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Kultur: Sollen Studenten bezahlen?

Was ist uns unsere Bildung wert? - Ein Pro und Contra zum Thema StudiengebührenVON HEIK AFHELDT ProSelbst die geistlichen Tröstungen kosten und das gleich dreifach: Die Kirchensteuer als Grundbeitrag, die Kollekten für die "Vorlesungen" und die Prüfungsgebühren, wenn denn getauft, geheiratet oder gestorben wird.

Was ist uns unsere Bildung wert? - Ein Pro und Contra zum Thema StudiengebührenVON HEIK AFHELDT ProSelbst die geistlichen Tröstungen kosten und das gleich dreifach: Die Kirchensteuer als Grundbeitrag, die Kollekten für die "Vorlesungen" und die Prüfungsgebühren, wenn denn getauft, geheiratet oder gestorben wird.Ein jahrhundertealtes "Drei-Körbe-Modell".Nur Bildung soll nichts kosten dürfen! Dem deutschen universitären Bildungssystem droht wahrlich großes Unheil.Ein Verbot von Studiengebühren im neuen Hochschulrahmengesetz wäre ein ganz und gar verhängnisvoller Schritt.Die Bundestagsfraktionen und die meisten der Ländervertreter scheinen sich in dieser unsinnigen Forderung zwar einig.Was aber, wenn sie irrten."Die Wahrheit ist nicht automatisch bei der Mehrheit und schon gar nicht bei den jeweils Herrschenden", so sah es Roman Herzog an der Feier zum 200.Geburtstag von Heinrich Heine letzte Woche in Düsseldorf.Was ist die Wahrheit? Als die Studiengebühren 1970 generell abgeschafft wurden, war das der Schlußstein in einem Bogen, der seinen Anfang in den heftigen Diskussionen um Bildung als Bürgerrecht in den sechziger Jahren hatte - mit G.Picht als einem der Kämpfer für einen freien Hochschulzutritt für alle, unabhängig von Einkommen und Status der Eltern.Mit dem Muff unter den Talaren ist während der Achtundsechziger-Bewegung auch ein Stück Rationalität fortgefegt worden.Und zudem sind die Verhältnisse heute nicht mehr so, wie sie damals waren. Vor 30 Jahren lag die Abiturientenquote bei fünf Prozent, die der Studienanfänger bei 4,1 Prozent.Mittlerweile hat die Studierendenquote 23 Prozent erreicht.1970 wurden insgesamt 400 000 Studenten gezählt, heute sind es fast 1,9 Millionen, und in zehn Jahren werden 2,3 Millionen erwartet.Vor 30 Jahren gab es eine ungleich größere Zahl von Haushalten mit geringen Einkommen, die eine finanzielle Unterstützung der Kinder beim Studium nicht erlaubten.Heute ist die Zahl der Haushalte mit doppeltem Einkommen stark gewachsen und die Zahl der Kinder kräftig zurückgegangen.Und damit auch die Ausbildungslasten für die Eltern. Nun, den enormen Zustrom zu den Universitäten kann man ja als großen Erfolg der Bildungspolitik feiern.Schließlich glauben wir alle, daß Wissen der Stoff ist, mit dem der Wettbewerb auf den Märkten morgen gewonnen und Arbeit und Wohlstand bei uns gesichert werden können.Bildung hat heute einen eher noch höheren Wert für die Zukunftsvorsorge.Genau da beginnt für jeden Ökonom das Problem.Über einen so riesigen Teil der volkswirtschaftlichen Ressourcen darf nicht die öffentliche Hand alleine entscheiden.Hier kann man nicht auf bewährte Steuerungsinstrumente zur Optimierung beim Angebot öffentlicher Güter verzichten.Mit gutem Recht hat auch Energie ihren Preis, damit sie nicht vergeudet wird. Das deutsche Bildungssystem sei, so bescheinigt es uns gerade die OECD, gut, aber teuer.Es könnte mit Preisen und etwas Wettbewerb noch besser und gleichzeitig billiger werden.Von Studiengebühren würden alle Beteiligten profitieren.Die Hochschulen gleich zweifach.Ihnen flössen zusätzliche Einnahmen zu, mit denen sie den Ausbau und die Verbesserung ihrer Leistungen mitfinanzieren könnten.Bei Gebühren von 1000 Mark pro Semester zum Beispiel kämen insgesamt pro Jahr rund 3,5 Milliarden Mark zusammen.Das sind keine "peanuts".Mit einem moderaten Preiswettbewerb entstände aber auch ein Instrument, das dem Leistungswettberb innerhalb und zwischen den Hochschulen zugute käme.Kein Hochschullehrer, der das nicht sieht und viele, die gerade das befürchten.Die Studenten, das ist die andere Seite der Medaille, haben dann einen selbsterworbenen "Anspruch auf Leistung und Qualität" - zum Teil mühsam - erjobbt, wenn