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Kultur: Solo für Trio

Wie sich das Gesicht verändert: Die deutsche Tanzplattform 2012 in Dresden-Hellerau.

So meisterhaft hat man einen Forsythe selten gesehen. Neben seiner eigenen Compagnie tanzt wohl kaum ein anderes Ensemble die Werke des Meisters derart intensiv wie das Semperballett. Die zeitgenössische Tanzplattform zeigte William Forsythes schon nicht mehr ganz so neue Choreografien als Vergleichsbasis für die jüngeren Künstler, die sich jetzt bei der Überblicksschau in Dresden-Hellerau präsentierten. Alle Aufführungen waren ausverkauft, die Plattform zog über 500 Fachbesucher an.

Forsythe, geboren 1949 in New York, lebt seit Jahrzehnten in Deutschland. Seine Auseinandersetzung mit dem klassischen Bewegungsmaterial gleicht einer Forschungsarbeit, die auch nach über 20 Jahren noch als höchst innovativ gelten kann und muss. Und auch als wegweisend, denn das Experimentieren mit Bewegung hat auch unter den Arbeiten der Newcomer auf der diesjährigen Tanzplattform die interessantesten Ergebnisse gebracht. Zehn Produktionen hat die Jury ausgewählt, 14 wurden gezeigt. Die vier großen Namen des zeitgenössischen Tanzschaffens – neben William Forsythe sind das Sasha Waltz, Meg Stuart und Constanza Macras – wurden als gesetzt ins Programm aufgenommen.

Auffallend viele Trios standen auf dem Programm. Laurent Chétouane, früher Theaterregisseur, zeigte mit „horizon(s)“ eine rätselhafte, an der Romantik orientierte Dreierkonstellation: ein Mann und zwei Frauen, von denen eine sichtbar schwanger ist. In der Variation des Grundmotivs, der zur Seite gestreckten Arme, sind die Sequenzen einfach gehalten; fast alltäglich wirken sie, häufig stehen zwei Personen außen und beobachten denjenigen, der sich bewegt, oder sie finden sich in wechselnden Konstellationen zusammen. Doch egal was passiert, lassen Sigal Zouk, Anna McRae und Matthieu Brunner in dem einstündigen Stück alle vorsichtig aufscheinenden inhaltlichen, musikalischen und tänzerischen Bezugspunkte – Treue, Elternschaft, Romantik, Einsamkeit – immer wieder abprallen.

Ebenso verästelt wie gut gemacht ist auch das Stück „Cover Up“ von Mamaza. Die zwei ehemaligen Forsythe-Tänzer Ioannis Mandafounis und Fabrice Mazliah vollziehen zusammen mit ihrer israelischen Kollegin May Zarhy im Gefängnis ihres Flokatiteppichs allerlei surreale Handlungen und Tätigkeiten. So robben sie über das widerständige Langhaar des weißen Bodenbelags, bis ihre Beinkleider endlich abgestreift sind und neue zum Vorschein kommen und schaffen damit skurrile Momente, abseitige Bewegungsbilder und visuelle, akustische Eindrücke, die man lange noch in Erinnerung behält.

Auch andere Formate und Zugangsweisen haben überzeugt, sofern sie nicht auf altbekannte Strick- und Produktionsmuster setzen: Antonia Baehrs „For Faces“ stellt ganz das menschliche Antlitz in den Mittelpunkt der Choreografie. Vier Gesichter, in unterschiedliche, wechselnde Lichtverhältnisse gebannt, verändern sich in aller Stille über eine Stunde lang nur langsam. Ein Zucken, ein Wimpernschlag, ein verzogener Mundwinkel; wir starren auf Falten, Wangenknochen, Nasen und in Augen, die zurückschauen, aber eher doch blicklos ins Nirgendwo wandern. Im Changieren zwischen Leblosigkeit und Emotionsfreiheit, der scheinbaren Abwesenheit von Gefühlen, aber auch ihrer immer stärker hervortretenden Charakteristik sowie den feinsten Veränderungen der Muskeln, die mitunter als neurologische Symptome gedeutet werden können, erinnern Baehrs Gesichter abwechselnd an Totenmasken und Renaissanceporträts. „For Faces“ ist zugleich eine Geduldsprobe und eine faszinierende Minimalchoreografie.

Auch die Choreografin Antje Pfuntner setzt in ihrem Solo „Tim Acy“ auf Ungewöhnliches. Als zerbrechliche, neurotische Seele eröffnet sie uns zu Beginn ihre ganz eigene Wahrheit: „Ich habe schon immer geglaubt, dass alle Gegenstände Gefühle haben.“ Man ahnt: Diese Kunstfigur ist geprägt von einer eigenartigen, leicht zu irritierenden Weltsicht. Vor allem aber entspringt sie der Lust einer Künstlerin, sich auf dem Feld der Selbstbefragung nicht nur im eigenen Saft, sondern auch jenseits herkömmlicher Bilder, Szenarien und Fantasien zu bewegen.

An diesem Punkt schieden sich die Geister der diesjährigen Tanzplattform. Denn es gab einige Produktionen, die trotz ihrer handwerklichen Qualitäten bei dieser Veranstaltung nicht am richtigen Platz waren. Dazu gehört das Gruppenstück „Irgendwo“ der ehemaligen Pina-Bausch-Tänzerin Malou Airaudo, der in ihrer Kreuzung von Tanztheater und Hip-Hop keine Überschreitungen des Altbekannten gelangen. Das aber muss schon sein, will etwas nachhaltig in Erinnerung bleiben sowie dem eigentlichen Begriff des Zeitgenössischen entsprechen – als einem Zustand des künstlerischen Werdens und dessen stetiger Transformation. Elisabeth Nehring

Elisabeth Nehring

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