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SOMMER Spiele (6): Das große Platschen

Ob Rituale auf Reisen oder ein Hobby in der schönen Jahreszeit: Sommerspiele müssen nicht stets olympisch sein. In den Ferien erzählen wir hier alle paar Tage von einem saisonalen Lieblingszeitvertreib.

Erst mal musst du das Ding erwischen. Gar nicht so einfach. Eine Sekunde zu spät, und es baumelt schon wieder davon. Außerdem stehen hinter und neben dir perlnasse Jungs, Zehen bohren sich ins matschige Erdreich, sie warten darauf, dass sie an der Reihe sind, und quittieren jeden Missgriff mit abschätzigem Blick. Jetzt aber: Arme ausstrecken, das glitschige Holzstöckchen mit beiden Händen umfassen, so weit Anlauf nehmen, wie das Seil reicht, Beine anziehen und – losschwingen, hinaus auf die goldglitzernde Fläche, hängen zwischen Himmel und Erde, einen entscheidenden Augenblick nur. Spüren, wie die Bewegung ihren höchste Punkt erreicht, instinktiv loslassen, die Glieder strecken, fallen lassen und geradewegs, schwertgleich, ins grüne Element einfahren, abtauchen. Die Bäume, den See, die Kumpels, das Bier und die Mücken für einen Moment hinter sich lassen. Nicht vergessen: dabei durch die Nase ausatmen. Sonst tut’s weh.

Sommerzeit ist Lianenzeit. Irgendein guter Geist hat vor Jahren auf der Insel mitten im Liepnitzsee ein Seil am Ufer befestigt – danke! Wie oft mag der Ast, der die Liane trägt, schon unter seiner Last gestöhnt haben? Müde ist er bis heute nicht geworden. Dass sie auf einer Insel hängt, ist natürlich der Clou. Erst den sanft gewellten Mischwald durchwandern, seinen harzigen Duft einsaugen, und dann hinüberschwimmen. Ferien für einen Nachmittag. Anfänger lassen ihre Sachen am Strand, Fortgeschrittene ziehen sie in wasserdichten Säcken hinter sich her oder treideln gleich mit dem Gummiboot ans andere Ufer. Man kann auch die Fähre am anderen Ende der Insel benutzen, aber das ist uncool.

Der Grund für den ganzen Aufwand: die Liane – und das türkisgrün schimmernde Wasser, das die Menschen wie Sirenen lockt. Es ist, neben dem Stechlin, das sauberste im Berliner Umland. Die Karibik liegt in Brandenburg. Oder sogar in Berlin, denn zumindest die Insel gehört seit 1914 der Stadt. Schlierig-trübgrauer Müggelsee, algenverschmierte Havel? Plörren, die hier nur ferne Erinnerung sind. Die Sichttiefe im Liepnitzsee ist spektakulär. Baden im Liepnitzsee ist wie Schwimmen in flüssigen Gletschern, und in gewissen Sinne waren’s ja tatsächlich Gletscher, die dieses kleine Wunder geschaffen haben: eine glaziale Rinne, die sich unter dem Eis gebildet, das Schmelzwasser davongetragen und dieses herrliche Gewässer hinterlassen hat. Das Einzige, was noch fehlt, sind Berge, dann braucht man keinen Chiemsee mehr.

Die Sonne verabschiedet sich, letzte Strahlen kämpfen sich müde durchs Geäst, geben sich kühlerer Luft geschlagen. Jemand grillt. Die Insel liegt noch im gelbfahlen, lauwarmen Abendlicht. Da, wo die Liane hin- und herschwingt, löst sich immer noch ein Körper aus der Umarmung der Bäume und pflatscht im Wasser auf. Geschrei und Gejohl. Genug Glück für einen Tag, wir packen ein. Morgen wieder.

Bisher erschienen: Dreischönstesachenbücher (23.6.), Sandburgenbauen (26.6.), Wolkengucken (2. 7.), Pingpong (4.7.), Wörterverdrehen (7. 7.), Minigolf (10.7.)

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