die Eltern nicht zahlen können oder wollen.Wer zahlt, bestimmt.Dafür müssen viele Studenten die zusätzliche Knete erst mal verdienen.Bei einer Semestergebühr von 1000 Mark wären das über den Daumen bei einem Nettostundenverdienst von 14 Mark etwa zwölf Stunden im Monat mehr bei Gartenarbeit, bei Nachhilfeunterricht oder im Taxi oder in der Fabrik.Das ist nicht ganz unzumutbar, hilft, die reale Welt besser kennenzulernen und gibt das von Sozialromantikern sträflich ausgeblendete und durch keine Staatsknete ersetzbare Gefühl, selbst etwas für den Erfolg geleistet zu haben.Wer trotzdem diese Gebühren zusätzlich zu seinem Lebensunterhalt nicht aufbringen kann, dem sollten "nachzahlbare Gebühren" über ein Darlehen oder Stipendien gewährt werden.Das Bafög bietet hierfür einen zweckmäßigen Rahmen, der nur umgestaltet werden muß. Für die Gesellschaft ergeben sich ausschließlich Vorteile aus der Einführung von Gebühren.Die Studienzeiten würden vermutlich - trotz der Zeit für die Jobs - deutlich verkürzt, die öffentlichen Kassen entlastet, auch wenn das von manchen befürchtete Nullsummenspiel stattfände, die Budgetansätze von Bund und Ländern also um die Gebühreneinnahmen ganz oder teilweise gekürzt würden.Der erwartete Anstieg um weitere 400 000 Studenten in den nächsten zehn Jahren würde sonst nicht voll bei den öffentlichen Kassen in Bund und Ländern auf der Aufgabenseite wirksam.Ein kleiner Teil würde durch die Gebühren aufgefangen.Und schließlich, die Lasten der Hochschulausbildung würden nicht alleine von den Steuerzahlern getragen, von denen auch in Zukunft viele nichts davon haben, wenn wenige ihre Einkommenschancen durch ein Studium verbessern. Und wenn die Gebühren dazu führen, daß der Zustrom zu den Hochschulen ein wenig mehr gefiltert würde, wäre das wirklich ein Nachteil? Es ist kein Argument, daß Umfragen zeigen, zwei Drittel der Studenten seien gegen Studiengebühren.Würde ich Schüler befragen, ob sie für oder gegen die Schulpflicht seien, das Ergebnis wäre vermutlich ähnlich.Eine Elite, die im Irrglauben heranwächst, Bildung sei ein freies Gut und kostenlos zu haben, und in Preisen und Wettbewerb keine sinnvollen Steuerungsinstrumente sieht, wird mit dieser Erfahrung auf spätere Fehlentscheidungen programmiert. ContraBei uns werden Sie mit einem Lächeln bedient, oder Sie erhalten Ihr Geld zurück." Vor nicht allzulanger Zeit heftete eine Fastfood-Kette Buttons mit dieser Sentenz ihrem gestressten Tresenpersonal ans Revers: smile for money. Wie unhaltbar das war, scheint der Konzern dann erkannt zu haben.Die Buttons verschwanden.Denn die Forderung nach gutem Service ist in Ordnung, der Anspruch, ein Lächeln gegen Geld herzustellen, ist absurd.Das Wichtigste am Funktionieren jeder Gesellschaft bleibt unbezahlbar.Hier werden "Leistung-gegen-Geld"-Ansprüche, auch die des weltumspannendsten Kapitals, vollends paradox. Wo Loyalität, Verantwortungsbewußtsein, Vertrauen, Kreativität, Solidarität, Arbeitsethos, Verläßlichkeit, Gerechtigkeitsempfinden oder Liebe gegen Geld zu haben zu haben, verlieren sie augenblicklich ihren Wert und ihren Charakter.Gerade diese unkorrumpierten Qualitäten aber verlangen Gesellschaften von ihren Bürgern.Keine noch so kapitalistische Gesellschaft kann ohne solche "non-profit-values" auskommen, die, zu Recht, insbesondere von der Verantwortung tragenden Elite erwartet werden.Die Elite aber kommt in ihrer Mehrheit von den Hochschulen und Universitäten.Damit die Gesellschaft die Chance bekommt, die geeignetesten Lehrer, Ärzte, Staatsanwälte, Betriebswirte oder Ingenieure auszubilden, und damit diese wiederum einen erfüllenden und sozial sinnvollen Lebensweg gehen können, gibt es in der Demokratie Konzepte der Chancengleichheit, die sich in Gesetzen und Verordnungen niederschlagen.An erster Stelle gehören dazu die Schulpflicht und Gebührenfreiheit der Schulen und Lehrmittel sowie der ungehinderte Zugang zu Hochschulen und Universitäten, ohne Ansehen der Herkunft der Studierenden unter verfassungsmäßig garantierter Freiheit der Lehre und der Forschung. Diese Prinzipien, ohne die eine Demokratie latent zum