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Sommerkultur: Radikal anders

Tanzende Maori-Häuptlinge oder ein Choreograf aus West-Papua – das Festival „Tanz im August“ legt den Fokus nicht nur auf die westliche Avantgarde, sondern öffnet sich für die Welt.

Von Sandra Luzina

Das Festival „Tanz im August“ hat sich seinen festen Platz im Berliner Kulturkalender erobert. Das Festival hat seine treuen Anhänger, lockt aber auch Jahr für Jahr neue Zuschauer in die Theater – und das bei spätsommerlichen Temperaturen. Und selten trifft man ein so polyglottes Publikum an wie beim Internationalen Tanzfest – im Tanz gibt es ja keine Sprachbarrieren. In den 22 Jahren seines Bestehens hat der „Tanz im August“ schon viele internationale Spitzenensembles in Berlin präsentiert. Doch das Festival positioniert sich bewusst etwas abseits des Mainstream. Es lädt dazu ein, Entdeckungen zu machen; es lockt nicht nur mit großen Namen, sondern mit aufregenden Newcomern. Das Programm, dass die TanzWerkstatt Berlin und das Hebbel am Ufer in diesem Jahr auf die Beine gestellt haben, zeichnet sich wieder durch eine große stilistische Bandbreite aus. Vom 19. August bis zum 3. September werden an acht Berliner Bühnen 24 Produktionen präsentiert, darunter vier Uraufführungen und 16 Deutsche Erstaufführungen. Tanz kann neue Welten eröffnen, Tanz verbindet – auch das demonstriert das Festival. So kann man sich diesmal auf tanzende Maori-Häuptlinge oder einen Choreografen aus West-Papua freuen. In diesem Jahr versucht das Festival zudem den Spagat zwischen Ästhetik und Ethik. Die Choreografen suchen nach Antworten auf die Frage „Wie wollen wir heute leben?“ Dass es sich beim Tanz beileibe nicht um eine reine Jugendbewegung handelt, macht die hochkarätige Eröffnungsproduktion klar. Der Flame Alain Platel und Les Ballets C de la B zeigen mit „Gardenia“ eine theatralische Performance über das Älterwerden, über Wachsen und Reifen, über Hoffnung und über verlorene Illusionen. Sechs Transsexuelle zwischen 60 und 70 Jahren stehen dabei jungen Schauspielern und einem Tänzer gegenüber. Alain Platel entwickelt das Projekt gemeinsam mit dem Regisseur Frank van Laecke und der transsexuellen Schauspielerin Vanessa van Durme. „Gardenia“ wirft einen radikal anderen Blick auf Körper- und Geschlechteridentität und zeichnet sich durch außergewöhnliche Darsteller aus. Doch nicht nur die Tendenzen im westlichen Tanz werden vorgestellt. Die Neuentdeckung in diesem Jahr ist Lemi Ponifasio und seine Company MAU, die nach der alten samoanischen Unabhängigkeitsbewegung benannt ist. Lemi Pontifasio, der in Neuseeland lebt, präsentiert mit „Tempest: Without a Body“ ein choreografisches und theatrales Ritual, in dem sich Motive aus Shakespeares „Sturm“ und die Echos der Welt nach 9/11 überlagern. Mit Tame Iti holt er einen Maori-Häuptling auf die Bühne, der uns die Leviten liest. Jecko Siompo aus West-Papua mischt die zeitgenössische Tanzsprache mit Elementen seiner eigenen indigenen Kultur. Bei „Room Exit“ handelt es sich um ein ganz und gar urbanes Stück, es beschreibt das Leben in der Megametropole Jakarta und erzählt vom Aufbruch der Jugend. Die aus Tunesien stammende Choreografin Héla Fattoumi lebt schon lange in Frankreich. Für ihr Solo „Manta“ unterzog sie sich einer einschnürenden Erfahrung: Sie verhüllte sich mit einer weißen Burka, einem islamischen Ganzkörperschleier. Aus der Sicht einer emanzipierten Künstlerin werden hier die Lebensbedingungen von muslimischen Frauen untersucht, zudem reflektiert Fattoumi über ihre doppelte Identität. Rubato aus Berlin sind ausgewiesene China-Experten. Für das Projekt „Pochende Zeit, so schnell. Köper_China“ haben Jutta Hell und Dieter Baumann zusammen mit Mahjong Dance Felduntersuchungen in Shanghai, Beijing und Guangzhou durchgeführt, Megacities, die beispielhaft für die rasante Entwicklung Chinas stehen. Es geht um Arbeit und Konsum, aber auch um die Kehrseiten der wirtschaftlichen Dynamik wie Verausgabung und Erschöpfung. Fotos aus dem Buch „Merce Cunningham: Fifty Years“ bilden die Basis des Projekts von Boris Charmatz. Die Bewegungen werden Bild für Bild reproduziert und tanzend miteinander verbunden. Das Lebenswerk eines der ganz großen Choreografen wir nun selbst zu einem lebendigen Tanzstück. Zusammen mit den Tänzern des Musée de la Danse in Rennes gelingt Charmatz mit „50 years of dance“ eine Hommage, die alles andere als museal ist. Neben den Aufführungen stehen auch wieder Vorträge, Diskussionen und Buchpräsentationen auf dem Programm. Szenetreff ist wie schon in den vergangenen Jahren die sommer.bar im Podewil, wo Partys und Konzerte stattfinden. In der sommer.bar kann man sich auch massieren lassen – um hinterher ganz entspannt die Aufführungen zu genießen.

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