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Kultur: Song und Seele

Mit Ives und Nagano startet das Musikfest Berlin.

Es scheint einfach, ja zwingend, ein Musikfest, das sich der nordamerikanischen Klangwelt widmen will, mit Werken von Charles Ives zu eröffnen. Der Ruf eines Pioniers eilt ihm auf breiter Front voran. Seine „Unanswered Question“schwebt oft durch die Konzertsäle, ohne jene dogmatische Enge europäischer Avantgardeakademiker. Ives hat sich seine eigene Moderne geschaffen, verwurzelt in Religion, elementaren Erfahrungen von Natur und Gemeinschaft sowie einem universellen Verständnis von Musik als Ausdruck des Geistes. „Er hat das Problem gelöst, wie man sein Ich bewahrt und dabei lernt“, notierte Schönberg. Ives ist unser Mann.

Kent Nagano hat für den Auftakt des Musikfests Berlin erwartungsgemäß eine geschmackvolle Auswahl aus Ives’ Schaffen getroffen – und mit dem Mahler Chamber Orchestra exquisit ausbalanciert aufgeführt. Das Orchestral Set No. 2, 1919 zusammengestellt, lässt keinen Zweifel an der Meisterschaft aufkommen, mit der Ives seine Visionen formulierte. Schichtungen, Stauchungen und Verschiebungen von allerlei Klangebenen koordiniert Nagano elegant. Ihm liegt die Distanz, mit der Ives zurückblickt auf Ereignisse, deren Nachklang er einfängt. Dabei pendelt er zwischen Ironie und Elegie, dass einem die Tränen kommen wollen, doch Nagano hält alles fein unter Kontrolle.

Ives war ein erfolgreicher Lebensversicherer, der viel Geld mit dem Glauben an eine Gemeinschaft der Freiwilligen verdiente. Es erlaubte ihm zu komponieren, was er wollte. 1921 schnürte er „ein Paket aus Papier und losen Notizblättern“, sein Buch der 114 Songs. In ihnen steckt das Leben in seiner uneinheitlichen, wunderbaren Natur, inspiriert von heiseren Arbeiterstimmen, die „wie große Künstler, nicht wie große Opernsänger“ intonierten. Die 114 Songs wären eine großartige Revue für Musiker des Herzens jeglicher Provenienz. In der Philharmonie gibt es drei mal fünf Songs, bearbeitet von John Adams, Georg-Friedrich Haas und Toshio Hosokawa. Sie erweitern die Atmosphäre Richtung Mahler und Berg. Vokal stützen sie wenig. Chen Reiss und Thomas Hampson sind Opernsänger, die Vielstimmigkeit der Songs stellt sie vor unlösbare Aufgaben. Das Unerreichbare aber gewann nicht die Oberhand. So beschließt die 2. Symphonie das Programm: ein machbares Werk, klassisch gearbeitet, mit Anklängen von Bach bis Brahms. Das funkelnde Fragment seiner „Universe Symphony“ hätte einen stärkeren Eindruck vom ewigen Wahrheitssucher Ives gegeben. Ihn haben wir nötiger als einen weiteren Klassiker. Ulrich Amling

Bis 18. September, Infos: www.berlinerfestspiele.de/musikfestberlin

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