Kastensystem regrediert, werden seit einiger Zeit verwässert.Es verbreitet sich zunehmend die Ansicht, die Bevölkerung, verwöhnt vom Sozialstaat, müsse "endlich begreifen, daß es nichts umsonst gibt".Gerade Sozialdemokraten scheinen angesichts des munter weltweit siegenden Kapitalismus "idealistische Irrtümer" ihrer Vergangenheit zerknirscht abtun zu wollen.Das Gegenteil ist gleichwohl nötiger denn je, wie die Debatte um Bafög und Studiengebühren klar zeigt.Von der inzwischen herrschenden Realität scheinen viele Kombattanten weit entfernt.Wer es, wie der sonst häufig hellsichtige Peter Glotz, zumutbar findet, daß die Studentenschaft etwa zehn Prozent - drei Milliarden Mark - des Steueraufkommens für Hochschulen selbst bestreitet, weiß nicht, wovon er spricht.Die 1000 Mark pro Semester, die ein Student zahlen soll, werden für manche kaum der Rede wert sein: Für all jene, deren Eltern es, zumal in Zeiten heftiger Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, lieber sehen, wenn der Sohn über dem Betriebswirtschaftsbuch sitzt, statt Nachttaxi zu fahren, oder die Tochter ihre Anatomiedaten lernt, anstatt in einer Studentenkneipe zu servieren.Die wenigsten Wohlhabenden werden solche Lebenserfahrung aus pädagogischen Gründen gutheißen.Wenn Lebenserfahrung, dann ein Praktikum in der Kanzlei des Patenonkels, heißt ihr Motto. Die anderen, die ohnehin für ihr Studium jenseits der Bafög-Schwelle aufkommen müssen, denen es an solchem "Background" mangelt, werden zusätzlich jobben müssen, länger studieren und, außer in Einzelfällen von Hochbegabten, frustriert durch das Studium gehen.Eine Zweiklassen-Universität, wie sie mit derzeitigen Privatuni-Konzepten bereits am Horizont aufscheint, wäre unabwendbar.Wer reich ist, kann auch durchschnittlich begabt sein, er studiert BWL und erbt die Firma.Wer arm ist, muß dreimal soviel leisten.Von Chancengleichheit keine Spur mehr.Stattdessen ist eine indirekte Klassen-Steuer eingeführt, die das bestätigt, was die korrupten Teile der Elite ohnehin glauben: Ich zahle, also bin ich. Überdies würde jedes, nicht nur ein gestaffeltes, System der Gebührenerhebung, orientiert am Einkommen der Eltern, einen Verwaltungsaufwand bedeuten, ähnlich dem beim Erheben des allgemeinen Krankenhaus-Zuschlags durch die gesetzlichen Krankenkassen.Hier hat man errechnet, daß Porto und Mahnaufwand, Erfassung und Bearbeitung das Unterfangen als Nullsummenspiel enden lassen. Die Crux liegt woanders, nicht bei der Frage "Gebühren - ja oder nein?".Bezahlt wird für die Hochschulen ohnehin: Daß ihre Nutzer, die in der Studienzeit ja für die Gesellschaft arbeiten, dafür zahlen sollten, stuft sie zu Nutznießern statt Nutzern und gesellschaftlich unentbehrlichen Kräften ab - was für künftige Ärzte ebenso gilt wie für Orientalisten oder Soziologen.Die Crux liegt darin, daß die Hochschulen und Universitäten als Klotz am Bein der Gesellschaft und des Steuerzahlers empfunden und entsprechend respektlos behandelt werden.Statt den Hochschulen mehr Struktur und Unterstützung, bessere Bauten, Bibliotheken, Lernbedingungen, mehr Personal und aktuellere Ausstattung zu beschaffen, läßt man sie am Ende der Prioritätenskala rangieren.Dabei gehen der Gesellschaft nicht nur die besten Köpfe verschütt, solche, die ein Lernklima benötigen, das wenigstens über weite Strecken frei ist vom unmittelbaren Konkurrenzdruck und vom Zwang der wirtschaftlichen Reproduktion.Im Land der Dichter und Denker, der Hightech-Manager und Wirtschaftsstandortbesorgten gelten Studenten als bequeme Steuergeldkonsumenten, die sich unsinnig lange an der Alma Mater laben.Dieses Land will für Bildung und kreatives, ethisches Gestaltungspotential der Zukunft weniger gern etwas geben und ausgeben als für den Transrapid und den Eurofighter, das Deutsche Elektronen Synchroton (DESY) oder die Autobahnen.Es weigert sich noch immer, zu begreifen, daß das Zukunftspotential in ausgebildeten, freien Köpfen liegt, nicht in der buchhalterischen "Zahlung-Leistung"-Mentalität.Ein Armutszeugnis für eine reiche Nation.

HEIK AFHELDT

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