu und denkt sich sein Teil. Und nimmt, ganz sanft, alles selbst in die Hand: übt mit dem Vater Bewerbungsgespräche, trinkt mit ihm Bier. Selten war eine Versöhnung anrührender. Wie singt Peter Tschernig, Marcels Lieblingssänger, der „Johnny Cash der DDR“: „Mein bester Kumpel ist und bleibt mein Vater.“

„Netto“ von Robert Thalheim ist ein Überraschungsfilm, wie ihn die Perspektive Deutsches Kino liebt: Regiedebüt eines Babelsberger Filmstudenten, eine kleine, klare, konzentrierte Geschichte, ein leuchtend schönes, alltägliches Berlin. Und Darsteller, wie man sie nicht jeden Tag im Kino sieht. Auch „Katze im Sack“ von Florian Schwarz ist so ein Film, diesmal aus Ludwigsburg, und ebenfalls durch eine Theaterinfusion gestärkt: Schaubühnenstar Jule Böwe spielt die verbitterte Kellnerin Doris, die im Zug den charmanten Draufgänger Karl (Christoph Bach) kennenlernt und sich mit ihm ein hartes Duell im nächtlichen Leipzig liefert. Liebe, Sex, Selbstständigkeit, darum geht es in dieser schwarzen Komödie voller kaputter Gestalten. Und in „Das Lächeln der Tiefseefische“ von Till Endemann, dem dritten starken Spielfilm der neunteiligen Reihe, ist es Peter Kurth vom Hamburger Schauspielhaus, der der Story ihre Kraft gibt: als versoffener Droschkenfahrer auf Usedom, den der Tod seiner Frau und der drohende Verkauf seiner Villa so gelähmt hat, dass er darüber beinahe auch seinen Sohn verliert.

Überhaupt: die Söhne. Wie Sebastian in „Netto“ ist es der 18-jährige Malte (Jakob Matschenz) in „Das Lächeln der Tiefseefische“, dem die Sympathie gilt. Der Graffiti-Künstler, der sich sein Zugeld als Badewärter verdient, durch Zigarettenschmuggel und mit Jobben beim Fischhändler, ist neben der Sorge um seinen Vater auch noch mit einer ersten Liebe und der Verantwortung für den kleinen Neffen Lukas konfrontiert. Auch wenn am Ende alles sehr melodramatisch zugeht: wie zwischen den den beiden eine stille Freundschaft entsteht, ist wunderbar. Tiefseefische können lächeln.

Zweiter Schwerpunkt: Dokumentationen. Auch hier ist die Perspektive, die unter Leitung von Alfred Holighaus nun ins vierte Jahr geht, traditionell stark, seit Judith Keil und Antje Kruska Putzfrauenfilm „Der Glanz von Berlin“ 2002 in dieser Reihe debütierten. Das Regisseurinnenduo Keil/Kruska stellt diesmal mit „Dancing with Myself“ den Eröffnungsfilm, und wieder sind es drei kleine, große, traurige, komische Berlin-Porträts. Schauplatz ist die Berliner Clubszene. Im Tanz suchen sie alle ihre Rettung: die Schülerin Laurin Wiese, die auf der Tanzfläche brilliert, in der Schule jedoch Außenseiterin bleibt, Mario Sönke, der immer nach Arbeit sucht und dessen einziger Trost seine Mutter ist – und Reinhard, 63-jähriger Star des Films, ein großer Tänzer und stiller Liebender, der seinen Dämonen schließlich nicht mehr davontanzen kann. Hoffnung gibt es für alle drei nicht viel, aber Verständnis. Man hätte keinem einen Korb gegeben.

Lebenslüge, Flucht und Illusion dominieren auch in Bettina Brauns „Was lebst du?“, einer Langzeitdokumentation der Kölner Jugendszene. Alban, Ali, Ertan und Kais sind Rapper im Klingelpütz, gerade mit der Schule fertig, Lehre abgebrochen, den Kopf voller Flausen. Da wird groß getönt, aber nicht viel getan, und wenn es einmal darum geht, bei der Stange zu bleiben wie bei den Proben für ein Musical oder der Bewerbung für die Berufsschule, ist der Jammer groß. Das ist frustrierend, entnervend, komisch, verständlich und – so wie die Regisseurin von ihren Filmpartnern direkt angesprochen oder auch mal angegriffen wird – sehr, sehr nah dran.

Noch eine versuchte Nähe: „Janine F.“ von Teresa Renn gewann schon im vergangenen Sommer den „First Steps“-Dokumentarpreis und versucht eine Annäherung an die junge Künstlerin, die sich im August 2003 vom Tacheles zu Tode stürzte. Freunde, Kollegen, zufällige Ateliernachbarn werden befragt – und was entsteht, ist das Bild einer großen Gleichgültigkeit: Da war eine Frau offensichtlich depressiv, und keiner hat’s gemerkt. Alle haben ihre Ankündigungen für Kunst gehalten oder für Drogen- und Verfolgungswahn. Nicht immer ist Kunst mehr als das Leben – „Janine F.“ ist nicht der einzige Film der diesjährigen Perspektive, der das auf seine Weise betont.

Christina Tilmann

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